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FG078 Angst und Zukunft

Psychisch gesund und handlungsfähig bleiben in einer sich ändernden Welt

Längst nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Krise gilt: Wir leben in einer Zeit, die von Unsicherheiten geprägt ist. Eine Zeit, in der gewaltige Herausforderungen auf eine Antwort warten – während sich unsere Gesellschaft grundlegend wandelt. Und Ungewissheit befeuert Ängste, die keineswegs nur verborgen im Privaten gedeihen. Wenn die Furcht zu mächtig wird, kann auf einmal ein System zu kippen drohen.

Dr. Jan Kalbitzer (Jahrgang 1978), Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, hat sich während seiner Forschungslaufbahn in Kopenhagen, Oxford und an der Berliner Charité mit Fragen der psychischen Gesundheit auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen auseinandergesetzt. Da ging es etwa um die Frage, ob es so etwas wie Internetsucht überhaupt gibt. Immer wieder nutzen Wissenschaftler ihre Reputation, um das, was sie für moralisch richtig halten, durchzusetzen.

Ein anderes Beispiel ist die Diskussionskultur auf Online-Plattformen: Viele Menschen haben sich aus dem öffentlichen Diskurs ausgeklinkt, aus Sorge vor Überwachung oder Hassattacken. Der Rückzug aus einer unangenehmen oder bedrohlichen Situation hat durchaus eine Schutzfunktion, um wieder Energie zu tanken. Doch wenn man sich zu lange der Möglichkeit entzieht, auch positive Rückmeldungen zu erhalten, kann man leicht in eine Depression abrutschen.

Wir brauchen also Nischen, in denen sich Menschen geschützt fühlen, damit sie sich engagieren und ihre Kompetenzen einbringen können. Wenn gerade in der eigenen Umgebung Spielräume offen stehen, um etwas zu verändern, lässt sich die Lähmung überwinden. Angst bietet immer auch die Chance, die Zukunft anzupacken.

Das Gespräch wurde Ende Februar 2020 in Berlin aufgezeichnet.

https://forschergeist.de/podcast/fg078-angst-und-zukunft/
Veröffentlicht am: 1. April 2020
Dauer: 1:43:30


Kapitel

  1. Intro 00:00:00.000
  2. Begrüßung 00:00:43.275
  3. Persönlicher Hintergrund 00:01:31.051
  4. Praktische Arbeit 00:25:31.152
  5. Arbeit mit Stiftungen 00:37:24.753
  6. Leben mit Angst 00:42:34.451
  7. Nischen als Chance 00:58:11.758
  8. Diskurse 01:07:07.759
  9. Privilegienproblematik 01:21:50.168
  10. Ausklang 01:40:54.697

Transkript

Tim Pritlove
0:00:43
Jan Kalbitzer
0:01:30
Tim Pritlove
0:01:31
Jan Kalbitzer
0:01:32
Tim Pritlove
0:01:37

Ja.

Jan Kalbitzer
0:01:38

Es gibt ja so mehrere Begriffe, die durch die Gegend laufen und ich werde in den Medien immer Psychologe genannt, wenn es schiefgeht. Und ich bin Psychiater, das heißt, ich bin Arzt. Es gibt diejenigen, die Medizin studieren, die können dann Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie werden. Und es gibt diejenigen, die Psychologie studieren, die können dann auch eine psychotherapeutische Weiterbildung machen und sind dann auch Psychotherapeuten. Also sowohl Psychologen als auch Ärzte können Psychotherapeuten sein, aber Psychiater können nur Ärzte sein, das ist ein Facharzt. Das heißt, wir können Medikamente zum Beispiel verschreiben. Und es gibt ja auch, wenn es in diese psychiatriekritischen Diskussionen geht, dann sind wir diejenigen, die häufig mehr Diagnosen vergeben, die Medikamente auch zwangsvergeben in Akutpsychiatrien. Das heißt, in dieser Debatte um die Psychiatrie sind wir diejenigen, die diesen ganzen medizinischen Teil machen. Und Psychologen sind dann auch Psychotherapeuten, auch in Kliniken tätig, machen auch ganz viel Forschung, und das Interessante ist, ich habe in … eigentlich habe ich angefangen zu forschen in Kopenhagen. Ich bin nach der Uni, nach dem Studium der Medizin in Hannover, bin ich dann nach Kopenhagen gegangen für ein PHD, aus privaten Gründen eigentlich nach Kopenhagen, weil ich da jemanden kannte. Und das ist eigentlich eine ganz interessante Geschichte. Also ich bin da an die Uniklinik Kopenhagen, die hatten eine Stelle ausgeschrieben in Neurowissenschaften, wo es um Hirnforschung ging mit Positronen Emissionstomographie, das ist eine Technik, wo man etwas radioaktives injiziert, was im Gehirn landet, zum Beispiel an die Serotonin-Rezeptoren oder -Transporter bindet, misst dann die Radioaktivität außerhalb des Gehirns und kann dann sagen, wie aktiv sind zum Beispiel die Serotonin-Transporter und sagt was über den Hirnstoffwechsel aus. Auf jeden Fall bin ich zum Institut hin und wusste gar nicht was die machen, ich wollte ja nur da jemanden besuchen in Kopenhagen und habe gesagt, ich würde gerne nach Dänemark kommen, um Dänisch zu lernen und Kierkegaard, den Philosophen, im Original zu lesen. Und das fanden die irgendwie cool und haben mich dann angenommen und damit fing meine wissenschaftliche Karriere an. Also ich habe vorher in Hannover studiert und einen mittelmäßigen Abschluss gehabt und wäre nie in diese wissenschaftliche Laufbahn gekommen.

Tim Pritlove
0:03:45
Jan Kalbitzer
0:03:47

Medizin habe ich studiert und ein bisschen Philosophie nebenbei, aber nicht fertig. Und bin eigentlich über diese Abgebrühtheit in Kopenhagen in eine wissenschaftliche Laufbahn rein. Von Kopenhagen dann per Austausch nach Oxford. Und wenn man so ein paar Sachen auf seinem Lebenslauf stehen hat, so ein paar Stationen, dann wirkt sich das sehr positiv aus. Und ich glaube, ohne diese Zwischenstation wäre ich dann nachher auch nie an der Charité gelandet, um da irgendwie meine Weiterbildung zum Facharzt zu machen und zu forschen. Und deswegen muss man sagen, diese eine Aussage in diesem Institut. Ich hatte in einer Jugendherberge übernachtet und eine relativ schlechte Nacht gehabt, mir war wirklich alles egal. Und ich habe nur gesagt, ich möchte gern Kierkegaard im Original lesen und da haben die mich genommen und da bin ich in die Wissenschaft gekommen. Und das hat meinen wissenschaftlichen Weg sehr geprägt. Und da habe ich gemerkt, dass Psychologen, wenn wir jetzt nochmal über das Thema Psychologen, Psychiater reden, also mir geht es jetzt darum, wie beurteilen Leser einer Zeitung zum Beispiel, wenn es um einen Experten geht, den Unterschied zwischen Psychologen und Psychiater. Psychologen haben viel mehr methodische Kenntnisse als Psychiater meistens. Weil die Psychologiestudenten ganz viel über Methodik lernen, die machen ganz viel Statistik und Analyse, das lernen Ärzte in ihrem Studium nur sehr sehr wenig. Ärzte sehen dafür Patienten und kommen auch mit so einer gewissen Autorität daher, weil sie Ärzte sind und sagen, ja ich bin doch Arzt, ich sage das jetzt. Oft sind Psychologen aber mit einem besseren wissenschaftlichen Grundverständnis ausgestattet. In der Wahrnehmung ist es dann oft anders, dass die Ärzte mehr Autorität zugeordnet kriegen, wenn sie als Experten irgendwo auftreten, was auch teilweise deswegen gerechtfertigt ist, weil sie eben den Alltag sehen, den Patientenkontakt haben, aber wissenschaftlich denke ich, dass Psychologen, die in so Felder reingehen, oft nochmal eine bessere Anfangsausstattung haben. Das ändert sich dann, wenn man länger forscht, aber Psychologen haben da, um jetzt diesen Kreis zu schließen mit dem Unterschied zwischen Psychiatern und Psychologen, vom Studium her eine sehr viel bessere Grundausstattung als Ärzte meistens.

Tim Pritlove
0:05:47
Jan Kalbitzer
0:06:00
Tim Pritlove
0:06:43
Jan Kalbitzer
0:06:45

Genau, und das war peinlich, aber es war heilsam. Und die Sachen, die wir da machen mussten, waren zum Beispiel, man muss ja so ein Gehirn, was dreidimensional ist, irgendwie vergleichbar machen. Wenn man sagt, wir messen jetzt die Gehirne von 20 Menschen mit Depressionen und 20 Menschen, die keine Depression haben, und wollen gucken, was passiert da in bestimmten Hirnregionen, dann muss man es ja irgendwie vergleichbar machen. Da gibt es zwei Ansätze, entweder man morpht die Gehirne, dass sie alle gleich aussehen. Das heißt, man nimmt die individuellen Gehirne, die völlig unterschiedlich sind und quetscht die solange, bis die alle ähnlich aussehen, auf so einen Standardspace, wo man gar nicht, also mittlerweile hat man da so ein paar Studien dazu gemacht, das ist so ein bisschen verzerrt, aber auch so ein bisschen kann man auch Effekte sehen. Das ist die eine Methode, die man macht, man quetscht es auf einen Standardspace, was ganz interessant ist, weil damals der Standardspace, diese MNI-Standardspace vom Montreal Neurological Institute, der bestand vor allem aus Gehirnen von männlichen Wissenschaftlern, die sich da zur Verfügung gestellt hatten. Da muss man auch fragen, ist das das allgemeine Standardgehirn, auf das man die Gehirne aller Menschen quetschen sollte, wenn man sie vergleichbar machen will? Und dann untersucht man das Gehirn, indem es in einmal Regionen einteilt, die man anatomisch kennt, zum Beispiel das Frontalhirn oder den Hirnstamm und zum anderen macht man Voxel-Analysen, das heißt, man unterteilt das so in kleine Würfel, wenn man ein Bild untersucht, guckt man sich ja Pixel an, die sind zweidimensional, im Gehirn untersucht man Würfel, Voxel genannt, das sind so zum Beispiel 1x1x1 Millimeter große Kästchen und die vergleicht man alle einzeln statistisch miteinander.

