Linda Breitlauch
Also Realität ist ja so ein Begriff, der immer gerne mit Wirklichkeit gleichgesetzt wird, was aber eigentlich gar nicht stimmt. Realität ist ja nur das, was wir wahrnehmen von der Wirklichkeit und es gibt nicht ohne Grund den Begriff virtuelle Realität. Was im virtuellen Raum passiert, kann für mich in meiner Realität ja genauso wirklich sein, wie eine objektive Wirklichkeit, der Tisch, der in diesem Raum steht. Also das ist immer so ein bisschen die Diskussion, die man führen kann und will, ist das sozusagen alles was im virtuellen Raum passiert, das ist ja alles irgendwie nicht real, sagt man immer so gerne. Das ist natürlich Unsinn. Aber das heißt, kann man aus Spielen etwas lernen? Das ist eigentlich nicht wirklich die Frage, denn Spiele oder das Spielen an sich ist ja sozusagen eine der ersten und wichtigsten und effektivsten Lernformen, die es überhaupt gibt.
Man weiß das aus der Pädagogik schon lange, es bestreitet ja auch gar keiner. Was man nur bestreitet ist, können Computerspiele, die eben sozusagen auf dem Bildschirm stattfinden und mir ein Tor geben zu einer wie auch immer gearteten virtuellen Welt, können die sozusagen das was das Spiel an positiven Effekten hat ebenfalls abbilden oder ist es nicht eher das Gegenteil davon? Da muss man sich natürlich erst mal die Frage stellen, nur weil es auf einem Bildschirm stattfindet ist es deswegen schlechter als andere Spielprinzipien? Ist sicher zu diskutieren, keine Frage. Man spricht ja also irgendwie von haptischem Erleben und so weiter. Das Spielprinzip an sich ist auf jeden Fall erst mal die Möglichkeit, sehr effektiv zu lernen, weil es immer in einem geschützten Raum stattfindet. Das heißt ich habe im Prinzip in dem Moment, wo ich im Spiel gewinne oder verliere, zwar etwas erlebt und gelernt, aber es ist erst mal noch nicht in der Wirklichkeit relevant. Also es hat noch keine Konsequenzen in der Wirklichkeit.
Und das bedeutet im Grunde genommen, dass das Spiel deswegen einer der besten Lernformen sein muss, weil ich so lange probieren kann nach meinem eigenen Rhythmus, deswegen spricht man da immer von dem Aspekt der Probehandlung, bis ich tatsächlich in einem bestimmten Punkt oder irgendwelchen Dingen so gut geworden bin, dass der Lernprozess als abgeschlossen angesehen werden kann, im Hinblick auf bestimmte Dinge. Und tatsächlich ist es beim Spiel so, ich kann selbst wenn ich sehr viel Zeit mit einem Spiel verbringe, wird es immer irgendwann einen Punkt geben, wo ich sage, ich habe alles gemacht in diesem Spiel, ich bin der beste und jetzt höre ich auf. Also High-Level-Depression wenn man so will. Das geht tatsächlich nahezu jedem Spieler irgendwann mal so, wenn er das nur als sagen wir mal Hobby betreibt. Dass man irgendwann merkt, also ich bin jetzt sozusagen hier der Experte geworden und deswegen wende ich mich jetzt etwas anderem zu.
Dem Menschen ist es zutiefst verinnerlicht, zu lernen. Und das machen wir auch alle gerne. Wir machen das vor allen Dingen deswegen gerne, weil wir intrinsisch davon angetrieben werden. Und man kann sich höchstens die Frage stellen, ist es problematisch, zum Lernen extrinsische Motivationsfaktoren einzusetzen. Also angefangen von so was banalem wie einer Benotung in der Schule, bis hin zu, du bist nicht versetzt, weil deine Noten so schlecht sind und so weiter und dem Aspekt zu sagen, du musst heute viel schaffen, damit du irgendwann später einen guten Beruf erlernen kannst. Zum Beispiel einem 13-Jährigen. Wenn du immer schön toll lernst und gute Noten bekommst, wirst du irgendwann mal in deinem Leben später was davon haben. Und das ist so ein bisschen die Schwierigkeit, das Lernen an sich macht an sich immer Spaß. Aber es muss im Prinzip so strukturiert sein, dass der Lernerfolg auch spürbar ist und dass er sich nicht nur in irgendetwas abbildet wie so was abstrakten, wie beispielsweise einer Note.
