Franz Josef Radermacher
Ich glaube, wir müssen uns jetzt mit einer bestimmten Disziplin beschäftigen, nämlich mit den Wirtschaftswissenschaften. Für das Verständnis der Welt ist ja die Wirtschaft von zentraler Bedeutung und auf den ersten Blick sind dafür die Wirtschaftswissenschaften zuständig. Natürlich sind das auch andere. Es gibt eine Menge Mathematikern auch unter den Nobelpreisträgern für Wirtschaftswissenschaft. Und die Juristen spielen eine große Rolle und die Juristen verstehen die Dinge manchmal besser als die Ökonomen, weil sie die Sache vom Eigentum und vom Recht her sehen. Aber man würde ja primär erwarten, der Wirtschaftswissenschaftler ist zuständig.
Nun sind die Wirtschaftswissenschaften grob einmal in zwei Teile geteilt, da gibt es die mehr betriebswirtschaftlichen Dinge und die volkswirtschaftlichen Dinge. Und die volkswirtschaftlichen Dinge, die müssen eigentlich mittlerweile weltwirtschaftlich gedacht werden. Und wir haben mittlerweile eine Weltökonomie, in der die einzelnen Volkswirtschaften teilweise gegeneinander konkurrieren, so dass wir so was haben wie eine Betriebswirtschaftslehre der Volkswirtschaften im Ringen gegeneinander unter den Regulierungsbedingungen der Globalisierung. Aber das wird so nicht thematisiert. Der normale Akteur im Bereich BWL, gut der eine macht Marketing, der andere mach Controlling, der dritte macht Innovation, ein vierter macht Buchführung, also das sind alles sehr spezielle Themen, die eigentlich den Kern des ökonomischen nur sehr peripher betreffen.
Es gibt Leute, die machen Mitarbeiterführung und die machen Employer Branding. Die Volkswirtschaft ist ebenfalls mit ganz vielen Fragen beschäftigt. Also mit er sozialen Frage, mit der Finanzierung der Sozialsysteme, wie machen wir das mit den Renten, was sind die Anreizsysteme im Gesundheitssektor, wie sollen wir die Bildungspolitik machen? Wir machen wir internationale Zusammenarbeit, was ist die richtige Strategie gegen den Hunger? Da gibt es tausend Spezialfragen, die man als Volkswirt angehen kann. Womit man sich insgesamt sehr wenig beschäftigt ist der Kern des Themas. Nämlich wie organisiert man Märkte und was ist die Wechselwirkung von Wettbewerb und Regulierung. Und welche Aufgabe hat der Wettbewerb und welche Aufgabe hat die Regulierung.
Und ich nehme jetzt mal eine Analogie, Sport. Wenn Sie Sport haben und nehmen Fußball oder Sie nehmen Tour de France fahren oder Sie nehmen Skirennen oder Thaiboxen, immer haben Sie den Wettbewerb. Aber wenn Sie den Unterschied zwischen Fußball und Thaiboxen verstehen wollen, dann müssen Sie die Regeln des Fußballs anschauen und die von Thaiboxen. Also Fußball ist bestimmt durch die Regeln des Fußballs und nur sehr nachgeordnet durch den Wettbewerb. Und Thaiboxen ist bestimmt durch die Regeln des Thaiboxens und nur sehr begrenzt durch Wettbewerb. Also wenn man sich für die Unterschiede interessiert, dann sind die Regeln entscheidend. Wenn man sich für die Performance interessiert, ist der Wettbewerb entscheidend. Der Wettbewerb ist immer und überall derselbe Wettbewerb. Aber was rauskommt als Sportart das sind die Regeln.