Tim Pritlove
0:08:22
Jan Kalbitzer
0:08:24

Genau, ein dreidimensionales Pixel. Und damals war es noch so, dass Gehirne oft einfach so ganz breit alle Voxel gleichzeitig untersucht wurden. Man guckte, wo kam da ein Effekt raus. Die meisten hätten das nicht überlebt, wenn man das für die multiple Testung korrigiert hätte. Also wenn irgendwie eine Frage tausendmal wiederholt, sagt irgendwann immer jemand ja, so ist es auch in der Statistik, wenn man alles mögliche testet, kommt immer was raus und dafür muss man dann korrigieren, was in den Zeiten noch ganz oft unzureichend gemacht wurde, als ich angefangen habe Neuroforschung zu machen. Was mir ziemlich schnell aufgefallen ist, dass das irgendwie weird ist, dass immer irgendwas rauskommt bei diesen ganzen Gehirnuntersuchungen. Oft in Regionen, von denen man das nicht erwartet hätte. Mittlerweile hat man das deutlich verbessert, man muss Studien präregistrieren, also vorher anmelden, sagen was man untersuchen will und muss sauber statistisch korrigieren. aber viele dieser frühen Hirnforschungsergebnisse waren einfach Bullshit. Also wenn es um die Frage ging, wo ist das moralische Gewissen des Menschen? Und dann findet man irgendeinen Bereich im Gehirn, wo man sagt, die Moralität findet mit so und so hoher Wahrscheinlichkeit immer da statt, das meiste davon ist nicht reproduzierbar gewesen. Ich glaube, dazu hattest du auch schon Sendungen zu diesen Fehlern. Das war auf jeden Fall der Bereich, in dem ich gestartet bin und relativ schnell gemerkt habe, ich war derjenige, der Methoden entwickeln musste, um diese Gehirne irgendwie vergleichbar zu machen. Wir hatten den anderen Ansatz, wir haben die Gehirne nicht gequetscht, sondern wir haben in jedem Gehirn die Regionen eingezeichnet in dem individuellen Gehirn und gesagt, wie hoch ist die Aktivität bei der Person in der Region und das dann zwischen den einzelnen Personen verglichen. Also ich habe immer einen Frontal dann eingezeichnet und dann gesagt, so hoch ist die Aktivität da und bei dem und bei dem und bei dem, ohne die Gehirne zu quetschen. Was wir da aber machen mussten, ist, dass wir zu jeder Person zu der Positronen-Emissions-Tomographie, wo man nur Aktivität sieht, noch ein Kernspinbild braucht, ein MRT, um die Regionen dann genauer zu sehen. Und die musste ich übereinanderlegen. Also das Positronen-Bild, wo man dann also bunte Regionen sieht, auf das Kernspinbild, um dann die Regionen einzeichnen zu können. Das war mein erster Job in der Wissenschaft und da habe ich viel methodischen Kram gemacht und wusste sehr wenig und bin da so reingestolpert, habe viele Fehler gemacht, die ich dann so nach und nach erkannt habe. Und das war so ganz hilfreich, um das Wissenschaftsgeschäft zu verstehen, weil ich gemerkt habe, ich mache irgendwas und da kommt was raus, was grandios aussieht, ich bin mir aber noch nicht sicher und merke dann so, wie der Druck entsteht, weil wir Forschungsgelder kriegen von Stiftungen, wir müssen irgendwas produzieren, von Kollegen oder Vorgesetzten, die dann sagen, Mensch lass uns das publizieren. Ich habe gesagt, ich bin noch nicht so ganz sicher. Ja, das muss jetzt mal langsam raus. So ist dann so der Betrieb, den habe ich da so kennengelernt. Und das hat mich damals schon total verunsichert. Was auch der Grund war, warum ich dann später, als ich an der Charité zum Thema Internet geforscht habe, einen ganz anderen Ansatz hatte und gesagt habe, ich will qualitativ forschen, ich will eigentlich nur erst mal den Leuten zuhören und gucken was die erzählen, wie das früher so in der Psychiatrie ganz häufig das Verfahren war. Es gab Psychiater, zum Beispiel der Bleuler, der die Schizophrenie geschrieben hat, der hat mit Menschen zusammengelebt über Jahre, die bestimmte Symptome hatten und hat den einfach zugehört und sich deren Verhalten angeguckt und versucht, das irgendwie zu beschreiben, und darüber versucht, so Prinzipien zu ermitteln. Das ist eher so ein qualitativer Forschungsansatz. Und den haben wir dann für unsere Forschung an der Charité gewählt. Als ich dann nachher an die Charité kam, habe ich erst mal eine Facharztausbildung gemacht und irgendwann angefangen, zum Thema Internet zu forschen, über die Frage, wie sich das auf die Psyche auswirkt. Da haben wir gesagt, wir wollen erst mal Geschichten sammeln. Wir haben jetzt hier einen Prozess, wo sich gesellschaftlich wahnsinnig viel verändert und da passiert was mit den Menschen und ich will einfach Menschen zuhören, die Krisen entwickeln und sagen, welche Auswirkung hat eigentlich diese Veränderung in der Gesellschaft, dass die Digitalisierung stattfindet auf die Psyche des Individuums und habe Geschichten gesammelt und geguckt, was passiert da drin? Dafür haben wir so qualitative Interviews gemacht letztendlich.

Tim Pritlove
0:12:19
Jan Kalbitzer
0:12:20
Tim Pritlove
0:12:31
Jan Kalbitzer
0:12:33
Tim Pritlove
0:12:44
Jan Kalbitzer
0:12:46
Tim Pritlove
0:13:21
Jan Kalbitzer
0:13:36

Ja.

Tim Pritlove
0:13:36
Jan Kalbitzer
0:13:43

Genau, zusätzlich. Also wir sind auf die Stationen gegangen und haben gesagt, diejenigen Menschen, die hier mit einer Krise hergekommen sind, wer hätte denn Interesse daran, an so einer Studie teilzunehmen und dann haben wir angefangen so ein bisschen zu gucken, dass wir nicht immer die gleichen befragen. Da haben wir auch wieder so eine Kontrastierung gemacht, die ganz interessant war. Weil wir haben ältere Menschen befragt. Wir waren auf einer Station für psychiatrische Alterserkrankungen und hatten unter den Interessenten am Anfang vor allem Menschen mit Migrationshintergrund. Die sehr aufgeschlossen und positiv dem Internet gegenüber waren, weil das für sie eine ganz wichtige Rolle in der Kommunikation mit Angehörigen gespielt hat. Die schon ganz früh dabei waren und haben gemerkt, okay jetzt kriegen wir hier einen Bias und jetzt müssen wir gucken, dass wir noch Leute, die möglichst ihr ganzes Leben in Berlin verbracht haben und nicht so viele Freunde außerhalb von Berlin haben, sondern einen festen Bekanntenkreis in Berlin und immer in Berlin gelebt, das wäre so die ideale Kontrastrierungsgruppe, um zu gucken, wie geht es denen eigentlich damit, weil die nicht diesen Effekt da mit drin hatten, dass es für die Kommunikation über die Welt so eine sehr positive Rolle gespielt hat. Da konnten wir aber gar nicht so einen genauen Unterschied feststellen. Wo ich auch total überrascht war, wie Leute sehr früh eingestiegen sind. Ich weiß nicht, ob du dich an das Spiel Wikings erinnerst. Es gab mal so ein ganz frühes Spiel für, ich weiß gar nicht, auf welchem System das damals gespielt wurde, Wikings, da konnte ich mich aus meiner Kindheit noch dran erinnern, wo so einige Leute, die saßen mir gegenüber, so Mitte 70/Anfang 80, die dann so erzählten, wie sie so ihren ersten Internetanschluss hatten und dann so bestimmte Spiele gespielt hatten, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnerte. Und meine Mutter hat mir dann nachher erzählt, dass sie eine Weile hatte, wo sie ganz viel Pacman gespielt hat, was ich natürlich als Kind nicht mitgekriegt haben, aber das war so neu da und da sie ganz viel Pacman damals gespielt, als die Computer kamen. Meine frühesten Erinnerungen sind, glaube ich, an so Spiele, Pacman und dann wahrscheinlich Larry Leisure, dieses Spiel mit diesem Draufgänger oder wie man den nennen mag.

Tim Pritlove
0:15:35

Ja.

Jan Kalbitzer
0:15:36
Tim Pritlove
0:15:39
Jan Kalbitzer
0:15:40
Tim Pritlove
0:16:03
Jan Kalbitzer
0:16:07
Tim Pritlove
0:16:50
Jan Kalbitzer
0:16:57

Also unser Projekt war multizentrisch angelegt. Das heißt, wir hatten einmal in Münster in der Kommunikationswissenschaft Kollegen, die haben eine quantitative Befragung gemacht zusammen mit so Umfrageinstituten, die dann einfach Fragen rausgeschickt haben. Zum Beispiel wie korreliert Wohlbefinden mit Internetnutzung in zeitlichem Umfang? Oder wie ist es bei Menschen, die das Internet viel nutzen, haben die Charakteristika, die die Sucht erfüllen? Und in Berlin haben wir dazu geforscht, was da für Kausalitäten hinter stehen. Also die Idee war, dass in Münter Korrelationen erforscht werden, wo gar nicht klar ist, was ist die Henne und was ist das Ei? Also gehen Leute mehr ins Internet, weil sie frustriert sind oder werden sie frustriert, weil sie mehr im Internet sind? Das konnte man an deren Daten nicht sehen, sondern das ist das, was wir dann in Berlin in qualitativen langen Gesprächen erforschen, was ist die Ursache und was ist die Wirkung. Und das ließ sich in diesen Gesprächen nicht so genau sagen. Also was wir gesehen haben in diesen Gesprächen mit Menschen in Krisen war, dass niemand gesagt hat, ich habe ganz viel das Internet genutzt, dann bin ich in eine Krise geraten, also das Internet hat die quasi verursacht, aber dass es so einen Interaktionseffekt gab. Also dass Leute gesagt haben, die Krise fing so ein bisschen an, dann habe ich angefangen mehr im Netz rumzuhängen, mich auch so ein bisschen da rein zurückzuziehen. Also es gibt so bei depressiven Krisen manchmal so einen sozialen Rückzug, dass man weniger in Kontakt geht, auch die Herausforderung im Alltag meidet, also dass man Sachen liegen lässt und sich nicht so kümmert und dass das Netz ein Ort sein kann, wo man sich wahnsinnig gut drücken kann, wo Herausforderungen und gerade noch so ein bisschen Kontakte hält, so wie einem das passt.

Tim Pritlove
0:18:41
Jan Kalbitzer
0:18:44
Tim Pritlove
0:19:09
Jan Kalbitzer
0:19:23

Genau. Also dass man so hin und her springen kann und dadurch Wissen ganz anders aufnehmen kann. Und das war bei den Menschen in Krisen auch so, wie die das beschrieben haben. Also dass die sagen können, es tut auch eine Weile ganz gut, einfach zu Hause zu sitzen, sich den Herausforderungen nicht zu stellen, Essen zu bestellen und vielleicht in einem Forum zu sein, wo Menschen sind, denen es ähnlich geht, sich auszutauschen. Aber längerfristig ist es so, dass man in so eine Zwischenzone kommt, in so einen Graubereich, wo es einem dann nicht wieder richtig gut geht, aber auch nicht richtig schlecht und man deswegen keine Hilfe sucht und irgendwo dazwischen hängt. Und dass war so das Problematische, was immer wieder beschrieben wurde, was ich ganz interessant gefunden habe. Und ich habe dann auch so nachgefragt zum Beispiel, was denn fehlt. Also ich habe mit Experten auch gesprochen, wir haben Experteninterviews gemacht und wir haben Interviews gemacht mit Menschen in Krisen. Und gerade so Experten haben dann auch gesagt, dass ein Effekt ist bei Menschen, die dieses Phänomen haben, was aus meiner Sicht fälschlicherweise als Internetsucht beschrieben wird. Also Menschen, die im Netz in Spielen zum Beispiel versacken, so würde ich das nennen. Wenn die wieder rauskommen, haben die oft verlernt, Herausforderungen anzunehmen und bestimmte Intensitäten in sozialen Interaktionen auszuhalten. Also sich einem direkten Kontakt mit jemandem zu stellen, der vielleicht wütend ist, der schlecht drauf ist und eine Auseinandersetzung zu führen oder in den Alltag zu gehen und zu sagen, ich nehme jetzt mal die ganzen Unterlagen, fülle die aus und stelle einen Antrag beim Arbeitsamt, das ist dann ein riesiger Angang, wenn man gewohnt ist, vorher die ganze Zeit diese Eintauchtiefe selbst zu regulieren, die Herausforderungen selbst zu regulieren, was im Netz einfach wahnsinnig gut möglich ist die ganze Zeit.

Tim Pritlove
0:20:55
Jan Kalbitzer
0:20:56

Auch für Schüler zum Beispiel. Das heißt, dieses Verlernen des Annehmens von Herausforderungen das war ein ganz wesentliches Element. Und andersrum, wenn es um positive Effekte geht, ich habe oft dann gefragt, wenn wir jetzt mal nicht auf das Negative uns konzentrieren, sondern sagen, das Internet verändert alles, aber was möchten wir denn positiv erhalten an dem was vermeintlich vorher da war, dann ging es oft um den Blick des Menschen. Also Eltern sagen, dass sie sich wünschen, dass ihre Kinder in der Lage sind, anderen Menschen in die Augen zu schauen bei Gesprächen. Das hat mich total fasziniert. Und eine Aussage hat mich beeindruckt, dass jemand mir gesagt hat, wenn man so im Netz ist, dann ist man in seiner eigenen kleinen Welt. Was ich interessant fand, weil ich dachte, die Vernetzung führt eigentlich dazu, dass man in die große weite Welt rauskommt. Und habe dann nachgefragt, wie ist denn das gemeint, dieses eigene kleine Welt? Da ging es ganz viel darum, dass die Präsenz eines anderen Menschen eine bestimmte Relevanz hat und das für einige Menschen die nur entstehen kann, wenn diese andere Person neben ihnen sitzt oder anwesend ist, dass man spürt, da ist eine andere Person, die hat eine andere Sicht auf die Welt als ich, die hat eine ganz andere Wahrnehmung der Welt als ich, und ich muss aushalten, dass dieser Mensch mit dieser anderen Wahrnehmung da ist. Das kann herausfordernd sein, dass man in seiner eigenen Weltsicht hinterfragt und auch man nimmt eine Kritik wahr. Da ist jemand anderes, der blickt anders auf die Welt und dann denke ich, okay, das heißt, möglicherweise dass ich mich theoretisch irren kann in meinem Blick.

