Leonhard Dobusch
Also erstens würde ich sagen, diese Frage von, bei mir läuft das derzeit … und das ist, würde ich sagen, etwas,
wo ich gerade unmittelbar derzeit am intensivsten dazu forsche, weil ich es interessant finde
und weil es auch einen veränderten Blick auf Offenheit als Ideal widerspiegelt, den man auch beobachten kann.
Also ich würde sagen, diese oftmals Euphorie, die man auch im Nachgang des OpenSource Erfolgs
so Anfang der 2000er Jahre ja hatte, ich finde, die ist ein bisschen abgeflaut.
Und diese Desinformationskisten, die ja auch mit einer großen Offenheit dieser neuen digitalen Plattformen teilweise zu tun haben,
auch wenn die proprietär sind, die zahlt da sicher ein drauf.
Aber dieses, was eben durchaus ein Thema ist und das eben nicht nur bei der Wikipedia, sondern auch bei OpenSource-Software so,
ist etwas, was ich exkludierende Offenheit nennen würde.
Ich möchte es kurz erklären, was ich damit meine.
Also bei Wikipedia steht auf der englischen Seite immer noch drunter, the Encyclopedia that anyone can edit.
Also alle können mitarbeiten.
Prinzipiell gilt das auch für OpenSource-Software, da ist natürlich die Hürde größer.
Ich muss mal überhaupt programmieren können.
Aber ich fange mal bei OpenSource an, weil da ist das älter und da merkt man,
das Problem ist eben durchaus eines, das gibt es in vielen Bereichen, wo die Leute sagen, alle können mitmachen,
ja aber dann kommen ganz spezielle Leute nur.
Also in der US-Software-Industrie sind rund 20% Frauen Entwickler.
Also klar, da gibt es auch einen Bias.
Aber in der OpenSource-Software-Szene sind es zwischen 2 und 5 Prozent.
Also viel weniger als es quasi am Pool wäre.
Also das ist schon eine Frage, die muss man stellen, was ist der Grund dafür?
Und in der Wikipedia nicht so ein ganz krasses Missverhältnis, andererseits muss man sagen,
Wikipedia hat eigentlich mit den Themen alle Themen dieser Welt.
Warum sollte es überhaupt einen Bias geben und seitdem es quasi auch den Visual Editor gibt,
der ist Standard inzwischen, kann ich Wikipedia so leicht editieren wie ein Word Dokument,
zumindest wenn es nur um Text geht.
Und trotzdem ist es so, dass erstens unter 20 Prozent in der deutschen und englischen Wikipedia nur weiblich sind,
dass die Anzahl der Autorinnen und Autoren seit über zehn Jahren stagniert und sinkt.
Also in der deutschsprachigen Wikipedia gibt es derzeit nur halb so viele regelmäßig aktiv beitragende wie vor zehn Jahren.
Was auch bedeutet, dass man nicht sagen kann, okay das kommt halt aus dieser Nerd-Ecke, da waren halt nur Typen,
aber das wächst sich aus.
Also das könnte man ja meinen.
Ja gut, also je mehr Leute die Wikipedia lesen, alle Männer und Frauen lesen die zu gleichen Teilen,
über das Lesen stolpert man dann irgendwie rein und dann wird sich das schon ausmitteln.
Also diese Hoffnung ist definitiv over.
Also das passiert nicht.
Im Gegenteil, man hat manchmal das Gefühl es verschärft sich noch.
Und es gibt ganz viel Forschung dazu, nicht von mir, von anderen, selbst auch ein bisschen dazu geforscht.
Aber es gibt viele Gründe natürlich, also einerseits kann man sagen, Wikipedia ist ein Spiegelbild der Gesellschaft.
Wie du selbst gesagt hast, man braucht Zeit.
Jetzt kann man sagen, der männliche Student, dessen Mutter noch die Wäsche macht und ihn bekocht,
hat mehr Zeit, in der Wikipedia zu schreiben, als eben diese Mutter.
