Stephan Rammler
Also ich rede jetzt mal aus dem Nähkästchen und ganz offen und ehrlich.
Ich vertrete auf offener Bühne natürlich immer eine positive, optimistische, so gut es geht Konstrukte Vorstellung,
dass eine Gesellschaft, die es wirklich will, die großen Herausforderungen, die vor uns liegen, schaffen kann.
Mit Blick auf gerade die Frage der Mobilität und die Borniertheit und Mindsets, auch die Bigotterien und Verlogenheiten,
die es da gibt, über die muss man auch reden.
Es ist für mich zum Beispiel nach wie vor immer wieder ein großes Rätsel,
dass 80% der deutschen Bevölkerung in jeweils aktualisierten Befragungen durch das Umweltbundesamt und andere Akteure,
sagen 80%, wir wollen sauberere Städte, wir wollen weniger Automobilverkehr, wir wollen geringere Geschwindigkeiten,
weniger Verkehrstote, wir wollen weniger Klimawandel, wir wollen einfach die UmweltTransformation.
Das geht nicht zusammen mit der Tatsache, dass die Deutschen die PS-Zahl mittlerweile 170 PS bei allen Neuwarenkäufen liegt,
und jedes zweite bis dritte Fahrzeug mittlerweile ein SUV ist, das passt nicht zusammen.
Da gibt es also offenkundig, um es freundlich auszudrücken, kognitive Dissonanzen
oder wenn Sie es deutlich sagen wollen, Verlogenheit oder Bigotterien, die eine Rolle spielen.
Vor diesem Hintergrund, aber auch vor dem Hintergrund der Tatsache,
dass die Lobbypolitik der Autoindustrie in meinen Augen noch ziemlich Hardcore ist
und sie auf einer öffentlichen diskursiven Ebene sagen, ja wir haben verstanden,
aber letztlich mit ihrer Lobbypolitik noch sehr stark beinhart für das Alte lobbyieren.
Und nicht den Konsens und die Kooperation, den großen Mobilitätspakt mit der Politik suchen.
Das mit der Tatsache der digitaltechnischen Innovation in dem Bereich,
die ganz stark eben in Richtung neoliberale Angebotsformate gehen,
die eben nicht im Sinne der Daseinsvorsorge diskutiert werden.
All das macht mich sehr skeptisch gerade.
Ich glaube eben nicht, dass wir diesen Tipping point schon erreicht haben.
Das kann nur ein sozialpsychologischer Tipping point sein.
Ich glaube, dass die Dringlichkeit der aktuellen Situation bei den meisten Menschen noch nicht richtig angekommen ist.
Also die Dramatik der Situation, wie groß die Effekte des Klimawandels sein werden.
Wenn man sich so lange Jahre damit beschäftigt, wie ich das tue, und aus so verschiedenen Perspektiven,
dann kommt man zu dem Schluss, dass die sogenannten Tipping points im Bereich des Klimawandels,
die alle als optional erwarten, wohlmöglich systematisch in ihrem Eintreten zu erwarten sind.
Dass wir einfach davon ausgehen müssen, dass Klimawandel in einem sehr viel stärkeren Maß stattfinden wird,
ohne dass wir ihn bewältigen können.
Also das ist alles schon sehr viel schwieriger aus der Perspektive.
Und so betrachtet bin ich immer wieder skeptisch, das haben die Leute noch nicht richtig begriffen,
dass wir in der Erwartung, dass Klimawandel eintreten wird und dass wir Resilienzstrategien entwickeln müssen,
um darauf zu reagieren, trotzdem alles tun müssen, um die so klein wie möglich zu halten.
Und in dieser sozialpsychologischen Gemengelage, dass Menschen hochgradig verunsichert sind,
nicht nur durch Klimawandel, aber auch durch das ganze Thema Digitalisierung, die Arbeitsmarkteffekte
und Beschäftigungsverluste durch die Digitalisierung.