Tim Pritlove
0:22:36
Jan Kalbitzer
0:22:39
Tim Pritlove
0:23:21
Jan Kalbitzer
0:23:28
Tim Pritlove
0:23:36
Jan Kalbitzer
0:23:41
Tim Pritlove
0:24:37
Jan Kalbitzer
0:24:45
Tim Pritlove
0:25:31
Jan Kalbitzer
0:25:36

Ich bin noch als klinischer Psychiater tätig, aber nicht mehr als Wissenschaftler. Ende Mai letzten Jahres habe ich in der Charité aufgehört und bin ausgestiegen aus dem Forschungsbetrieb. Und der eine Faktor war einfach, dass ich gemerkt habe… Also das Projekt, was wir gemacht haben, ist einerseits, würde ich sagen, die Ergebnisse in Münster sind interessant und wissenschaftlich valide und wir hatten auch einen philosophischen Zweig, der erst in Tübingen war und jetzt in Paderborn ist, bei Tobias Matzner, der da einen Lehrstuhl hat, der für mich total hilfreich war, weil die vieles philosophisch hinterfragt haben. Was ist eigentlich eine Diagnose? Was ist eigentlich analog versus digital? Wenn ich hier noch von einer digitalen analogen Welt gesprochen habe am Anfang als Psychiater, haben die mir gesagt, du pass auf, Identität ist ein performativer Akt und alles was du da machst ist Teil deiner Identität, egal ob analog oder digital, du kannst nicht deinen analoge Identität von deiner digitalen trennen, es gibt nicht zwei Identitäten. Und da habe ich wahnsinnig viel gelernt über diesen philosophischen Teil. Die haben unglaublich viel gemacht auch zum Thema Kommunikation von Medienproblemen. Also wie geht man damit um in Schulen zum Beispiel? Aber ich würde sagen, in Berlin sind wir an unserer Fragestellung gescheitert. Also es ist einmal so, dass ich sagen würde, das Projekt hat nicht geklappt und da bin ich auch ziemlich überrascht gewesen von der Stiftung, wir sind ja gefördert worden von der Daimler und Benz Stiftung und ich habe letztes Jahr dem Geschäftsführer der Stiftung gesagt, also ich glaube, dass der Teil, den wir in Berlin gemacht haben, wissenschaftlich insofern gescheitert ist, als dass wir uns eine Frage gestellt haben, die mit unseren Möglichkeiten nicht beantwortbar ist, die ich aber auch gar nicht für beantwortbar halte, weil zu viele Prämissen da drin gesteckt haben, die ich dann nach und nach angefangen habe zu hinterfragen.

Tim Pritlove
0:27:23
Jan Kalbitzer
0:27:24

Das ist richtig. Es war für mich, und da kommt der persönliche Teil, aber vor allem eine persönliche Erkenntnis, dass ich gemerkt habe, dass gerade in diesem Teil der Wissenschaft so viele Prämissen drin sind, dass ich das erst mal für mich klarkriegen musste. Also es gab einen Kongress, der veranstaltet wurde von der Bundessuchtbeauftragten zum Thema Generation internetsüchtig, stark befeuert durch einen Teil von Psychiatern und Psychologen, die ein großes Interesse an der Diagnose Internetsucht haben, wo ich den Eindruck hatte, es gibt die wissenschaftliche Grundlage gar nicht, um von einer Internetsucht zu sprechen. Ganz viele Wissenschaftler stellen sich hin und sagen, dann gehen sie ins Internet, dann ist das wie bei so einem einarmigen Bandit, Sie ziehen nach unten und dann passieren die gleichen Effekte wie bei der Spielsucht, nämlich Dopamin wird ausgeschüttet. Bei Dopaminausschüttung Sucht, jetzt werden sie süchtig und dann ist das fast wie Heroin. Das ist alles Quatsch, das ist völliger Bullshit. Dopamin wird auch ausgeschüttet, wenn man eine Abfuhr kriegt, wenn man jemanden anbaggert, weil Dopamin was mit Lernen zu tun hat. Dopamin wird bei Bewegung ausgeschüttet, Dopamin wird ständig ausgeschüttet. Also man wird ja auch nicht süchtig nach einer Abfuhr, nur weil man da Dopamin ausschüttet. Und die ganze Idee, dass Spiele so süchtig machen wie Heroin, das ist so ein Unsinn. Also Facebook, es gibt Leute, die sagen, dann loggen sie sich bei Facebook ein und dann ziehen sie nach unten zum erneuern wie bei einem einarmigen Bandit und dann wird Dopamin ausgeschüttet und dann werden sie süchtig nach Facebook. Das Problem ist nur, wenn sie von Heroin abhängig sind die Leute, dann geht das ja nicht einfach weg. Es ist ja nicht so, dass man von Heroin abhängig wird und dann sagt man irgendwann, ach Gott, also jetzt langweilt mich Heroin, aber jetzt höre ich auf. Bei Facebook ist das ja ganz oft so. Wir haben ja ganz viele Menschen, die ganz viel auf Facebook sind, das ganz viel nutzen und dann irgendwann genervt sind und sagen, ach Facebook nervt mich irgendwie, die Kommunikation da, da ist so viel Negatives und dann auch jetzt mit diesem Datenschutz und so was, ich höre auf damit. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der das bei Heroin gemacht hat, ganz ehrlich. Und auch Alkoholsucht zum Beispiel wird ja auch gerne verglichen, dass jemand sagt so, nein also sorry, die Leute, die in der Kneipe rumhängen gehen mir so auf die Nerven, jetzt höre ich auf zu trinken. Wenn man körperlich süchtig ist danach funktioniert das so nicht. Das mag funktionieren, wenn man so einen Konsum hat, der schädlich ist, den Alkohol vielleicht nutzt, weil man nicht einschläft ohne Alkohol, wenn man gestresst ist, aber wenn man richtig körperlich abhängig ist und so war ja der Vergleich, dann sagt man nicht, ich bin genervt von Leuten in der Kneipe, ich höre auf Bier zu trinken, das ist so nicht. Und deswegen hinkt dieser Vergleich sehr und das hat mich an der Community einfach sehr gestört, dass ich gemerkt habe, man nennt das in der Soziologie Moral Panic, dass man wissenschaftliche Erkenntnisse nutzt, und das, was man für moralisch richtig hält, zu untermauern oder durchzusetzen. Und im Rahmen der HIV-Verbreitung damals war das häufig so, dass dann die Assoziation zu Homosexualität hergestellt wurde und bestimmte sexuelle Praktiken verdammt wurden und in Verbindung mit HIV und Aids gebracht wurden. Da ging es dann darum, das auch moralisch zu nutzen, diese Erkrankung, um Dinge zu verurteilen. Und mein Eindruck ist, dass beim Thema Internet und gerade Internetsucht was ganz ähnliches stattfindet. Und ich habe sehr gezweifelt an wissenschaftlichen Institutionen. Es gibt einige Wissenschaftler, die sehr davon profitieren, vor dem Internet zu warnen, die Bücher darüber schreiben, die sich gut verkaufen, die gut bezahlte Vorträge darüber halten.

Tim Pritlove
0:30:56
Jan Kalbitzer
0:30:57
Tim Pritlove
0:30:59

Ja.

Jan Kalbitzer
0:31:00

Und die Universitäten reagieren nicht darauf. Ich bin überhaupt nicht dafür, wissenschaftliche Meinungsfreiheit einzuschränken, aber wenn jemand seine Position an einer Universität nutzt, um unwissenschaftlich Angst zu machen, damit viel Geld zu verdienen, seine moralische Überzeugung zu verbreiten mit dem Habitus eines Wissenschaftlers, dann finde ich das moralisch hochgradig fragwürdig. Und dieses ganze Geschäft, was da stattfindet, es gibt ganz viele tolle Wissenschaftler, die man nicht hört und nicht sieht und die sehr leise sind, trotzdem habe ich angefangen damit zu hadern und das hat auch was mit meiner persönlichen Verfügbarkeit zu tun. Ich habe selber so eine Faszination dafür gewonnen und gemerkt, ich bekomme Zugänge zu Welten, die mich interessieren, wo ich viel mehr verstehe auch über das Internet als durch meine Forschung selbst. Und ist das eigentlich noch, also passt das noch zueinander? Also ich habe publizistisch angefangen zu arbeiten, ich habe ganz viel geschrieben. Zum Beispiel ich habe für Zeit online geschrieben, ich habe auch mal für die Welt geschrieben, weil ich wissen wollte, was passiert, wenn ich für Axel Springer Medien schreibe und habe danach immer in den Kommentarspalten mitdiskutiert und geguckt, wie Leute reagieren, bin mit denen in persönlichen Kontakt gekommen. Auf Twitter folgte mir die AfD als Account eine Weile und ich habe mit denen im Privatchat relativ viel kommuniziert und ich fand das fasziniert und ich bin dann zu einer AfD-Veranstaltung gegangen und habe mit den Leuten gesprochen. Und habe mit denen darüber gesprochen, warum die das machen, versucht deren Motive zu verstehen. Ich bin also in Welten reingekommen, die mir zugänglich wurden durch diese Arbeit, durch die Präsenz als Wissenschaftler. Habe aber irgendwann gemerkt, das, was ich jetzt mache, kann ich nicht mehr machen, wenn ich mit der Autorität als Wissenschaftler komme, weil ich finde, die publizistische Persona und die wissenschaftliche möchte ich nicht gleichzeitig benutzen, weil das nicht redlich ist. Und das war für mich ein persönlicher Konflikt, der dazu geführt hat, dass ich gesagt habe, ich finde den publizistischen Teil eigentlich spannender, ich finde das Diskutieren, so was wir hier auch machen, spannender als die Forschung und ich bin auch nicht so gut in der Forschung wie andere, deswegen möchte ich den anderen Teil mehr machen und das war dann so mein persönlicher Ausstieg. Und ich glaube, für mich war das ein großer Vorteil, weil es gibt ganz viele Leute, die in so einer Phase sind zwischen 30 und 40, sich so von Postdoc zu Postdoc hangeln nach dem PHD und dann irgendwann nicht mehr wissen, das sind immer nur Zeitverträge, geht es weiter mit mir in der wissenschaftlichen Welt?