Also ja, man kann sagen, bestimmte Reproduktionsarbeitsungleichheiten spiegeln sich in der Wikipedia.
Umgekehrt könnte man eben wieder sagen, es ist aber nicht so, dass Frauen weniger ehrenamtlich engagiert wären.
Also es gibt halt, obwohl Frauen mehr Hausarbeit machen, im ehrenamtlichen Engagement sind halt andere Dinge.
Es gibt verschiedene andere Gründe, dass Wikipedia halt technisch ist und das halt weniger und so weiter.
Ich würde sagen, einer der robustesten Gründe dafür ist aber schon etwas, das man vielleicht so eine Art männlich geprägte Kultur nennen könnte,
die sich einfach herausgebildet hat, da sind wir wieder auch bei der Pfadabhängigkeit.
Insofern stimmt es schon, dass es damit zu tun hat, dass da am Anfang ein Männerüberhang war,
aber das hat sich insofern verschärft, und ich finde, man kann das auch ganz gut nachvollziehen, warum das so ist
und so schwer ist zu ändern.
Die Valerie Aurora hat das mal für OpenSource-Software gesagt, das ist mein Lieblingszitat,
ich verwende es auch für Wikipedia, sie hat gesagt, wenn du eine Gruppe hast aus zehn Typen,
und davon sind neun höflich, hilfsbereit, nett und wirklich zuvorkommend und einer ist ein Jerk, würde man im Englischen sagen,
einer ist ein sexistischer Belästiger, dann werden die Frauen wegen dem einen Typen wegbleiben.
Die neun netten können gar nichts machen.
Wenn die diesen Typen tolerieren, dann werden die Frauen wegbleiben aus guten Gründen.
Warum soll ich mich belästigen lassen in meiner Freizeit?
Habe ich keinen Bock drauf.
Damit sind wir bei der exkludierende Offenheit.
Es gibt den Spruch, ich glaube auch in Deutschland, wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht.
So ein bisschen ist das da auch.
Wenn ich sage, jeder darf bei mir mitmachen und dieses jeder erstreckt sich auch auf Leute, die andere vertreiben,
dann habe ich ein Problem.
So und jetzt, warum ist das so schwierig, da Konsequenzen draus zu ziehen?
Für die Wikipedia gibt es zwei, die haben beide mit Organisation zu tun.
Das eine ist, die Wikimedia Foundation, die quasi seit 15 Jahren versucht, mehr Frauen in die Wikipedia zu bringen,
die kann nicht Regeln für Aus- und Einschlüsse ändern, weil ganz bewusst sie sagt,
das ist eine Sache der Community, wir halten uns da raus.
Das ist eine Ideologie, die sehr stark verankert ist, an der zu rütteln, glaube ich, Sinn machen würde,
aber das ist diese Trennung zwischen formaler Organisation und Community.
Wikimedia mischt sich nicht ein, die Community entscheidet ganz autonom darüber, was in der Wikipedia steht,
welche Relevanzkriterien und wer wie ausgeschlossen wird, so.
Das ist das eine, das müsste man, glaube ich, ein bisschen durchbrechen.
Da bräuchte man, Geld ist da, die Wikimedia sitzt auf über hundert Millionen Dollar an Reserven, also die haben Kohle.
Aber sie wissen gar nicht, wie sie es gut genug ausgeben können.
Also ich finde zum Beispiel, jedes Tageszeitungsforum hat bezahlte Moderatorinnen und Moderatoren,
weil es sonst komplett aus dem Ruder laufen würde, aber die größte Enzyklopädie der Welt braucht so was nicht.
Also das ist schon mal ein Thema.
Und das zweite Thema ist halt wirklich, und das ist viel schwieriger noch anzugehen, wenn man sagt,
wieder bei diesem Beispiel bleiben, zehn Administratoren, neun sind hilfsbereit und super und einer ist ein Problem.