Die ganzen NachhaltigkeitsTransformationsdebatten, die wir haben und die Frage der Zukünfte der Politik,
eine dermaßen große Unsicherheit gerade sozialpsychologisch entsteht,
dass das passiert, was Zygmunt Bauman retrotopische Tendenzen nennt.
Die Leute orientieren sich wieder nach hinten in ihren visionären und utopischen Vorstellungen.
Das Utopische, das Gute liegt nicht mehr im Unbekannten, Neuen, noch zu erfindenen,
sondern liegt im Rückschritt zum Biedermaier dessen was man kannte.
Im Nationalismus, im Mief, im Zurückgehen und das beobachte ich gerade als Reaktionsweise dieser Gesellschaft,
dass die Unsicherheit nicht zu produktiven mutigen Schritten nach vorne führt,
wo man sagt, wir kennen Technologien noch nicht, wir müssen die aber ausprobieren.
Wir wissen von den normativen Standards her, wo wir hin wollen, was nötig wäre, den Rest wissen wir nicht.
Wir müssen uns alle auch in unseren Lebensstilen, in unseren Routinen nicht massiv, aber ein bisschen, bewegen,
niemand wird sich radikal ändern müssen in Deutschland, aber ein bisschen wird er sich ändern.
Und selbst dieses bisschen ändern, will heißen, zu akzeptieren, dass es ein Tempolimit von 130 gibt auf deutschen Straßen,
selbst das fällt vielen schon schwer.
Und deswegen bin ich im Augenblick relativ skeptisch, was die Transformierbarkeit und Transformationsdynamik unserer Gesellschaft angeht.
Was fehlt sind auch eine Politik, die begriffen hat, dass sie in meinen Augen der einzige Akteur ist,
der eine Rolle übernehmen kann, diese Prozesse zu moderieren.
Die Politik muss einladen, muss moderieren in meinen Augen.
Zivilgesellschaftliche Akteure, die Umweltverbände, die Unternehmen, die Gewerkschaften,
alles, was unser Gesellschaft ausmacht, an einen Tisch zu bringen und die Frage zu stellen und gemeinsam zu beantworten,
wie kann denn der neue Weg in die Zukunft aussehen?
Von den Prämissen, die wir jetzt hier haben und wie kann es so schnell wie möglich gehen.
Und wie kriegen wir mit der Demokratie, die wir haben, das auch noch hin?
Weil die Demokratie, die wir haben, ist eigentlich nicht gemacht für solche langfristig angelegten Transformationsprozesse.
Wir bräuchten eigentlich längerfristige Perspektiven.
Wir bräuchten eigentlich eine andere Art von Mechanismen der Machtgenerierung.
Im Augenblick erleben wir, dass wir eine posteriorische Meinungsfindung im pluralistischen Meinungsbild haben.
Das heißt, wir wählen Parteien und in dem Zusammenhang, diese Parteien müssen machtpolitisch auch agieren,
und um die Macht zu erlangen, müssen sie viele Dinge tun, die im Sinne der Pfadabhängigkeiten des Alten nicht mehr sinnvoll sind.
Da wird dann Sachpolitik zum Vehikel der Machtpolitik gemacht.
Also wenn Herr Scheuer das tut, was er tun muss als Parteipolitiker, um es mal konkret zu machen,
nämlich Macht zu erhalten und zu erlangen, dann muss er dummerweise erst mal die Klientel und die Lobbys bedienen,
die ihn dazu bringen, dass er Macht hat, nämlich die Autofahrer im Lande, die Autoindustrie, bei BWM, den VDA
und dann kommt so eine Politik raus, wie wir sie gerade erleben, völlig kopflos und borniert und unklug.
Aber er muss das machen als guter Machtpolitiker.
Als guter Sachpolitiker müsste er sich um NachhaltigkeitsTransformation, Klimawandel, neue Mobilität, Tempo 130 auf den Autobahnen,
Daseinsvorsorge in der kommunalen Mobilität, Radverkehrspolitik und andere schöne Dinge kümmern.
Tut er aber nur marginal.
Es zementiert sozusagen den status quo des Alten, diese Art von Demokratie.