Tim Pritlove
0:33:17
Jan Kalbitzer
0:33:19

Ich bin da total privilegiert als Arzt, weil ich als Arzt arbeiten kann, trotzdem war der Ausstieg für mich auch schwer, weil das einen totale Kränkung ist zu sagen, ich gehe jetzt raus aus der Charité, wo ich diesen Status habe, den aufzugeben. Und bevor ich ausgestiegen bin, habe ich eine Reise gemacht zu Kollegen, die ausgestiegen sind aus dieser Charité-Welt und irgendwas anderes machen an kleineren Unis oder sich klinisch nur noch betätigen und habe die befragt. Und eigentlich waren alle, die ich gefragt habe, frustriert und haben das irgendwie vermisst, da an der Charité gewesen zu sein. Der Glamour-Faktor Charité würde ich mal sagen. Ich habe eine Weile die Pressearbeit für unsere Abteilung gemacht. Das heißt, ich habe die Anrufe entgegengenommen, die für die Psychiatrie reinkamen von Presse draußen. Das waren so absurde Anfragen, die zum Teil kamen und trotzdem war es toll gefragt zu werden, das ist so eine Aufwertung, die stattfindet. Und ich bin von Facebook eingeladen worden, das war auch total faszinierend. Ich habe irgendwann einen Artikel über Facebook geschrieben für Zeit online, dann folgte mir jemand von Facebook. Dann habe ich auch wieder, genau auf Twitter folgte mir die Person von Facebook, da habe ich auch wieder im Privatchat Kontakt aufgenommen. Ich habe im Privatchat von Twitter die tollsten Leute kennengelernt, wirklich, ganz tolle Kontakte hergestellt. Das war ein ganz wichtiges Tor zur Gesellschaft für mich, Privatchats bei Twitter. Und bin dann bei Facebook in Berlin gewesen, bin auch bei einer Konferenz gewesen mit Monika Bickert, die zuständig ist für die Policy bei Facebook, die also entscheidet, was wird gelöscht, was wird nicht gelöscht, für ganz Facebook ist die für so was zuständig. Und das ist so interessant, was die da machen. Es tut mir leid, wenn ich jetzt schon wieder so einen Seitenweg nehme, Tim, aber die Sache ist, die Frage, dass ein internationales Unternehmen Kommunikationsregeln festlegt, die internationale Gültigkeit haben sollen, also eine Metaphysik der Sitten für die ganze Welt muss dieses Unternehmen irgendwie festlegen und das ist wahnsinnig kompliziert. Also wenn wir darüber diskutieren, wir möchten, dass deutsche Gesetze umgesetzt werden, ist ja die Frage, wo werden die umgesetzt? Also wenn ich in Berlin sitze, über VPN mich in Brasilien einwähle, da irgendwo im Chat bin und mit jemanden aus der Türkei, welche Gesetze werden da eigentlich angewandt? Das ist gar nicht so banal, so eine Frage zu beantworten. Weil wenn ich über Thor zum Beispiel reingehe und dann komme ich irgendwo in Brasilien raus und kommuniziere mit jemandem aus der Türkei, der dann vielleicht chinesischer Staatsbürger ist, wessen Gesetze gelten dann? Und solche Themen fand ich total interessant und wurde dann eingeladen, als Wissenschaftler doch mal nach Menlo Park Zu kommen. Ich stand also neben dieser Monika Bickert, die dann über WhatsApp gerade mit Marc Zuckerberg im Austausch war irgendwo in Berlin und dann sagte sie, Mensch, das ist doch spannend was du sagst, komm doch mal vorbei. Und dann hatte ich irgendwann so ein paar Vorgespräche und war eingeladen zu so einem Gespräch und bin dann nicht, weil meine Kinder krank waren, was ich auch ganz interessant fand, weil mir Kollegen erzählt haben, wie das da war. Dass man da als Wissenschaftler hinfährt und sitzt dann da und da sitzen Leute von Facebook und hören einem zu und sagen die ganze Zeit, das ist ja interessant was ihr uns erzählt, also geben dir total viele Props und positives Feedback diesen Wissenschaftlern, die sich total aufgewertet fühlen, weil da irgendwie die Top-Leute von Facebook sitzen, was ich ja auch selber schon gespürt hatte. Also ich hatte dann so einen Videochat mit Leuten von Facebook, da saßen so drei, nein vier, junge hübsche Menschen vor mir, die ganz interessiert daran waren, was ich zu sagen habe als Charité-Wissenschaftler. Und das ist total verführerisch, sich dann ernst genommen zu fühlen und zu sagen, Mensch da mache ich mit. Und der eine, mit dem ich gesprochen habe, der da hingefahren ist, hat sich Urlaub genommen, weil er es nicht in seiner Funktion als Wissenschaftler machen wollte. Alles total ambivalent für deutsche Wissenschaftler, wie gehe ich dahin, in welcher Rolle? Trotzdem hat es so was verführerisches. Und das sind so Sachen, die ich da so wahrgenommen habe, die musste ich erst mal für mich klarkriegen. Was ist das eigentlich alles, was darf ich eigentlich alles? Ich habe mich eingelassen auf Gespräche mit Leuten, die Lobbyisten sind, weil ich neugierig war, was wollen die eigentlich von mir als Wissenschaftler? Und an irgendeinem Punkt habe ich gemerkt, ich kann das nicht mehr in der Rolle als Wissenschaftler machen, es interessiert mich trotzdem sehr und habe dann gesagt, ich arbeite jetzt beruflich hauptsächlich als Psychiater, aber das geht nich mehr, das als Wissenschaftler weiterzumachen.

Tim Pritlove
0:37:24
Jan Kalbitzer
0:38:09

Das ist eine echt gute Frage, ich habe da auch so ein bisschen angesetzt. Also ich habe das einen Weile vor mir hergeschoben, und so ein bisschen das immer wieder so ein bisschen gesagt auch, so irgendwie das funktioniert nicht so richtig, aber irgendwann Ende letzten Jahres war dann so der Punkt, wo ich zum Geschäftsführer von der Stiftung gesagt haben, das ist, wenn man nach der Fragestellung geht, gescheitert. Wie du schon gesagt hast, das ist auch einen Erkenntnis, die lässt sich nicht beantworten. Wir haben auch ganz viele interessante Sachen gefunden dabei. Aber letztendlich muss man sagen, im klassischen Sinne, dass wir eine Hypothese hatten, die wir untersucht haben und jetzt eine Antwort darauf haben, das ist nicht der Fall gewesen. Und der Geschäftsführer von der Stiftung hat total entspannt darauf reagiert. Der hat selber vorher Forschung gemacht und ist dann in die Stiftung reingegangen und hat total entspannt gesagt, so ist Forschung, so findet Forschung statt. Und das hat mich total berührt, weil ich gedacht habe, hey so muss es eigentlich sein. Also so, ich hatte Angst davor das zu sagen, das hat nicht geklappt und es liegt sowohl daran wie das Forschungsprojekt konzipiert war als auch an mir als Person möglicherweise, der ich da vielleicht nicht alles richtig gemacht habe. Und der hat gesagt, so ist es halt in der Forschung, es gibt auch Projekte, wo man am Ende sagen muss, das hat so nicht funktioniert. Und das ist auch eine valide Antwort. Das hat mich wirklich beeindruckt. Und ich habe überhaupt um diesen ganzen Prozess, ich war eine Weile ganz gut darin Anträge zu stellen, viel Faszination entwickelt für Geschäftsführer von Stiftungen und für Stiftungen insgesamt, wo ich dann so vorgesprochen habe, mich ganz viel mit denen unterhalten habe, weil diese Geschäftsführer oft Menschen sind, bei denen ganz viele Wissenschaftler mit aktuellen Projekten vorsprechen, die so einen bestimmten Habitus haben, um sich aufzuplustern, um zu sagen, wir haben da ein ganzes wichtiges Projekt, das ist ganz wichtig für die Menschheit, nur wir können das erforschen, weil wir am wichtigsten Institut sitzen und dann müssen diese Geschäftsführer und diese Stiftungen entscheiden, wem geben wir unser Geld? Was sind relevante Themen, was sind verlässliche Wissenschaftler? Welche Frage ist beantwortbar? Und das sind total interessante Gesprächspartner, die Leute, die in so Stiftungen drin sitzen, weil die die ganze Zeit eben diese Themen am Laufen haben. Die haben natürlich auch andere Themen am Laufen, nämlich welche Projekte fördern wir, damit wir als Stiftung gesehen und wahrgenommen werden, wie kommen wir als Stiftung selber in die Medien, um sichtbar zu werden, damit wir vielleicht wieder mehr Fördergelder kriegen? Die Daimler und Benz Stiftung ist unabhängig vom Konzern formal, aber trotzdem ist das Stiftungskapital vom Konzern. Und auch der Konzern kann das Geld, das Stiftungskapital aufstocken. Ich habe nie erlebt, dass der Konzern irgendwo da reingefunkt hat und mir haben auch die Leute … Also am Anfang habe ich so ein bisschen gesagt, Mensch Daimler Benz und so was, habe versucht, dass das auch technikrelevant ist und so was, da haben die mir ganz klar gesagt, auch der Vorstand der Stiftung, das ist für uns völlig irrelevant, ob Sie Daimler Benz interessant finden und ist auch völlig unwichtig, ob das technisch irgendwie interessant ist für Daimler und Benz, was hier erforscht wird, es geht darum, gute Forschung zu machen. Und das hat mich ziemlich beeindruckt von der Haltung und das hat sich eigentlich auch durchgezogen durch diese Interaktion mit der Stiftung. Es gab zwar einen Zusammenhang, aber für die war ganz wichtig, immer wieder zu betonen, es geht uns nicht darum, dass die Forschung irgendwie relevant für den Konzern sein muss. Kann man auch wieder diskutieren, ob es Feigenblatteffekte gab. Also ob man sagt, dass so eine Stiftung quasi positive Dinge fördert, damit der Konzern gut dasteht, war nie mein Eindruck. Also ich habe nie mitbekommen, dass der Konzern zum Beispiel jetzt mit der Forschung angegeben hat, die durch die Stiftung gemacht wurde. Deswegen ich habe da eine ganz gute Erfahrung mit gemacht zu sagen, es hat nicht geklappt. Ich habe mit dieser Stiftung ganz gute Erfahrungen gemacht, ich habe mir aber auch oft die Frage gestellt, wie ist das so mit der Unabhängigkeit von Stiftungen, wer funkt da eigentlich mit rein mit seinen Interessen? Und ich habe gemerkt, dass das wirklich interessant ist. Und dass dieser Punkte gerade von Stiftungen, von privaten Stiftungen, wie werden wir medial sichtbar, ein ziemlich relevanter Punkt ist. Wenn ich bei der Stiftung angefragt habe, haben mir die oft nach einer Weile gesagt, für uns ist es wichtig, dass wir gesellschaftlich was tun, dass wir gesellschaftlich relevante Themen bearbeiten, aber die Sichtbarkeit war auch immer wieder Thema, dass es darum ging, Themen zu bearbeiten, die auch sichtbar werden. Das haben Mitarbeiter auch immer wieder relativ schnell gesagt so. Das ist so ein bisschen das Spannungsfeld der Förderung gewesen. Aber letztendlich muss ich sagen, ich habe sehr sehr gute Erfahrungen damit gemacht, sehr offen damit umzugehen, wie wir forschen und wenn auch was schiefgeht.

Tim Pritlove
0:42:34

Jetzt hast du dir ja aber auch über ein paar andere Sachen Gedanken gemacht jenseits des Internets. Und heute wollen wir mal ja so ein bisschen auf die Zeit blicken und wie die Gesellschaft eigentlich mit sich selber klarkommt. Das fing ja ganz gut an dieses Jahrzehnt so. Erstmal drohte eine Kriegseskalation im Nahen Osten, dann wurde Australien von den größten Buschfeuern und längsten und langanhaltendsten Feuern seit der Geschichte, glaube ich, Australiens, soweit man sie kennt, belegt. Große Katastrophe. Der Klimawandel ist in zunehmendem Maße in der Debatte, befördert durch ziemlich dramatische Messungen, statistische Erhebungen über Temperatur sowohl in der Arktis als auch in der Antarktis heißeste Monate. Es nimmt eigentlich überhaupt gar kein Ende. Terrorangst ist auch immer mal wieder ein Thema. Wir nehmen die Sendung jetzt hier Ende Februar 2020 auf und haben gerade diese Anschläge in Hanau erlebt. Der Corona-Virus macht sich, jetzt durch Europa zu marschieren und hier auch alles lahmzulegen und von den politischen Problematiken in Großbritannien und in den USA möchte ich gar nicht erst anfangen. Also liegt einiges auf dem Tisch und so die Leute schieben dann doch sehr unterschiedliche Ängste auch mit sich rum. Und jetzt stellt sich natürlich so ein bisschen die Frage, was passiert da eigentlich und sind wir als Gesellschaft, als globale Gesellschaft, aber vielleicht eben auch hier als lokale deutsche mitteleuropäische Gesellschaft ausreichend gerüstet, mit der Komplexität unserer Welt überhaupt noch klarzukommen, so ein bisschen auch die Frage wie mit dem Internet so, oder nicht oder auf welche Art und Weise kann man das machen. Wie siehst du denn so die Dramatik der Situation? Ist alles ganz furchtbar und wir sollten in den Bunkerbau gehen, wie das in den 50er/60er Jahren schon mal ganz populär war?