Und so ist das in Märkten auch. Aber es gibt Leute, die nicht wollen, dass die anderen das wissen. Das heißt wenn man in den Bereich der Ökonomie kommt, kommt man immer in den Bereich der Machtfragen. Und auch in den Bereich der Machtfragen von Demokratien. Und diese Machtfragen in den Demokratien standen schon am Anfang der frühesten Demokratien, die es gab, also der Revolution in Amerika und in Frankreich. Und immer war eine große Frage, wer hat ein Stimmrecht? Ist das an Eigentum gekoppelt? In welcher Form ist Eigentum mit Stimmrecht verkoppelt? Man merkt das besonders gut bei Leuten, die im Gefängnis sitzen und dann nicht abstimmen dürfen.
Also in der Demokratie war immer Voraussetzung dafür, dass es überhaupt eine gab, dass wesentliche Eigentumsfragen gelöst waren in einer Weise, dass keine einfache Mehrheit die Eigentumssituation verändern können darf. Das war Voraussetzung für die Gründung der jeweiligen Demokratie. Oder man kann auch so sagen, die kleine Gruppe, die den Großteil des Eigentums besitzt, hat eine grundsätzliche Angst davor, dass eine Mehrheit der Nichtbesitzenden per Mehrheit sich den Besitz aneignet. Und das heißt es müssen vielfältigste Vorkehrungen getroffen werden, damit das nicht passiert. Das ist ein Grundproblem aller Demokratie.
Nun an dieser Stelle ist natürlich die Ökonomie mittendrin in der Machtfrage. Denn irgendwann stellt sich ja die Frage, sollen wir jetzt als Demokratie zum Beispiel wollen, dass sich ganz viel Eigentum bei 5% der Menschen akkumuliert? Ist das eigentlich gut für alle oder schlecht? Soll Eigentum sich über alle verteilen oder soll Eigentum hochgradig konzentriert sein? Und die Wirtschaftswissenschaften sind vor allen Dingen seit dem zweiten Weltkrieg sehr stark von den USA herkommend, letztlich instrumentalisiert worden, um Argumentationsstrukturen für hohe Niveaus sozialer Ungleichheit zu produzieren und dieses als produktiv darzustellen.
Und mit dem Freihandelstheorem von Ricardo, das inhaltlich missbraucht wird bis zur unsichtbaren Hand von Adam Smith, hat der heilige Gral der Wirtschaftswissenschaften eine Position popularisiert, nachdem der freie Markt gut ist, die Quelle allen Wohlstands ist und dass alle was davon haben und dass es gar nicht um Verteilungsfragen geht, sondern höchstens um Chancengleichheit usw. Da ist eine ganze politische Philosophie unter den Mantel einer Wissenschaft gepackt worden.
Wow! Seltener Klartext.
Sollte Herr Rademacher hier mitlesen würde ich mich sehr freuen, wenn er eine persönliche Einschätzung zu den Überlegungen eines BGE (bedingungsloses Grundeinkommen) abgeben könnte. Mir wäre dabei jedoch wichtig, sich nicht allein auf die Vorschläge des DM-Gründers zu stützen, sondern sich erstmal auf die allgemeine Ebene zu begeben – zur jeweiligen Finanzierung gibt es ja diverse Ansätze.
Ich finde es beispielsweise spannend, dass es einerseits Überwachungsbürokratie wie in den Jobcentern überflüssig machen würde, Anreize zu selbstständigen Tätigkeiten nach eigenem Gusto (Beispiel Podcasting) schaffen und die Verhandlungsposition in Einstellungsgesprächen umdrehen würde – Wer nicht mehr zu jeder Tätigkeit genötigt werden kann kann auch ein angemessenes Einkommen oder angenehmere Arbeitsbedingungen wie flexible Arbeitszeiten etc. einfordern.
Bin begeistert über diese klare Analyse unserer Situation.
Dank an Tim für die Auswahl seiner Gesprächspartner.
Das macht Spaß.
Dank an Prof. Rademacher für sein Engagement in diesen wichtigen Fragen.
Offen gestanden fand ich die Aussagen von Herrn Radermacher enttäuschend.