Jetzt sind da aber Leute, die in der Wikipedia Administrator sind, die haben meistens eine jahrelange, jahrzehntelange Geschichte.
Die haben tausend Artikel geschrieben, unfassbar viel beigetragen.
Da überlegst du schon nicht einmal oder zweimal, ob du so eine Person wirklich rauswirfst, weil er halt mal unhöflich war
oder da mal irgendwie…
Also die haben erstens viele Freunde und die haben auch einen Track Record, die haben gezeigt, sie sind bereit,
jahrelang ihre gesamte Freizeit in das Projekt zu investieren.
Und das ist bei OpenSource ja auch ähnlich.
Leute, die dort quasi viel investiert haben und viel programmiert haben und jetzt sage ich,
tut mir leid, aber das geht so nicht, den hauen wir jetzt raus, aber vielleicht kommt nie eine Frau, die seinen Job nimmt
oder irgendwer anderer.
Also die Frage ist, das ist ein großes Risiko auch für die Community zu sagen, jetzt sind wir da strenger und werfen solche Leute raus.
Wir wissen aber nicht, ob Leute kommen, um die zu ersetzen.
Also da ist man natürlich, da zögert man, aus nachvollziehbaren Gründen und das sind harte Entscheidungen.
Also wo ziehe ich die Grenze, wie hart setze ich die durch?
Und reicht das schon oder kommen die dann trotzdem nicht, auch wenn ich jetzt da zum Beispiel vier, fünf Leuten mal gesagt habe,
das geht so nicht.
Also das ist wirklich ein Problem.
Ich sage nicht, dass es eine einfache Lösung gibt.
Aus meiner Lektüre der Forschung, also meine Empfehlung wäre eben zu sagen, lasst uns mal bezahlte hauptamtliche Communitymanagerinnen einführen,
die einfach sich drum kümmern, quasi bestehende Regeln zu policen und sich um neue anzunehmen.
Ich glaube, wirklich vor allem Hauptaufgabe, den Umgangston und das Klima quasi zu verbessern.
Aber ich sage, es gibt keine Garantie, dass das funktioniert.
Aber ich muss eh sagen, wenn das so weitergeht, irgendwann wird die Wikimedia vielleicht dazu übergehen müssen,
sogar die Autorinnen zu bezahlen, weil wenn so wenig Freiwillige da sind, aber immer mehr Spenden eingesammelt werden,
also irgendwann gibt es vielleicht einen spendenfinanzierte Wikipedia, aber finanziert im Sinne von,
auch die Texte werden dann halt von Staff-Writern gemacht.
Ich weiß es nicht, das wäre für mich jetzt keine Vision, wo ich sagen würde, gut,
aber ich würde auch sagen, die Wikipedia wird es geben, aber ob quasi dieses Konzept, alles komplett freiwillig,
ob das dauerhaft trägt, bin ich mir nicht sicher.
Sehr guter cast.
Aber sehr traurig den Zustand und die Probleme der Wikipedia zu hören. Diese scheinen ja ein Ausmaß erreicht zu haben, dass eine zweite Community, evtl sogar innerhalb der Wikipedia, gegründet werden musste, welche mit anderen Strategien gegen die existierende „konkurrieren“ müsste.
Ich fand die Folger sehr interessant, vor allen die Verweise dass nicht immer alles völlig neu ist.
Komisch fand ich den historischen Exkurs in dem von der Zwischenkriegszeit gleich in die Nachkriegszeit gesprungen wurde. Im Nationalsozialismus gab es ja ein ganz eigenen Ansatz zur Organisation, bei dem sicher auch Organisationsforscher beteiligt waren.
Eine Frage habe ich noch. Gibt es eine Abgrenzung zwischen Organisationen und Instutionen? Irgendie habe ich eine Referenz auf Max Weber vermisst.
und schwupps, sind TerraX-Videos unter CC-Lizenz veröffentlicht!
https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/terra-x-creative-commons-cc-100.html