Jan Kalbitzer
0:45:05

Die Sache ist und da habe ich auch Kollegen für kritisiert, dass Wissenschaftler sich oft mit Meinungen einmischen. Und ich muss sagen, gerade bei diesen gesellschaftlichen Veränderungen auf globaler Ebene, da ist bei mir schon noch irgendwie das wissenschaftliche Interesse im Vordergrund. Ich habe so ein bisschen eine schlechte Beobachterposition in der Mitte von Berlin. Das heißt, alles was irgendwie in Deutschland schiefgehen kann, kann auch in Berlin schiefgehen. Es würde vielleicht Sinn machen, so ein bisschen weiter außen zu stehen, vielleicht würde ich dann so ein bisschen entspannter sein, aber ich finde diese Prozesse gerade wahnsinnig interessant aus wissenschaftlicher Perspektive. Wie geht die moderne Gesellschaft mit Veränderungsprozessen um? Und gerade in Bezug auf das Internet und die Forschung, die wir da gemacht haben, bin ich ziemlich zuversichtlich, weil es große Ängste gab, was das Internet mit der Gesellschaft macht und es hat auch wahrscheinlich einige negative Effekte auf gesellschaftlicher Ebene gehabt, aber wir haben ein ganz frühes Bewusstsein von Dingen und wir reagieren sehr schnell aus der Zivilgesellschaft heraus. Also diese Prozesse, die möglicherweise dazu geführt haben, dass bestimmte Cluster von Leuten im Netz, die Meinungen gepostet haben, in bestimmte Richtungen einen Wahlausgang beeinflusst haben. Die Sache ist die, dass es das bei Obama ja auch schon gab. Und da bin ich dann wieder medienkritisch, dass ich sage, das haben wir nicht gut genug aufgearbeitet, dass Barack Obama schon im großen Stil Facebook-Daten benutzt hat, um Wähler ganz individuell anzusprechen und zu gucken, wem muss ich was sagen, damit der meine Kampagne gut findet? Da war Donald Trump ja nicht der erste. Und da glaube ich, dass wir da auch gerade als Wissenschaftler, aber auch Journalisten, viel mehr versuchen müssen, objektive Aufarbeitung zu leisten, um uns nicht angreifbar zu machen, parteiisch zu sein. Ich finde diese Prozesse primär wahnsinnig spannend, weil ich merke, wie schnell die Welt reagiert auf Dinge. Also wir haben strak reagiert auf die Verbreitung von Aggressionen und Hass im Internet. Es gibt gesetzliche Veränderungen, es gibt gesellschaftliche Veränderungen, dass es Bewegungen gab wie, ich bin hier, worauf reagiert wird, wenn es in irgendwelchen Bereichen hasserfüllte Angriffe gab. Wir lernen Verhaltensweisen wie man mit Trollen umgeht oder wie man mit Aggressionen im Netz umgeht, wir debattieren da sehr umfangreich drüber und gucken, was wir ändern können. Das heißt, wir nehmen ganz schnell wahr, was für Prozesse stattfinden und reagieren auch ganz schnell drauf. Das finde ich ganz positiv. Genauso beim Corona-Virus. Das Corona-Virus hat sich in China ausgebreitet und die Geschwindigkeit, mit der das erforscht wird und Maßnahmen ausprobiert werden ist atemberaubend. Und das finde ich faszinierend und auch ermutigend, muss ich sagen. Und genauso wie die Wahl von Donald Trump oder auch die Entwicklungen in England vom Brexit angefangen dazu führen, dass Menschen sich politisch und gesellschaftlich mobilisieren. Das heißt, wir haben Effekte und Gegeneffekte. Und ich glaube, da bin ich eher auf der Seite der Wissenschaftler. Genauso was den Klimawandel angeht, dass wir im letzten Jahr viel mehr Ökostrom produziert haben, weil es viel mehr Sonnenlicht gab und viel mehr Wind und dadurch der Anteil an Ökostrom größer war als erwartet. Das heißt, es gibt so synergistische Gegeneffekte offenbar. Da bin ich, glaube ich, zu sehr in der Faszination um Angst zu haben. Aber als Psychiater denke ich natürlich drüber nach, was die Angst mit den Menschen macht. Was passiert, wenn es hier kippt in Deutschland?

Tim Pritlove
0:48:50
Jan Kalbitzer
0:48:52

Wenn die Ängste so stark sind. Genau, wenn Leute immer mehr anfangen Panikkäufe zu tätigen, sich in ihre Wohnung zurückzuziehen, nicht mehr am öffentlichen Leben teilzunehmen, das ist bedrohlich. Und auch da gibt es Entwicklungen im Internet, die man verfolgen kann, dass sich Menschen zurückziehen aus öffentlichen Debatten, weil sie das Gefühl haben, ich habe zu viel Angst vor persönlichen Angriffen, vor Hass und mache deswegen nicht mehr mit. Es gibt diese Stoischewsche Schweigespirale, dass Leute sich aus Diskursen zurückziehen aus Angst und da gibt es aus den USA eine ganz interessante Studie, dass Leuten Fragen gestellt wurden per Email und die sollten dann antworten und die eine Gruppe hat dann die Zusatzinfo gekriegt, dass man nicht sicherstellen könne, dass die Antworten nicht mitgelesen würden, zum Beispiel durch Geheimdienste. Und diejenigen, die diese Zusatzinfo gekriegt haben, haben deutlich angepasster und vorsichtiger auf die Fragen geantwortet. Das heißt, die Art und Weise, wie wir uns äußern, sogar in einem nicht-öffentlichen Schriftverkehr im Internet, ist beeinflusst von der Angst vor Überwachung, vor Hass, vor Angriffen. Und deswegen mache ich mir als Privatperson schon auch Sorgen darum, was diese Angst mit diesen Menschen machen kann. Gleichzeitig ist es wieder so, dass Angst eine ganz wichtige Triebfeder ist. Wir reagieren momentan sehr stark auf die Veränderungen durch den Klimawandel, weil viele Menschen Angst davor haben. Ohne diese Angst hätten die Menschen nicht reagiert. Und das hat Geta Thunberg ja auch in Davos bei ihrem ersten Vortrag da gesagt, i want you panic und dann möchte ich, dass ihr reagiert, das hat sie zu denen gesagt. Und ich glaube, dass das eine ganz ganz wichtige Triebfeder ist, Angst und Wut sind wichtige gesellschaftliche Triebfedern für Veränderungen, die es auch braucht, um zu mobilisieren. Und das ist eine Mischung, die sich nicht einfach so beurteilen lässt. Das heißt, wir haben viele Veränderungen, die stattfinden, die bedrohlich sind. Wir reagieren viel schneller als früher auf bedrohliche Veränderungen aus der Zivilgesellschaft heraus und die Ängste und die Wut, die wir entwickeln, führen auch zu positiven Entwicklungen. Auch zu negativen, aber auch zu positiven. Und deswegen lässt sich das nicht so einfach beurteilen. Mir ist dabei wichtig, dass wir sagen, wie kann man aus diesen Ängsten positive Entwicklungen ableiten? Und da gibt es zum Thema Klimawandel ganz schöne Studien aus den USA, was dazu führen kann, dass Klimaangst dazu führt, dass Menschen tätig werden und sich nicht zurückziehen in die Angst und nicht in die Lähmung. Da geht es darum, dass wir unsere Umwelt als handhabbar wahrnehmen und das Gefühl haben, ich kann selber in meinem persönlichen Umfeld etwas zum Positiven verändern. Dann kann aus der Angst positive Aktivität werden. Das heißt zum Beispiel, dass politische Spielräume geschaffen werden müssen, dass Menschen vor Ort in ihrem Umfeld etwas tun können für die Verbesserung. Und dann weiß man, dass es Ansteckungseffekte hat. Wenn wir also ein Haus haben, meinetwegen wir verändern die Gesetzeslage so, dass in Berlin jetzt auch auf Altbauten auf dem Dach Solarplatten abgebracht werden dürfen, um grüne Energie zu erzeugen. Und dann fängt eine Hausgemeinschaft an, die Fassade zu begrünen und Solarplatten darauf zu bauen, man hat ein gemeinsames Projekt, freuen sich daran, denen geht es gut, weil sie was positives tun. Die Nachbarn kriegen das mit und sagen, Mensch das ist schön und dann gibt es so einen Effekt, der dann weiterstrahlt in die Umgebung und fangen vielleicht auch an das zu machen, es erhöht sich zumindest die Wahrscheinlichkeit. Deswegen ist ganz wichtig zu sagen, wie können politische Spielräume geschaffen werden, damit aus dieser Angst und dieser Wut positive Effekte entstehen können. Und dazu gehört eben, lokal Möglichkeiten zu schaffen und auch lokale Möglichkeiten sichtbar zu machen. Und da sehe ich wieder ganz wichtige Effekte des Internets, um Plattformen zu bilden, dass man sagt, ich sehe hier was in meiner Region, da möchte ich was ändern, was gibt es hier, was sind die Daten dazu und welche Leute sind vielleicht schon aktiv und beteiligen sich da und machen schon was? Da können digitale Plattformen ganz viele Möglichkeiten bieten. Wenn diese digitale Plattformen aber mit dem Verdacht einhergehen, dass da Daten abgegriffen werden oder überwacht wird, wie das in vielen Smartcitys zum Beispiel schon der Fall ist, hat man einen gegenteiligen Effekt. Da gibt es Studien, die vergleichen Studien so aus der ehemaligen DDR, wenn Menschen das Gefühl haben, überwacht zu werden, dann ziehen sie sich aus dem öffentlichen Diskurs zurück und werden fremdenfeindlicher, also kritischer Fremdem und Neuem gegenüber. Das heißt, wenn wir diese Plattformen bauen digital, müssen wir sicherstellen, dass Menschen nicht Angst haben müssen, überwacht zu werden und dass ihre Daten gegen sie verwendet werden können, das ist so die Herausforderung.

Tim Pritlove
0:53:28
Jan Kalbitzer
0:55:06

Also was die Politik angeht ist für mich der wesentliche Punkt, dass Politiker ja auch hilflos sind und denen muss man sagen, passt auf, es ist wichtig, nicht unbedingt große nationale internationale Maßnahmen zu beschließen, das ist auch wichtig, vieles kann nur auf globaler Ebene gelöst werden, aber für das Engagement der Bevölkerung und für die psychische Befindlichkeit der Bevölkerung ist es einerseits wichtig, lokale Spielräume zu schaffen, damit aus der Angst Engagement werden kann, also zu sagen, auch da ist es ganz wichtig, wenn wir fragen, wie gehen wir mit der Apokalypse-Angst der Menschen in der Gesellschaft um, dann muss man sagen, da muss insofern politisch gehandelt werden, als dass man einen Fokus legt auf lokale Handlungsspielräume. Das muss viel mehr ausgebaut werden. Beteiligung in der Stadtentwicklung zum Beispiel muss viel mehr ausgebaut werden, so dass Leute das Gefühl haben, sie können selber an der Klimafreundlichkeit ihrer Stadt hin zum Beispiel zur, man nennt es jetzt, Schwammstädte, Spongecity, die in Zeiten massiver Regen dann Feuchtigkeit aufsaugen und dann die zur Verfügung haben, wenn längere Trockenphasen da sind, wie können sich da zum Beispiel Menschen direkt beteiligen. Das ist einfach für die psychische Gesundheit wichtig. Gleichzeitig und das ist ein Punkt, den du auch genannt hast, es ist wichtig, keine Illusionen zu erzeugen. Also wenn jetzt die Ansage kommt, wir strengen uns alle an und fahren nicht mehr Auto und bauen Solarplatten auf die Dächer, dann können wir den Klimawandel vermeiden, dann erzeugt man eine Illusion, die gefährlich ist, weil die Leute in zehn Jahren dann sagen werden, wir haben alle Solarplatten auf die Dächer gebaut und wir haben aufgehört Auto zu fahren und jetzt ist trotzdem der Klimawandel da. Das heißt, man muss schon sagen, man kann das durch individuelle Maßnahmen nicht stoppen, es lässt sich nicht unbedingt alles aufhalten. Es gibt Veränderungen, aber man kann erstens was dagegen tun, dass es sich noch mehr verändert, das ist aber im individuellen Spielraum begrenzt, man kann aber auch was tun, um sich lokal anzupassen an Veränderungen. Wie zum Beispiel bei einer Schwammstadt, dass man sagt, wie gehen wir mit Flüssigkeitsspeichern um oder bauen wir jetzt noch mehr … Man hat ja gemerkt, dass das Grundwasser sich immer weiter erwärmt, weil es viel Kühlung gibt durch, es gibt zum Beispiel Büros, die machen dann so Erdbohrungen und kühlen ihre Büros durch die Kälte aus dem Boden. Oder andersrum gibt es auch Wärme, die aus dem Boden nach oben geführt wird, um im Winter zu wärmen. Und man weiß, dass dieser Effekt dazu führt, dass sich die Temperatur des Grundwassers anhebt und da möglicherweise Mikroorganismen verändern. Und so was ist etwas, was man lokal beeinflussen kann. Das heißt, wir können die Qualität des Berliner Trinkwassers dadurch beeinflussen wie neue Gebäude gebaut werden und wie die zum Beispiel ihr Temperaturkonzept aufbauen. Da kann man einiges machen, was unsere persönliche Anpassung an Veränderungen verbessert, die auf jeden Fall kommen werden. Also es ist beides. Man darf keine falsche Illusion machen, man muss sagen, es geht nicht nur um eine Verhinderung, sondern es geht auch um eine Anpassung und da muss man sagen, was können Menschen lokal tun, um sich besser anzupassen, damit es nicht nur in die Lähmung geht. Die Energie, die durch Angst und Wut auch sonst entstehen kann.