Wenn das das Ergebnis jahrzehntelander Forschung sein soll fände ich das ein wenig enttäuschend.
Das kann man in 30min Schramm oder Pispers auch erfahren.
3 Möglichkeiten wie sich die Welt entwickeln wird und die Optimisten tippen auf die 2 Klassen Gesellschaft.
Die Zunahme der Bevölkerung als Ursache der Probleme auf der Welt ?
Das bedeutet dann im Umkehrschluss dass die Reduzierung dieser unsere Probleme lösen wird ?
Da würd ich keine Wetten drauf annehmen.
Mit Verlaub, das ist doch recht banal und keineswegs ausreichend um daraus eine Apokalypse zu entwickeln.
Das der Mensch nicht vordergründig zur Vernunft neigt ist doch keine Erkenntnis der letzten 20 Jahre.
Schade dass er Dich enttäuscht hat.
Ich habe noch die Folge „cradle to cradle“ im Hinterkopf.
Da steckt,ob realistisch oder nicht, wenigstens noch eine Vision dahinter die erstrebenswert erscheint und Mut macht.
Ich brauche keine Instititutionen die den Weltuntergang vorhersagen.
Das kann ich zur Not auch selbst tun…
Wo kann man von Ihnen mal was lesen oder hören? Sie sind anscheinend noch viel klüger als die beiden.
Sollte ich mal zu der Selbstüberschätzung kommen, mich klüger als andere zu fühlen, sind Sie,Herr Doktor Schoppmann, der erste der es erfährt… :-)
Bis dahin behalte mich mir vor, auch ohne den Nachweis herausragender Publikationen von der Kommentarfunktion Gebrauch zu machen.
Schönes Wochenende
Dann warte ich mal gespannt.
Großartige Folge. Es scheint schon mehr gute Ansätze in der Politik zu geben, als es oft so klar ist, auch wenn die Umsetzung (noch ?) zögerlich ist..
Ich hab tatsächlich etwas an hoffnung für diese welt gewonnen :D
Finde ich auch.
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sehr gut! – gerade im Zusammenhang mit der Folge über Cradle to Cradle.
Als weitere Erweiterung in diese Richtung empfehle ich den Vortrag von Mathias Horx auf dem Cradle to Cradle Kongress 2015 http://youtu.be/Q5AktFfujGE.
Es gibt keine einfachen Antworten mehr – kein Grund enttäuscht zu sein
Danke Tim
F-Tom
Hallo Tim,
ich wollte einfach mal Danke sagen.
Gerade die letzten beiden FG-Folgen fand ich bemerkenswert.
Vielen Dank + Gruß
Jochen
Ergänzend möchte ich hier noch auf eine Sendung des Philosophischen Quartetts mit dem Titel „Ist die Welt noch zu retten?“ (allerdings aus 2012) verweisen, wo Franz Josef Radermacher zusammen mit Harald Welzer zu Gast war: https://www.youtube.com/watch?v=7-qTU4fsn3A
Interessant daran ist, dass – beide im aufrichtigen Bemühen um eine „Welt in Balance“, wie ich ihnen abnehme – Radermacher eben eher den analytischen „Blick von außen“, das Denken in kontrastierenden Szenarien – okay, manch einer würde sagen, die eher technokratische Brille – nutzt…
…Welzer eher die Perspektive von innen her einnimmt, wo es weniger auf bis zum Ende durchdachte Analysen und darauf aufbauende „Roadmaps“ ankommt, sondern der primäre Hebel der Transformation es ist, vor allem „einfach mal anzufangen“, „sich auf den Weg zu begeben“, quasi durch das Einüben anderer alltäglicher Praxen umgedreht „vom Handeln zum Wissen“ zu gelangen.
Letztlich finde ich beides sich komplementär ergänzend wichtig: die vielleicht eher mechanistische Analyse von Systemdynamiken als auch die eher lebensweltliche Perspektive.
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