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FG074 Stoffwechselforschung

Das neue Verständnis unseres Ernährungssystems, die ausgebremste Evolution und die Volkskrankheit Übergewicht

Fettleibigkeit wird im wahrsten Sinne des Wortes zu einem immer gewichtigeren Thema. Alleine in den USA bringt mittlerweile jeder Zweite zuviel auf die Waage. Betroffenen haftet das Stigma an, dass es ihnen an Willensstärke fehlt, die Kalorienaufnahme zu zügeln. Doch die Ursachen von Übergewicht sind vielschichtiger – und sie haben vor allem etwas mit der evolutionären Optimierung des Organismus zu tun, die aus der Zeit stammt, als Nahrung ein knappes Gut war. Auf unsere heutige Wohlstandsgesellschaft, in der in aller Regel kein Nahrungsmangel herrscht, ist der Mensch eben nicht angepasst.

Erst seit wenigen Jahrzehnten beginnt die Wissenschaft genauer zu verstehen, wie zum Beispiel das Insulinhormon im Körper seine Wirkung entfaltet. Wie der Mechanismus des Stoffwechsels im Einzelnen funktioniert, ist das Forschungsfeld des Mediziners Jens Claus Brüning. Er leitet das Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung und ist Direktor der Poliklinik für Endokrinologie, Diabetes und Präventivmedizin (PEDP) an der Universitätsklinik Köln.

Als Endokrinologe, also als Hormonfoscher nimmt Brüning keineswegs nur die Organe in den Blick, die man landläufig mit dem Thema Stoffwechsel in Verbindung bringt, wie die Bauchspeicheldrüse oder die Leber. Das Gehirn spielt tatsächlich eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des Energiehaushalts und somit auch für die Nahrungsaufnahme. In den letzten Jahren gab es eine geradezu revolutionäre Weiterentwicklung an Werkzeugen, um zu untersuchen, wie bestimmte Hirnzellen als Steuerungszentrale für den Stoffwechsel dienen. Ein weiterer Schritt, um nicht nur das komplexe Hormonsystem, sondern auch den Schalt- und Bauplan des Gehirns zu entschlüsseln.

https://forschergeist.de/podcast/fg074-stoffwechselforschung/
Veröffentlicht am: 17. Dezember 2019
Dauer: 1:15:19


Kapitel

  1. Intro 00:00:00.000
  2. Begrüßung 00:00:42.719
  3. Jens Claus Brüning 00:01:22.741
  4. Persönlicher Hintergrund 00:01:55.480
  5. Hormone 00:05:44.714
  6. Grundlagenforschung 00:09:11.806
  7. Stoffwechsel des Menschen 00:14:14.325
  8. Evolution unter Stress 00:19:44.881
  9. Übergewicht 00:27:22.351
  10. Interdisziplinärie Forschung 00:44:29.950
  11. Forschungsergebnisse 00:50:11.008
  12. Genetische Disposition und Schwangerschaft 00:53:16.570
  13. Fortschritte in der Neuroforschung 01:00:10.640
  14. Ausklang 01:13:37.529

Transkript

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Jens Claus Brüning
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Jens Claus Brüning
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Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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Jens Claus Brüning
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Jens Claus Brüning
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Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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Nein, überhaupt nicht, also da hat sich eine ganze Menge getan. Also wenn man sich das Ganze historisch anguckt, dann ist in den 20er Jahren Insulin als das Haupt den Zuckerstoffwechsel regulierende Hormon zum ersten Mal überhaupt identifiziert und charakterisiert worden. Und dann hat man halt sehr schnell festgestellt, dass es eine spezifische Gruppe von Patienten gibt, das sind die sogenannten Typ I Diabetiker oder die an so einem jugendlichen Diabetes leiden. Bei denen produziert der Körper kein Insulin mehr und das war damals, als Insulin identifiziert wurde, quasi eine tödliche Erkrankung, weil Insulin fehlte, und dann gab es halt zum ersten Mal die Möglichkeit, diesen Patienten dann künstliches Insulin oder gereinigtes Insulin zurückzuführen, so dass da halt so eine, ich sage mal, per se tödliche Erkrankung in eine chronische Erkrankung überführt wurde. Aber was man halt weiß, ist, dass die größte Zahl der Patienten von dem sogenannten Altersdiabetes betroffen ist und bei dem produziert der Körper noch Insulin, aber es funktioniert nicht mehr richtig. Und das ist halt häufig assoziiert und geht Hand in Hand mit einem Übergewicht. Und überhaupt dieses ganze molekulare Verständnis, wie Insulin normalerweise wirkt, wie es nicht mehr wirkt, das sind alles Erkenntnisse, würde ich sagen, die wir in den letzten 20-30 Jahren zunehmend detaillierter verstanden haben. Also zum Teil immer noch nicht richtig verstanden haben, auf jeden Fall gibt es ein riesiges Forschungsfeld über die letzten 20 Jahre, das zunehmend detaillierter uns verstehen lässt, wie dieses Hormon normalerweise funktioniert.