Tim Pritlove
0:58:11
Jan Kalbitzer
0:58:53
Tim Pritlove
0:59:15
Jan Kalbitzer
0:59:18
Tim Pritlove
0:59:31
Jan Kalbitzer
0:59:34
Tim Pritlove
1:00:49
Jan Kalbitzer
1:00:51

Podcasts hören zum Beispiel. Wobei jetzt wir in die weite Welt der Angst hinausgegangen sind und das ganz viele Themen sind, deswegen ist es vielleicht auch gar kein schlechtes abschließendes Thema dieser Nischen. Diese Nischen sich selbst zu schaffen ist erst mal was positives. Und es gibt Forschungen, theoretische Forschung, zu der Frage, hat Depression evolutionär mal Sinn gemacht? Also es gibt ja ganz viele Menschen, die Depressionen irgendwann entwickeln, da muss man sich ja fragen, ist das eine Reaktion des Menschen, die sinnvoll war, ist sie deswegen erhalten geblieben? Und da gibt es Theoretiker die sagen, dass eine Wirkung, Randolph Nesse heißt einer, der über so was geschrieben hat, ist Depression an Adaptation, ich glaube, so heißt der Artikel und der beschreibt unter anderem, dass dieser Rückzug der Depression viele positive Effekte auch haben kann. Zum Beispiel dass man Unterstützung durch andere mobilisiert, wenn einem alles zu viel wird, aber dass man sich auch rauszieht aus herausfordernden Umständen, die einem zu viel geworden sind und dann sich Schutz sucht, um wieder Kraft zu sammeln. Zum Beispiel evolutionär gesehen vielleicht aus einem Konkurrenzkampf. Wenn man immer wieder in Konkurrenzkampfkämpfen gescheitert ist, dass man irgendwann so eine Art Depression entwickelt, sich zurückzieht und nicht weiter kämpft, um sich nicht weiter zu verletzen, und man vielleicht entweder neue Kraft sammelt oder in ein anderes Territorium geht, aber erst mal Kräfte schont. Deswegen ist diese Rückzugsreaktion eine richtige. Sie wird dann problematisch, wenn man sich vollständig zurückzieht und der Antrieb immer mehr nachlässt. Weil das so ist, das hat auch mit der Entwicklung von Depressionen zu tun, Rückzug kann eine positive Reaktion sein, aber sie führt auch dazu, dass wir immer weniger positives Feedback kriegen. Wenn wir uns sozial zurückziehen, weniger mit Freunden machen, kriegen wir auch weniger positive Rückmeldungen, erleben weniger schöne Dinge, das heißt, wir haben weniger Verstärker für das Positive in unserem Leben. Und wenn man so weit in den Rückzug reinkommt, dass man keine Verstärker mehr hat, die einen zurückbringen ins Leben, dann ist die Gefahr, in so eine Depression abzurutschen und dann wird es problematisch. Das heißt, wir müssen einerseits sagen, der Rückzug ist eine legitime Entwicklung, auch das Umfeld. Nicht sofort, oh Gott oh Gott, du ziehst dich zurück, du liest die Nachrichten nicht mehr, ist nicht unbedingt eine schlechte Reaktion, aber wachsam zu sein und zu sagen, pass mal auf, so ein bisschen positive Dinge sollte man sich erhalten. Und ich glaube, dass der Punkt, den wir jetzt in dem Podcast auch machen können, ist zu sagen, es ist okay. Es ist okay, sich zurückzuziehen und nicht die ganze Welt sehen zu wollen. Es ist okay, sich nicht mit allem auseinandersetzen zu wollen und den ganzen Stress zu haben, man darf nur nicht verlernen, sich Herausforderungen zu stellen. Und das ist im Prinzip die gleiche Essenz, die ich auch aus der Internetforschung dann so mitgenommen habe, dass es ein wunderbarer Ort sein kann, wenn man ihn nicht nutzt, um sich soweit zurückzuziehen, dass man Herausforderungen, die durch die direkten Interaktionen mit Menschen entstehen, verlernt. Das würde ich so ein bisschen als die Gesamtessenz des Ganzen dann am Ende bezeichnen. Das ist keine Hypothese, die ich wissenschaftlich bewiesen habe, sondern das ist das, was ich in den Gesprächen, die ich als wissenschaftliche Interviews und auch mit Leuten darüber hinaus geführt habe, so mitgenommen habe. Diese Fähigkeit, Herausforderungen anzunehmen zu behalten. Menschen in die Augen zu blicken und die Präsenz des anderen aushalten zu können. Und es gibt einen Philosophen, Levinas heißt der, der hat über die Unendlichkeit des Anderen geschrieben. Der sagt, dass die Auseinandersetzung mit der Unverständlichkeit anderer Menschen ganz wichtig für uns ist, weil wir dadurch erstens ständig üben, uns verständlich zu machen. Also man wächst ja als Kind auf und denkt, die Welt ist so, wie man selber die sieht und irgendwann merkt man, man muss sich mit anderen austauschen und muss eine Übereinkunft darüber finden, was zum Beispiel ein Stuhl ist. Also ich sehe einen Stuhl möglicherweise anders als du, aber wir haben eine Übereinkunft dafür, das ist irgendwas wo man sich draufsetzt und der muss bestimmte Dinge können. Gleichzeitig haben wir vielleicht ganz andere Assoziationen zu Stühlen. Und dieses miteinander Ringen, so wie wir das auch in dem Podcast tun, ein gemeinsames Verständnis zu finden, die Welt irgendwie gemeinsam zu verstehen, das bringt uns Menschen zueinander. Das gibt uns etwas sehr positives in der zwischenmenschlichen Interaktion, was uns bestärkt und es hat den anderen positiven Effekt, dass es Demut lehrt in dem Sinne, dass meine eigene Sicht auf die Welt nicht die einzige und nicht die wichtigste ist, was sehr erleichternd sein kann, wenn man nur mit sich alleine ist und nur seinen eigenen Blick hat, dann fühlt man sich auch manchmal sehr verantwortlich und ist überfordert damit, alles irgendwie einschätzen zu müssen.

Tim Pritlove
1:05:36
Jan Kalbitzer
1:05:40

/lacht/ Genau, also solche Auseinandersetzungen zu führen. Wenn wir das jetzt führen würden, wenn wir hier sitzen würden, eine Stunde darüber reden würden, was ist eigentlich ein Stuhl, was ist ein Sessel, wir wären am Ende beide, wir würden rausgehen, wenn das ein spannendes Gespräch ist und uns wohlfühlen, weil wir miteinander gerungen haben, uns gegenseitig zu verstehen. Und das ist ein ganz wichtiger Prozess für Menschen, es ist ganz egal, um was es dabei geht. Und ich mache auch Therapien mit Gruppen, die ich anbiete, wo die Leute wahnsinnig viel mitnehmen, einfach nur, weil sie gemeinsam darüber reden, wie es ist Angst zu haben und sich auszutauschen, zu sehen, wie nehmen andere das wahr, wie gehen sie damit um. Und diesen Prozess aufrechtzuerhalten ist das wichtige. Also es sind große Herausforderungen, wir verstehen nicht alles, es gibt positive und negative Aspekte daran, es führt bei einigen Menschen zu Angst und Überforderung und es ist okay, sich dann zurückzuziehen, aber es ist wichtig, diese zwischenmenschliche Interaktion aufrechtzuerhalten in der Auseinandersetzung mit der Unverständlichkeit des anderen, die wir immer wieder akzeptieren, weil uns das auch ein bisschen was befreiendes gibt, dass das eigene nicht das wichtigste ist und man so ein bisschen da rauskommt aus der eigenen Weltsicht und sich auch wieder mehr als Teil der Gemeinschaft fühlt. Und wir wissen aus der psychologischen Forschung, dass es unheimlich zur Resilienz beiträgt und gut ist für die Psyche, wenn man das Gefühl hat, Teil von etwas zu sein, was größer ist als man selbst, das ist wahnsinnig schützend psychisch. Gerade in Zeiten wie jetzt, wo wir vor großen Herausforderungen stehen.

Tim Pritlove
1:07:07
Jan Kalbitzer
1:08:34

Also das Interessante ist ja China. China ist so wahnsinnig spannend für all diese Fragen, weil China ein absoluter Streber ist, was den Klimawandel angeht. Also China hat unheimlich gute Zahlen vorgelegt, was das CO2 und andere Messwerte angeht. Und weil es einfach von oben Dinge umsetzen kann im ganzen Staat. China hat rigoros reagiert auf das Corona-Virus und China kontrolliert das Netz relativ rigoros. Und gerade was den Klimawandel angeht muss man sagen, vielleicht rettet uns China. Wo wir dann sagen müssen, rechtfertigt das bestimmte Formen der politischen Handhabung von Prozessen, die wir in demokratischen Systemen eigentlich ablehnen? Diese Diskussion haben wir jetzt ja auch beim Corona-Virus, wenn überlegt wird, kann man auch in Deutschland ganze Gemeinden abriegeln? Jetzt ist heute in NRW einen Gemeinde quasi stillgelegt worden, Schulen, Kitas, der öffentliche Nahverkehr, weil es da einen Fall gab mit einer schweren Erkrankung, der aufgedeckt wurde. Und das ist so ein bisschen die Frage, wie weit ist man bereit, solche Schritte zu tun? Ich finde und da kommen wir wieder zu der Frage, was ist eine digitale, was ist eine analoge Welt? Und welchen Herausforderungen muss man sich stellen? Wenn Facebook zum Beispiel ganz ganz viele aggressive Posts löscht, einfach rausnimmt, dann verändert es damit auch die Realitätswahrnehmung. Also wir sehen bestimmte Dinge nicht. Und das ist genau dieses zweischneidige Schwert, es gab ja die Frage, ab wann darf WhatsApp von Jugendlichen genutzt werden, weil es auch dann Sexualstraftäter gibt, die sich Jugendlichen nähern können über WhatsApp. Ja, das große Problem ist, es gibt Sexualstraftäter, die sich über WhatsApp an Jugendliche ranmachen können, es gibt aber auch einen Vorteil daran, nämlich es ist nachweisbar. Das heißt, man kann nachverfolgen, man sieht es schriftlich, wann hat sich welcher Straftäter wem genähert? Und dann ist die Frage, wie darf man solche Daten nutzen, wie darf man die auswerten? Und ich glaube, dass das das Hauptproblem ist jetzt. Wenn wir darüber reden, was in Twitter diskutiert und gesagt werden darf und was sofort gelöscht werden muss, was angezeigt wird, dann sind wir genau in der Diskussion, wieviel der Realität lassen wir zu und müssen wir aushalten und wieviel darf und sollte nicht zugelassen werden, wieviel muss bestraft werden, das ist eine wahnsinnig komplizierte Frage, die hinter all dem steht, die überhaupt nicht leicht zu beantworten ist. Ich glaube, dass sich da schon ganz viel tut momentan, dass sich ganz neue Wege ergeben, wie Sachen angezeigt und dann auch gelöscht werden können. Und man merkt, dass es nicht ganz rund läuft, aber dass sich vieles auch schon da verbessert. Dass schneller zum Beispiel auf Twitter aggressive Kommentare gelöscht werden. Es werden immer wieder falsche Leute gesperrt, es werden immer wieder falsche Kommentare gelöscht und Dinge, die wirklich aggressiv sind, weil sie irgendwie klausuliert formuliert werden, werden nicht gelöscht. Aber wir reagieren darauf und wir führen die Debatte. Ich sehe eher das Problem da, dass sich Menschen vom Diskurs zurückziehen und sagen, ich will da nicht mehr mitdiskutieren. Robert Habeck war so ein Fall, der gesagt hat, ich gehe raus aus den sozialen Medien, weil ich dazu verführt werde, auf eine bestimmte Art und Weise zu reagieren, das war ja, nachdem er zweimal gesagt hat, wenn mehr grün gewählt wird, wird es demokratischer. Das war ja erst in Bayern und dann, glaube ich, in Thüringen, dass es da um die Wahlen ging und dann irgendwie die Prognose so ein bisschen war, irgendwie es wird grüner und dann hat er gesagt, endlich kommt die Demokratie, weil es mehr Stimmen für grün gab und hat dann gesagt, also jetzt verkürzt gesprochen, in den sozialen Medien wird man dazu verführt, Sachen auf eine bestimmte Art und Weise zu sagen. Und hat sich dann daraus zurückgezogen. Und so was finde ich total falsch. Ich finde, man muss sich um diesen Diskurs bemühen und nur dann kann er besser werden. Man kann auch sagen, irgendwas funktioniert gar nicht mehr. Man kann sagen, auf Twitter bestimmte Bereiche sind so von Aggressionen verseucht, wir machen das zu, wir gehen da nicht mehr hin, aber trotzdem muss es so sein, dass es Plattformen geben muss, auf denen wir gemeinsam darum ringen, einen guten Diskurs zu haben. Und das ist aus meiner Sicht der einzige Weg, wir müssen neue Kulturen aushandeln.