Dazu kommt, dass die demographischen Wandlungsprozesse dazu führen, dass die unter 30-Jährigen, also 16-30-Jährigen,
die am geringsten im politischen Prozess repräsentierte Bevölkerungsgruppe sind.
Also die, die das, was zukünftig passiert, am meisten betreffen wird, sind am wenigsten repräsentiert.
Und die Älteren, wo man sagen kann, ältere Gesellschaften sind immer auch friedlichere, sicherere und status quo orientierte Gesellschaften.
Das hat ja erst mal einen Wert an sich.
Aber wenn das auf einen historischen Zustand trifft, in dem man eigentlich alles andere braucht als Stabilität,
sondern Experimentierbereitschaft und den Mut ins Offene zu gehen, dann ist natürlich die Alterung einer Gesellschaft mit einem starken Hang zum Konservatismus,
mit dem starken Bedürfnis, das was man 50-60 Jahre gelebt hat, nämlich Automobilität, Privatheit im eigenen Eigenheim und so weiter,
das weiter zu leben ist natürlich stark und stabilisierend.
Und wir brauchen aber eigentlich das Überwinden dieser Innovationsbarriere und dieser Hemmnisse, dieser Pfadabhängigkeiten.
Das alles zusammen macht mich ein bisschen skeptisch.
Das heißt nicht, dass wir es nicht hinkriegen, wenn wir es offen diskutieren, aber es ist ein richtig dickes Brett, was es zu bohren gilt.
Was die Leute mMn wahnsinnig unterschätzen ist dass durch Elektromobilität Mobilität im PKW Bereich wahnsinnig billig wird. Wir sind noch ganz am Anfang der Lernkurfe beim Batteriebau, die E-Autos haben viel weniger bewegliche Teile als Verbrenner, werden deshalb kaum kaputt. Wenn dazu noch die selbstfahrenden Autos wahr werden sollten will ich die Opfer sehen die da noch freiwillig Öffis fahren.
Was mich bei allen Verkehrsplanern und Mobilitätsexperten furchtbar stört, ist dass bei den ganzen Visionen und Diskussionen über den Modal-Split eine Gruppe von Verkehrsteilnehmern immer völlig ignoriert wird: die motorisierten Zweiräder – vor allem in Form der Roller. Diese haben in den südlichen Staaten immer schon einen großen Anteil am städtischen Verkehr und sind auch bei uns deutlich im Vormarsch.
Sie sind auch meiner Meinung nach allen anderen Verkehrsmitteln deutlich überlegen: höhere Reichweite als ein Fahrrad, mehr Transportkapazität (inkl. zwei Personen), besserer Wetterschutz dabei viel weniger Platzbedarf als selbst das kleinste Auto.
Und gerade hier sind Elektrokonzepte sehr brauchbar. Geschwindikeiten bis 80-90 mit vernünftiger Reichweite machbar, so dass auch das Einpendeln aus den Speckgürtelgemeinden kein Problem darstellen würde; ein Mitfahren auf der Stadtautobahn kein Problem. Aufladen ist bei den meisten auch kein Thema, herausnehmbare Akkus sind fast Standard.
Leider sehe ich hier, wenn sie nicht extra behandelt werden, sie den Autos zugeschlagen zu werden und damit den gleichen Verkehrsbeschränkungen unterliegen werden anstatt eigentlich in die Klasse der Pedelecs zu fallen.
Bitte Herr Professor Rammler, denken Sie auch an diese Fahrzeugklasse in Ihren Konzepten.
Danke speziell für diese Episode. Ich halte diesen Gesprächspartner und seine Aussagen für einen der klügsten und wichtigsten hier in Forschergeist. Definitiv werde ich dieses Gespräch zum Material machen in meinem Modul „Systemisches Denken“ der nächsten Studierendengruppe im „MSc Digital Transformation & Sustainabiltiy“ der HSBA
Ich liege gerade im Bett und kann nicht schlafen weil die Folge so gut ist. Sehr angenehmes Gespräch, Danke