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Jens Claus Brüning
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Nein, ich glaube schon, dass wir eigentlich in einen Raum reingucken, wo eine ganz gute Beleuchtung herrscht, und dass wir eigentlich auch viele Sachen sehr gut kennen. Man muss auch sagen, es gibt, also gerade im Bereich der Stoffwechselforschung, gibt es ja auch schon sehr lange sehr gute klinische Forschung, wo halt viele Phänomene auch beim Menschen sehr gut untersucht worden sind. Also wo dann halt vielleicht das letztendlich molekulare Verständnis nicht so ausgeprägt war, aber so diese fundamentalen Regelprinzipien, wie Nahrungsaufnahme funktioniert, wie die Leber ihren Stoffwechsel ans Essen anpasst, das sind alles Sachen, die werden auf sehr hohem Niveau seit bestimmt mehr als 100 Jahren untersucht, und da gibt es halt bekannte Physiologen, die schon Ende des 19. Jahrhunderts angefangen haben, das ganz ganz systematisch zu erfassen, zu beschreiben. Insofern ist das jetzt sicher nicht so eine ganz ganz dunkle Blackbox, von der wir keine Ahnung haben oder gerade mal reinleuchten. Aber was ich halt faszinierend finde am Stoffwechsel ist halt, dass im Grunde das ein Zusammenspiel des gesamten Organismus ist. Das heißt, das, was in der Fettzelle passiert, muss mit der Leberzelle abgesprochen werden, das Ganze wird am Ende vielleicht, das ist unser Forschungsfeld, auch vom Gehirn sozusagen orchestriert. Und man muss einfach Stoffwechsel als sehr sehr komplexes Geschehen sehen, wo man eigentlich viele Prozesse, die in einzelnen Organen ablaufen, gut aufeinander abstimmen muss, damit der Körper gut funktioniert. Und ich glaube, das ist so ein bisschen, was ich auf der einen Seite sehr sehr faszinierend finde, aber ist natürlich auch ein irrsinniges Komplexitätsproblem, wenn Sie sagen, wir wollen jetzt nicht nur verstehen, was passiert in der Leberzelle, wenn da Insulin draufkommt, sondern wie verhält sich die Leberzelle, wenn wir gerade was gegessen haben, was sind die anderen zehn Hormone, die auf diese Leberzelle gleichzeitig einwirken und wie integriert so eine Zelle diese ganze Information, die sie bekommt, von der Muskulatur, von dem Fettgewebe, vom Gehirn, um dann letztendlich eine Stoffwechselentscheidung zu treffen. Und das finde ich halt besonders spannend.

Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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Ja.