Tim Pritlove
1:13:04
Jan Kalbitzer
1:13:09
Tim Pritlove
1:13:40
Jan Kalbitzer
1:13:41
Tim Pritlove
1:13:44
Jan Kalbitzer
1:13:47
Tim Pritlove
1:14:24
Jan Kalbitzer
1:14:25
Tim Pritlove
1:14:50
Jan Kalbitzer
1:15:22

Also es gibt sicherlich auch Leute, die unter dem Schutz der Anonymität aggressiv sind im Netz, das gibt es auch. Aber es gibt unglaublich viele Menschen, die unter ihrem Realnamen aggressiv sind. Und gerade wenn ich so Debatten nach Veröffentlichungen geführt habe und Leute nachgeguckt habe, das waren zum Teil Akademiker, also die an der Uni gelernt haben, die total aggressiv waren auf Facebook, als Reaktion auf einen Artikel, den ich geschrieben habe, das waren Lokalpolitiker und dann habe ich den manchmal geschrieben über ihren öffentlich zugänglichen Email-Account und gesagt, was sie denn so wütend gemacht hat? Die haben sich total auf die Füße getreten gefühlt und hatten das Gefühl, dass ich quasi so eine Art Stalking gemacht habe. Also die haben auf Facebook öffentlich aggressiv auf einen Artikel reagiert, den ich geschrieben habe. Und dann habe ich auf deren Profil geguckt und da stand, die arbeiten für die und die Uni und sind da und da. Dann habe ich auf deren Uni-Seite geguckt, die Email-Adresse genommen und denen geschrieben, ob wir vielleicht erst mal so direkt in Kontakt treten wollen, was sie so aggressiv macht. Da haben die zum Teil wahnsinnig wütend reagiert, dass ich da so ein Stalking machen würde, wo ich gesagt habe, aber Sie sind doch mit mir in Kontakt getreten. Das heißt, es gibt so eine, was ich gemerkt habe in diesen Diskursen, dass viele Menschen gar kein Bewusstsein für die Öffentlichkeit haben. Sie merken den Effekt der positiven Verstärkung, dass sie ganz viel positives Feedback kriegen, wenn sie was aggressives posten, aber ihnen ist gar nicht bewusst, dass sie da öffentlich agieren und welche Auswirkung dieses öffentliche Agieren auch hat. Und wenn ihnen das bewusst gemacht wird, reagieren sie zum Teil aggressiv oder peinlich berührt oder schockiert und machen Accounts zu und das ist aus meiner Sicht ein ganz wesentliches Element, dass noch kein Bewusstsein da ist für diese Öffentlichkeit, in der Menschen da agieren und welche Auswirkungen das öffentliche Agieren haben kann.

Tim Pritlove
1:17:12
Jan Kalbitzer
1:17:45
Tim Pritlove
1:17:46
Jan Kalbitzer
1:17:48

Ich erlebe sehr viele jugendliche Menschen, die einen ziemlich klugen Blick auf das Netz haben und bestimmte Messenger-Dienste nicht mehr nutzen, andere sind da total naiv, will ich mal sagen. Ich habe in Schulen mit Schülern gesprochen und gefragt, was für sie Privatsphäre ist und da haben sie gesagt, wenn meine Eltern nicht mitlesen, was ich auf Instagram mache. Und da habe ich gesagt, ja gut, aber die Leute auf Instagram die dürfen es auswerten? Das war denen völlig egal, da ging es darum, dass die Eltern das nicht mitlesen. Die haben dann so einen Zweitaccount oder so, der dann irgendwie geheim ist, wo dann die harten Sachen gepostet werden. Wo es dann auch zum Beispiel darum geht, denen zu erklären, wie man sich schützt. ProFamilia macht da Bildung, wo sie sagen, wenn ihr schon Nacktfotos postet, dann wenigstens ohne Kopf, dass man euch nicht identifizieren kann, wenn ihr das irgendwann mal jemandem geschickt habt irgendwie als Liebesbeweis, ich schicke ein Nacktfoto an jemand anderen, dass die das nicht, wenn ihr euch trennt, wütend irgendwie für die ganze Schule posten. Ohne Kopf könnt ihr euch dann noch besser schützen, wenn ihr ein Bild ohne Kopf gemacht habt. Genau, aber bei manchen ist es totaler, bei anderen nicht. Ich habe schon Hoffnung, dass sich das entwickelt. Ich glaube andererseits auch, dass die Tatsache, dass öffentlich wird, was überhaupt an Diskursen da ist, auch einen positiven Effekt hat. Also einerseits ist es ganz furchtbar, dass viele grantige motzige Menschen viele böse Dinge im Netz sagen, andererseits haben die das in Vereinsheimen in den 80ern auch schon so gesagt. Und ich finde das auch durchaus, wenn wir jetzt mal von den Auswirkungen auf das Individuum, also wenn da mehrere Leute aggressiv ein Individuum angehen, was massive psychische Folgen haben kann, das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen, aber dass man sieht, was überhaupt vorhanden ist, finde ich auch einen wichtige Effekt des Internets. Dass diese Debatten auf einmal in der Öffentlichkeit stattfinden, die oft am Stammtisch stattgefunden haben. Und dass Leute sich damit in Geheimforen zurückziehen, finde ich nicht unbedingt besser. Ich finde wichtiger, so Leute im Diskurs zu behalten und um die und mit denen zu ringen darum, warum was möglich sein darf und die auch mit einzubeziehen und nicht … es gab diese, wie heißt denn dieser Spieleserver, auf dem sich da Leute austauschen?

Tim Pritlove
1:19:59
Jan Kalbitzer
1:20:00
Tim Pritlove
1:20:30
Jan Kalbitzer
1:20:36
Tim Pritlove
1:21:49
Jan Kalbitzer
1:21:57
Tim Pritlove
1:22:54
Jan Kalbitzer
1:22:57

Nein, ich habe mich über wirklich harte Sachen gestritten. Also es hat nie funktioniert, für mich hat das nie funktioniert. Ein paar Male haben mir Leute dann nicht mehr geantwortet dann irgendwann, aber meistens ist es dann irgendwann eine Auseinandersetzung geworden, wo ich gesagt habe, ich kann nicht tolerieren, wenn jemand gegen Minderheit hetzt, weil ich das grundsätzlich ablehne und ich kann nicht akzeptieren, dass Grenzen durch Tabubrüche immer weiter verschoben werden, weil ich glaube, dass es Tabus braucht in der Gesellschaft, auch wenn vielleicht Linke und Alternative Tabus zuerst in großem Maß mit gebrochen haben in der Moderen Zeit. Ich finde Tabubrüche nicht per se gerechtfertigt und finde wichtig, dass es diese Grenzen gibt jenseits der juristischen Grenzen. Und innerhalb dieses Rahmens waren oft wirklich gute Auseinandersetzungen möglich. Deswegen, also es hängt immer so ein bisschen von der eigenen Konstitution ab, aber wenn man sich selber eine Nische geschaffen hat, in der man sich wohl fühlt, kann ich sehr dazu raten, auch immer mal wieder rauszugehen und so Auseinandersetzungen zu führen, weil dadurch auch die Angst nachlässt. Also zu sagen, ich bin am Wochenende und abends in meiner Nische, ich habe zum Beispiel auf meinem Tablet keinen Browser und ich habe auch nur eine Tageszeitung, die ich immer wieder neu lade, die nicht so hektische Nachrichten hat wie jetzt die Online-Portale das haben und zu Hause und am Wochenende lese ich nur diese Tageszeitungen. Und lese nicht diese schnellen Nachrichten, die dann quasi durch die online-Seiten, wo es mehr um Klicks auch geht, durchflattern und ziehe mich bewusst zurück in meine Nische, in der ich mich mit den Sachen nicht so intensiv auseinandersetze, um unter der Woche den Debatten wieder besser gewappnet zu sein und auch sagen zu können, jetzt setze ich mich mal mit den Hardfacts zum Thema Corona auseinander oder zum Thema Klimawandel, um genau gucken zu können was ich mache oder diskutiere mal mit jemandem, der ziemlich harte rechte Meinungen vertritt und sage, es gibt Grenzen, aber über bestimmte Positionen bin ich bereit zu diskutieren. Da würde ich übrigens auch einen Unterschied zu Sascha Lobo machen, der ja gesagt hat, mit Rechts reden und dann so sagt, bestimmte Sachen da rede ich dann nicht mehr mit jemandem. Ich finde auch wichtig, die Tabus zu benennen, trotzdem denke ich, wenn die Gruppe immer größer wird derer, mit den wir nicht reden, weil wir so bestimmte Tabugrenzen definieren, Antisemitismus zum Beispiel. Wenn jemand antisemitische Dinge sagt, dann rede ich per se nicht mehr mit dem, das finde ich ein hehres Ziel, Das finde ich eigentlich richtig, die Sache ist nur, dass der Bevölkerungsanteil, den wir dann abspalten möglicherweise so groß ist, dass wir eine Spaltung kriegen, die uns als Gesellschaft zerstört. Und dann sind wir nicht mehr handlungsfähig und das heißt, obwohl man das für richtig hält zu sagen, bestimmte Tabugrenzen dürfen nicht gebrochen werden und die einzig redliche Reaktion darauf wäre, so jemanden komplett auszugrenzen aus der Auseinandersetzung. Da muss man sagen, dass es pragmatisch notwendig ist, die Tabugrenzen so zu ziehen, dass man nicht zu große Gruppen von der Gesellschaft abspaltet, weil es sonst einfach nicht mehr funktioniert. Das heißt, man muss mit Leuten in die Diskussion und Auseinandersetzung gehen, die man möglicherweise für politisch oder wo man denkt, dass das, was sie tun, politisch völlig verwerflich ist und was man total ablehnt, weil es anders nicht geht. Und um das zu können muss man eben sagen, was ist meine persönliche Basis, von der heraus ich handeln kann.

Tim Pritlove
1:26:29

Ich meine, an der Stelle muss man natürlich auch ein Gefühl entwickeln, weil es natürlich ein bisschen was anderes ist, ob ich mit jemanden in den Diskurs gehe, der mir Antisemitismus reindrücken will und auch ganz klar den Eindruck macht, dass ist eine bewusste Methode und da steckt eine viel tiefergehende Überzeugung dahinter und hier wird sozusagen so etwas quasi auch so als diskursische Waffe verwendet versus Leute, die dem halt nur auf den Leim gegangen sind, gar nicht bewusst eigentlich wissen, mit welchen Argumenten sie jetzt gerade um sich schleudern, weil es eben aus ihrer Nische, die entsprechend verseucht gewesen sein kann, wo man groß geworden ist, Familie, was auch immer, Beruf, was auch immer das soziale Umfeld ist, in dem man sich halt so rumtreibt, dass man dadurch einfach so sehr geprägt ist, dass man das gar nicht reflektiert, dass man das tut. So dieses, ich bin ja kein Nazi, aber …, das ist so dieses, ja ich verorte mich eigentlich gar nicht da, quatsche aber trotzdem den Scheiß nach, weil ich halt kurz gesagt gar nichts anderes gelernt habe oder so eine Dominanz hat. Das ist ja dann schon eher so der Ansatz, wo man sagen kann, hör mal, ich mache dir jetzt mal ein paar Sachen klar. Wenn man denn überhaupt diese Fähigkeit besitzt, sowohl das zu ertragen, herauszufiltern, womit habe ich es denn jetzt zu tun. Also das ist ja extrem schwierig, sich hier das passende Besteck zurechtzulegen oder überhaupt erst mal die Fähigkeit zu haben rauszufinden so, womit habe ich es jetzt zu tun, lohnt sich das Engagement an dieser Stelle? Und wenn es sich lohnt, wie gehe ich denn jetzt hier vor? Das ist ja ein extremer Aufwand und ich glaube, das ist auch etwas, vor dem viele Leute verzweifeln und dann sagen so, ist mir zu anstrengend, keine Ahnung, mit was für Leuten ich mich jetzt hier anlege, ich gehe dann mal weg, weil das macht mir einfach den Tag schlecht.

Jan Kalbitzer
1:28:28
Tim Pritlove
1:28:54
Jan Kalbitzer
1:29:00

Also auch da bin ich wieder kritisch, ich bin ja zu AfD-Veranstaltungen hingegangen, um mir das anzugucken und mein Eindruck war, dass die Leute total offen mit mir alle geredet haben. Die hatten zwar eine ganz andere Meinung und haben das für totalen Bullshit gehalten, was ich gesagt habe, und zum Teil fand ich auch ganz furchtbar was die gesagt haben, aber es gab niemanden, der nicht mit mir reden wollte, weil bei vielen auch der Wunsch da war, mich zu überzeugen. Und deswegen sind die mit mir in die Auseinandersetzung gegangen. Und wenn man dann merkt, das bringt gar nichts, dann kann man auch sagen, das ist mir zu viel, aber das muss man austesten. Und ich hatte da so ein Schlüsselerlebnis. Es gibt einen Journalisten von der Süddeutschen Zeitung, ich habe jetzt den Namen vergessen, der aber in seinem Profil öffentlich schrieb, dass er Journalist für die Süddeutsche Zeitung ist, das war also, da stand quasi was öffentlich von der SZ drin, da ging es darum, dass Christian Lindner von der FDP damals so ein bisschen versucht hat, mit Äußerungen im AfD-Milieu zu fischen. Und dann ging es darum, irgendwie wie soll man damit umgehen? Er diskutiert mit Renate Künast auf Twitter und schrieb dann so, lieber die FDP im Bundestag, glaube ich, als die Spackos von der AfD. Und da habe ich drauf reagiert und dann geschrieben, unabhängig von der politischen Meinung finde ich das völlig inakzeptabel, dass jemand, der als Journalist objektive Berichte liefern soll und als Journalist auf Twitter auftritt, so einen Kommentar da raushaut. Zum einen den Begriff Spackos, aber zum anderen über eine Partei so zu schreiben als persönliche Meinung, finde ich komplett falsch. Und das war der Punkt, wo mir die AfD folgte und ich mit denen, weil ich habe gar nicht gesagt, dass ich AfD-Positionen teile, sondern ich habe nur gesagt, ich finde so eine Art des Umgangs nicht in Ordnung, wo ich mit denen im Privatchat sehr offen in die Diskussion gekommen bin. Also ich teile nicht deren Ansichten, ich glaube, ich habe niemanden konvertiert, aber ich habe verstanden, wie man mit einer bestimmten Art von Argumenten besser umgehen kann. Und das habe ich auch, als ich für die Welt was geschrieben habe und danach in den Kommentarspalten mitdiskutiert habe, auch da habe ich gelernt, es gibt Positionen, die ich wirklich wirklich schlimm finde, und dann zu trennen, es gibt Aspekte bei den Personen, das eine ist eine tiefe Verbitterung und Wut und das andere ist eine Selbstvergewisserung, ich schreibe etwas aggressives und kriege dann ganz viel positive Bestätigung von anderen, also da ist so ein Strom drin, wo man da verstärkt wird. Schlecky Silberstein hat das anhand seiner Mutter beschrieben, die in so eine … Also er beschreibt, dass seine Mutter in diesem Buch über das Internet, wie hieß das Buch von Schlecky Silberstein, „Das Internet muss weg“, da beschreibt er in so einem Kapitel über seine Mutter, wo er schreibt, dass sie in so eine rechte Blase gerät, weil sie dann anfängt, so rechte Dinge zu posten und ganz viele positive Nachrichten und Feedback dafür kriegt. Das Phänomen, wie so was entsteht, wollte ich übrigens mal untersuchen mit Luka Hammer, der auf Twitter relativ viele coole Analysen macht. Haben wir immer noch nicht umgesetzt. Auf jeden Fall diesen Effekt, dass es eine Verbitterung gibt, dass es eine positive Verstärkung gibt und dann, und da komme ich auch wieder zu den Dingen mit den moralischen Prämissen der Forschung zurück, die Vorstellung, dass viele journalistische Artikel und auch wissenschaftliche Stellungnahmen auf der Grundlage einer moralischen Haltung und auch einer moralischen Rechthaberei entstehen, gegen die man sich zur Wehr setzen will. Und wie man mit diesen verschiedenen Aspekten umgeht, fand ich ganz interessant. Mich interessiert vor allem die Verbitterung. Wie wird jemand so verbittert, dass er alle Hemmungen fahren lässt und hetzt und Tabus bricht? Da möchte ich den Menschen gerne begegnen. Muss mich aber auseinandersetzen damit, dass die die ganze Zeit total positives Feedback für ihre harten Kommentare gegen mich kriegen, was sie total verstärkt darin, harte Kommentare zu schreiben. Und gleichzeitig habe ich den Aspekt drin, dass, wenn ich den Eindruck erwecke, dass ich meine wissenschaftliche Position nutze, um meine persönliche Meinung zu verbreiten, mich total angreifbar mache, diese Aspekte waren da so alle mit drin. Und da hatte ich so ein Schlüsselerlebnis. Ich habe einen Artikel für die Welt geschrieben, der hieß „Rettet Frauke Petry“, wo ich geschrieben habe, dass wir Brücken bauen müssen. Frauke Petry ist ja damals aus der AfD ausgetreten, der AfD-Fraktion und da habe ich gesagt, Leute passt auf, wenn wir jetzt ein positives Beispiel setzen und sagen, wir nehmen dich zurück in die Mehrheitsgesellschaft, wenn du sagst, das mit der Hetze war völliger Mist, das geht gar nicht und das mit den Tabubrüchen ist nicht in Ordnung, dann nehmen wir dich zurück auf in die Mehrheitsgesellschaft. Wir müssen diesen Schritt machen, um die Spannung zu überwinden und mehr Menschen zurück zu gewinnen, vielleicht folgen dann ja noch mehr nach. Das habe ich geschrieben für die Welt und total aggressive Kommentare gekriegt, wo dann auch so drin stand von wegen, nicht die AfD sind diejenigen, die sich irren, sondern die, die sich als Mehrheitsgesellschaft bezeichnen und hier argumentiert jemand aus der rechthaberischen Position heraus. Und das ging auf einen Blog von einem Politiker namens Holger Arpel, heißt der glaube ich, der ist irgendwo in, lass mich nicht lügen, Mecklenburg-Vorpommern, da stand der vorm AfD-Ausschluss und der schrieb was sehr negatives über meinen Kommentar. Von wegen dass es wie so eine Sekte wäre für die ich schreibe oder so was. Kehret um hieß dieser Kommentar von ihm, glaube ich, auf seinem Blog. Und unter diesem Kommentar, ich lese ja wirklich alles, unter diesem Kommentar war eine Antwort von einer Person, einem AfD-Anhänger, der schrieb, wenn die AfD erst an der Macht ist, dann müssen wir aufpassen, dass wir nicht die gleichen Fehler machen wie die Leute jetzt, nämlich dass wie die Minderheitenmeinungen unterdrücken. Das heißt, der hat geglaubt, wenn ich die AfD unterstütze, werden Minderheitenmeinungen wieder stärker möglich und wenn wir dann an der Macht sind, müssen wir aufpassen, dass wir nicht die gleichen Fehler begehen, wie die, die jetzt da gerade an der Macht sind, und Minderheitenmeinungen unterdrücken. Das ist ja eine Haltung, die ich total teile, von der Person, die den Eindruck hat, die AfD würde das wiederherstellen. Wie trete ich zu so jemandem in Kontakt, der das da so sagt? Der mich als einen totalen Spinner empfindet, der seine Position als Wissenschaftler und seine Möglichkeit zu publizieren ausnutzt, um seine persönliche Meinung zu verbreiten, dessen Grundhaltung ich aber total teile, wenn es darum geht, dass alle Minderheiten geschützt werden müssen in ihrer Meinungsfreiheit und ihrer Möglichkeit auf Gesundheit und Entwicklung. Das sind total interessante Fragen, die sich aufgetan haben. Das kann man aber nur, wenn man nicht davon überwältigt ist oder sich zu großen Gefahren aussetzt oder das Gefühl hat, das geht gerade gar nicht. Das heißt, man muss für sich den Kontext suchen, in dem man üben kann und in dem das für einen möglich ist. Man muss also Herausforderungen langsam steigern und auch ein bisschen rumprobieren, bevor man so weiß, was ist so mein Umfeld. Und dazu möchte ich eigentlich animieren. Das ist alles, was ich immer wollte, im Bezug auf das Internet und jetzt auch auf gesellschaftspolitische Veränderungen, wir müssen spielerischer sein, wir müssen weniger Angst haben vor Fehlern. Wir müssen sagen, mein Gott, es wird vieles schieflaufen, so ist menschliche Entwicklung. Es findet viel Entwicklung im Spiel statt, wir brauchen neue Kulturen, wie wir mit Internet umgehen, wie wir online kommunizieren. Wir müssen ausprobieren, um das zu finden, wir können nicht jeden Fehler gleich verteufeln. Wir dürfen uns nicht verdammen, wenn wir Fehler machen, nicht alles ist gleich ein Scheitern, sondern der Mut zu spielen und auszuprobieren ist das, was es braucht, und die Stärke zu haben, sich zu trauen auszuprobieren, in der Familie auch zu sagen, okay, dann akzeptieren wir doch als Familie mal, dass alle die ganze Zeit Smartphones nutzen und gucken, wie es uns nach einer Woche geht. Am Esstisch, auf dem Sofa, alle benutzen nur noch ihr Smartphone, dann setzen wir uns nach einer Woche gemeinsam hin und sagen, wie geht es uns jetzt? Wir haben vielleicht alle viel weniger miteinander gestritten, weil wir die ganze Zeit hinter den Geräten waren. Andererseits vermissen wir uns vielleicht auch ein bisschen und sind auch so ein bisschen belämmert, weil wir die ganze Zeit auf diese Bildschirm gestarrt haben. Ich finde ja, das größte Problem des Internets ist der Weg, auf dem es zu uns gebracht wird, dieser dumme zweidimensionale Bildschirm, das finde ich total anstrengend.

Tim Pritlove
1:36:40
Jan Kalbitzer
1:36:42
Tim Pritlove
1:36:58
Jan Kalbitzer
1:37:33

Da haben wir auch Befragungen übrigens zu gemacht. Wir haben gesagt, was unterscheidet eigentlich gesunde hochintensiv Nutzer von hochintensiv Nutzern, die sagen, sie sind davon krank geworden. Also wir haben versucht, Leute aus dem CCC-Umfeld zum Beispiel zu gewinnen für Befragungen, um zu gucken, Leute, die immer im Internet sind und denen es echt gut geht, was hält die eigentlich gesund, was sind denn die gesundhaltenden Faktoren, wenn man das Internet viel nutzt. Und andersrum, was sind bei hochintensiv Nutzern dann möglicherweise krankmachende Faktoren. Und ich habe durch diese ganze Arbeit und ich interagiere ja auch manchmal so als Außenstehender mit dem CCC-Umfeld, ein riesigen Respekt für diesen Mikrokosmos gewonnen, weil da viele Menschen sind, die in Krisen sind, die eine riesige Variation und Vielfalt an Lebensformen haben, die in der Mehrheitsgesellschaft, in der ich als Psychiater stattfinde, wahrscheinlich eine Diagnose kriegen würden. Im CCC-Umfeld gibt es diese Diagnosen nicht. Da ist diese Vielfalt erwünscht und wird auch geschützt und Menschen werden unterstützt. Natürlich kommt auch unter der vermeintlichen Vielfalt Aggression zustande und Rechtfertigungen, dass Leute sagen, Mensch ich will hier nicht als alter weißer Mann angegriffen werden, ich kann doch sagen was ich will, ich lasse mir hier nichts vorschreiben, auch das gibt es, genauso wie jenseits des CCC, aber grundsätzlich finde ich diese Offenheit unglaublich beeindruckend, die es in diesem Umfeld gibt. Zu sagen, wir unterstützen Menschen ohne dieses Clustersystem, psychiatrische Diagnosen zu haben, ohne darauf zu bestehen, dass der eine krank und der andere gesund ist.

Tim Pritlove
1:39:04
Jan Kalbitzer
1:39:08
Tim Pritlove
1:39:30
Jan Kalbitzer
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Tim Pritlove
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Jan Kalbitzer
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Tim Pritlove
1:42:19
Jan Kalbitzer
1:42:25
Tim Pritlove
1:42:25