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Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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… im Prinzip geht es ja darum, wie ist die Physiologie unseres Körpers optimiert worden und die ist sicher in der Richtung optimiert worden, und insofern unsere Gene haben sich jetzt auch nicht in den letzten 50 Jahren verändert oder dass wir uns einfach von unserem Bauplan irgendwie so verändert haben, sondern das, was sich definitiv verändert hat, sind unsere Lebensbedingungen. Als diese quasi unlimitierte Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln. Aber was sich sicher auch verändert hat, was wir auch lernen, ist zum Beispiel, dass unser Organismus eigentlich sehr gut adaptiert ist an einen Tag-Nacht-Zyklus, nur um ein Beispiel zu geben. Wir nehmen Mäuse jetzt, die sind nachtaktiv, laufen nachts rum und schlafen tagsüber. Und die essen natürlich auch nachts, wenn sie aktiv sind. Und wenn man denen die gleichen Kalorien, wenn sie die nachts essen, über den Tag verteilt gibt, ohne mehr Kalorien zuzuführen, werden die an Gewicht zunehmen. Das heißt, wenn man einfach nur die Kalorien zur falschen Zeit des Tages gibt, führt das zu einer Gewichtszunahme, weil einfach während der nicht natürlichen Essenszeit die Stoffwechselwege nicht so effizient ablaufen. Und wenn Sie sich unsere Lebensbedingungen angucken, dann haben die sich halt auch fundamental geändert. Es gibt Schichtarbeit, es gibt komplett veränderte Art Tage und Nächte zu verbringen und gegebenenfalls halt auch zu Zeiten zu essen, die nicht die natürlichen Zeiten gewesen wären, für die unser Körper optimiert worden ist. Und insofern gibt es ganz ganz viele Umwelteinflüsse, die sich einfach in unserem derzeitigen täglichen Leben so verändert haben, und dann für uns nachteilig werden können, gerade was die Entwicklung von Stoffwechselerkrankung angehen kann.

Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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Ja, aber was Sie da, also ich glaube, was ganz ganz wichtig ist, um das nochmal ganz klar auszusprechen, ist, dass Übergewicht nichts zu tun hat mit Willensschwäche. Ich glaube, das ist eine Sache, die muss man auch mal ganz deutlich aussprechen. Das ist ja oft was, was so stigmatisiert quasi wahrgenommen wird, dass einer, der übergewichtig ist, dass das einfach fehlende Willensstärke ist, das jetzt nicht zu essen. Sondern wir haben einfach gelernt und das sind keine lang zurückliegenden Erkenntnisse, dass unser Gehirn auch letztendlich ein Organ ist. Also das heißt, wir haben ein Netzwerk von Nervenzellen, die optimiert darauf sind, Nahrungsaufnahme sicherzustellen. Und wir können jetzt nicht einfach davon ausgehen, dass wir so wunderbar weit entwickelte Organismen sind, die jetzt einfach, wenn sie nur genug wollen, sämtliche Prozesse per Gehirn übersteuern können, sondern man muss einfach sagen, das Gehirn ist entscheidender Teil des Problems, und zwar dass die Signale aus dem Körper zusammenlaufen im Gehirn und dann letztendlich da die Verschaltung stattfindet und dann findet die Entscheidung statt, esse ich, esse ich nicht? Und diese Gehirnschaltkreise, die sind genauso evolutionär optimiert worden und das System ist halt darauf hin ausgerichtet, diese Nahrungsaufnahme sicherzustellen. Und wir wissen auch, wenn man jetzt zum Beispiel mehr isst, aufgrund von Umwelteinflüssen, wenn einem das einfach zur Verfügung steht, dass diese normalen Schaltkreise dann nicht mehr richtig funktionieren, also dass die Signale, auf die das Gehirn normalerweise aus dem Körper anspricht, das ist ein Hormon, das sogenannte Leptin zum Beispiel, das wird normalerweise vom Fettgewebe freigesetzt, wenn der Körper genug Energie hat und das wirkt dann zurück aufs Gehirn und hemmt die Nahrungsaufnahme. Und man weiß, dass das Leptin, wenn man erst mal übergewichtig geworden ist, so ähnlich wie Insulinresistenz eine gewisse Leptinresistenz vorliegt. Also das Fettgewebe sendet das Signal aus, es gibt genug Fett, aber das Gehirn spricht nicht mehr richtig darauf an und übersteuert quasi dieses Sättigungsgefühl und das sind molekulare Defekte, also wenn wir das so beschreiben möchten. Also das ist jetzt nicht so, dass derjenige, der dann betroffen ist, ja wenn er nur stark genug möchte, dieses Problem übersteuern kann, sondern das ist so tief verankert in dieser Netzwerkstruktur, dass das keine Willensschwäche ist, sondern dass das letztendlich ein organisches Problem ist, genauso wie ein Herzinfarkt, wenn der Herzmuskel nicht genug Sauerstoff bekommt, dass diese Nervenzellsignale nicht adäquat weiterverschaltet werden.

Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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Jens Claus Brüning
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Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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von Signalen. Und wenn wir jetzt sagen, okay es gibt eine Zelle, die darauf spezialisiert ist, diesen Energiezustand kommuniziert zu bekommen, wie ist die dann weiter verschaltet? Nämlich letztendlich bis man dann eine Gabel in die Hand nimmt und was ist, sind ja ganz ganz viele Schritte, die dann wieder koordiniert werden müssen. Und da muss man auch sagen, das hat auch erst mal 10 Jahre gedauert, bis wir dann wirklich diese ganz ganz basalen Zellen beschreiben konnten, die diesen Energiezustand des Körpers wahrnehmen. Und das sind zum Beispiel Arbeiten, da haben wir 2005 zeigen können, dass es eine ganz umschrieben Gruppe von Zellen gibt. Das sind vielleicht unter den Milliarden Nervenzellen 3000-5000, die wirklich diesen primären Ziele von Leptinwirkung sind, in so einer ganz tiefen Gehirnregion, sozusagen ganz alten Hypothalamus ist die genannt. Und wenn wird diese Nervenzellen, diese 5000 Nervenzellen zum Beispiel in Mäusen in ihrer Aktivität hemmen oder die ganz spezifisch entfernen aus dem Gehirn, dann hören die Tiere komplett auf zu essen und das ist ja schon mal überhaupt ein Verständnis und das ist aber auf der anderen Seite auch nur der erste Schritt, wenn wir überhaupt erst mal die Zellen definiert haben, dieses Signal aus dem Körper empfangen. Und jetzt ist halt die Frage, mit welchen anderen Nervenzellen sprechen die? Wie wird diese Kommunikation normalerweise reguliert? Und was läuft an dieser Kommunikation schief, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, unser Körpergewicht adäquat aufrechtzuerhalten? Und das ist so ein bisschen die Forschungsphilosophie, die wir verfolgen. Also ganz, wirklich ganz ganz fundamentale Grundlagenforschung, wie ist das System überhaupt normalerweise aufgebaut? Wie funktioniert es normalerweise? Was sind die Signale, die zusammenkommen? Wie sin die miteinander verschaltet? Wie kommunizieren die miteinander? Und dann im nächsten Schritt zu verstehen, was läuft schief, wenn wir zum Beispiel sehr sehr viel fett essen, warum werden diese Signale dann nicht mehr adäquat weiterverarbeitet?

Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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Weil uns interessiert hat, also in diesem klassischen Bild, wie reguliert Insulin den Zuckerstoffwechsel, wenn Sie da ein Biochemietextbuch 1990 aufgeschlagen haben, dann stand da genau das drin, was ich Ihnen gesagt habe, nämlich dass Insulin von der Bauchspeicheldrüse gebildet wird, wirkt auf Leber, Muskel und Fett und das reguliert den Zuckerstoffwechsel. Und was in Ende der 90er gemacht haben, da haben wir uns überhaupt erst mal angeguckt, dieser Insulinrezeptor als Vermittlungsmolekül der Insulinwirkung findet sich aber nicht nur in diesen drei Organen, sondern in allen Zellen des Körpers und auch in sehr hoher Dichte im Gehirn. Und dann haben wir uns gefragt, was könnte denn die Bedeutung der Insulinwirkung im Gehirn sein? Und das haben wir angefangen Ende der 90er Jahre das zu bearbeiten. Und konnten dann zeigen, dass Insulin auch übers Gehirn wirkt, um den Zuckerstoffwechsel zu regulieren und sind dann auf diese Nervenzellen gestoßen, die die Nahrungsaufnahme regulieren, die aber gleichzeitig dann auch den Zuckerstoffwechsel mit regulieren. Und darüber hat sich quasi unsere Forschung über die letzten 20 Jahre immer mehr zur wirklich fundamentaler Neurowissenschaft entwickelt, in dem Verständnis, halt diese Nervenzellennetzwerke zu verstehen. Und da sehen Sie halt auch so eine eigene Evolution, wie man mit einer bestimmten Frage anfängt vor 30 Jahren und dann immer weiter im Grund getrieben wird, auch durch die Erkenntnisse, die man trifft in zum Teil ganz andere Forschungsbereiche als die, mit denen man vor 30 Jahren gestartet ist.

Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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Jens Claus Brüning
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Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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Wir sind da auch sehr offen. Absolut. Man muss auch ganz klar seine Grenzen erkennen. Also ich denke, wenn man so zurückschaut, was haben wir beschrieben? Ich glaube, was wir wirklich fundamental als Prinzip beschrieben haben, war, dass Insulin nicht nur quasi unterhalb des Kopfes arbeitet, sondern auch im Kopf. Und das ist eine Sache, die ist eigentlich weltweit inzwischen akzeptiert, da sind viele Gruppen, auch in unterschiedlichen Aspekten, haben sich diesen Fragestellungen angenommen und haben das Feld viel viel weiter entwickelt. Das geht soweit, dass man zum Beispiel, dass es jetzt klinische Studien gibt, wenn man sagt, okay Insulin funktioniert vielleicht im Gehirn auch nicht mehr so gut wie es in der Peripherie funktioniert, dass es bestimmte klinische Studiengruppen gibt, die Insulin intranasal als Spray applizieren, also jetzt nicht als klinische Routine, sondern im Rahmen von klinischen Studien, und dann wirkt das Insulin vor allem im Gehirn. Dann wird das nicht in die Körperperipherie ausgespült, sondern kann halt über den Riechnerven ins Gehirn gehen und dann kann man die Insulinwirkung im Gehirn modulieren. Also das sind so, ich sage mal, Auswirkungen der Forschungen, die wir angestoßen, beschrieben haben. Und dass das halt auch bis in Bereiche geht wie neurodegenerative Erkrankungen, also Alzheimer, auch da gibt es Hinweise darauf, dass da Insulinwirkung im Gehirn möglicherweise eine Rolle spielen könnte. Und da gibt es in den USA große klinische Studien, die jetzt zum Beispiel versuchen, dieses intranasale Insulinspray bei neurodegenerativen Erkrankungen anzuwenden. Also das ist so ein Beispiel der Translation. Wir haben selber auch andere Mechanismen beschrieben, wie zum Beispiel Übergewicht zu Insulinresistenz führen kann. Also warum zum Beispiel eine Leberzelle nicht mehr so gut beim Übergewichtigen auf Insulin anspricht wie beim Normalgewichtigen. Und da scheint eine wichtige Rolle bei zu spielen, dass beim Übergewichtigen sich vermehrt Fette in der Leber ablagern und dass diese Fettablagerungen, Leberverfettung im eigentlichen Sinne, dann zu einer eingeschränkten Insulinwirkung führt, also dass dann Insulin nicht mehr so gut die Zuckerneubildung unterdrücken kann.

Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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Tim Pritlove
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Jens Claus Brüning
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Jens Claus Brüning
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Findet auf jeden Fall statt, ist auch extrem spannend, aber ist halt nicht so unser Fokus. Was ich persönlich noch spannend finde ist ein anderer Aspekt, und zwar was uns auch interessiert, aber eher so von den fundamentalen Prinzipien her, ist nicht nur die rein genetische Prädisposition, mit der Sie ins Leben geschickt werden, sondern was man auch gelernt hat über die letzten Jahrzehnte ist, dass der mütterliche Stoffwechsel während der Schwangerschaft eine erhebliche Auswirkung haben kann auf das, ich sage mal, Stoffwechselschicksal der Nachkommen den Rest des Lebens. Also um das ein bisschen klarer auszudrücken, es gibt zum Beispiel eine bestimmte Art von Zuckererkrankung, das ist der sogenannte Gestationsdiabetes, also den entwickeln Mütter während der Schwangerschaft. Und dann weiß man, dass Kinder, die von Müttern mit Gestationsdiabetes, also von deren Blutzuckerstoffwechsel während der Schwangerschaft entgleist ist, dass die Nachkommen dann gesteigertes Risiko haben, später selber wieder übergewichtig und diabetisch zu werden, jetzt unabhängig von den Genen, die sie mit auf den Weg bekommen haben. Und da interessiert uns halt, was passiert da während der Schwangerschaft, dass halt dieses veränderte Stoffwechselmilieu vom Embryo wahrgenommen wird und vielleicht dann sogar diese zentralnervöse Steuereinheiten so verändert, dass man quasi mit dem schwächsten Regelsystem ins Leben startet, dass einem dann 10 Jahre, 20 Jahre später Probleme bereitet, selber seine Nahrungsaufnahme entsprechend adaptieren zu können.

Tim Pritlove
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