Sondern, und das ist der zweite wichtige Punkt, der Spiele so effektiv beim Lernen macht, das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Ich tue etwas in diesem System und dafür sind Computerspiele tatsächlich sehr geeignet, weil sie ein Feedback geben können auf das was ich tue und das was dann im System passiert meldet mir dann zurück, ist das eine erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Strategie. Wenn ich in einem Aufbauspiel Wirtschaftsketten anfange zu bauen, ich fange an mit einer Holzhütte, nächste Produktionsstätte und so weiter und so weiter, dann ist das zwar kein Abbild der Realität, der Wirklichkeit, sondern es ist eine Vereinfachung, eine Abstraktion, aber mit Abstraktionen arbeiten wir immer. Aber es veranschaulicht bestimmte Prozesse, die aufeinander aufbauen und ich stelle also eine Holzhütte irgendwo hin und stelle fest, wenn ich mir das Spiel anschaue, okay es ist viel effektiver, eine Holzhütte direkt an den Wald zu stellen, als irgendwo in die Wüste.
Und das heißt, ich fange im Grunde genommen an, in der Pädagogik nennt man das Learning by Doing, ich fange im Grunde genommen an, Prozesse zu lernen, indem ich ein sofortiges Feedback oder auch ein von mir aus etwas späteres Feedback bekommen, auf das was ich da tue. Also es heißt, es ist sinnvoll, kann ich damit das Problem lösen oder nicht? Und deswegen kann man Spiele zum Lernen hervorragend nutzen. Was natürlich nicht heißen soll, dass alle Computerspiele dafür gedacht sind. Das ist natürlich klar. Man kann zwar feststellen, ja in jedem Spiel lerne ich irgendwas.
Zur Zeit bin ich sehr begeistert von Duolingo. Das isn Tamagotchi-Spiel, mit dem man wohl recht gut Sprachen lernen kann. Und es ist kostenlos, weil das von so einer greenpeace-artigen WirMachenDieWeltSchönerOrganisation gemacht ist.
Wir haben bei uns an der TH auch versucht mit alternativen Lernmethoden zu Arbeiten (u.a. Problem-Based-Learning). Allerdings scheiterten wir daran, dass die Studierenden damit nicht richtig zurechtgekommen sind. Das liegt keineswegs an mangelnder Motivation oder mangelndem Wissen, sondern dass die Studierenden mit der Situation überfordert waren, sich selbst Stoff erarbeiten zu müssen und eben nicht alles Vorgekaut zu bekommen, was man später in der Klausur auswendig runterleihern kann…
Mit höheren Semestern funktioniert das ganze schon deutlich besser, hier war schon wieder präsenter, dass lernen != auswendig lernen ist.
Hallo!
Danke für die interessante Sendung! Habt ihr vielleicht noch mehr Informationen zu dem genannten Studiengang in Stuttgart? Ich habe ihn in der Liste nicht gefunden, vielleicht ist er auch noch nicht gelistet. An der Uni Saarland (also ganz in der Nähe von Trier :-) ) gibt es auch einen sehr jungen Studiengang, der sich im weiteren Sinne mit diesem Thema beschäftigt. Computerspiele werden da (bisher) nicht entwickelt, sehr wohl aber Konzepte dafür erarbeitet. http://edutech.uni-saarland.de/
Zum Thema Noten: Ein Aspekt, der für die Studenten sehr wichtig ist, hat mir ein bisschen gefehlt. Ihr habt ja angesprochen, dass sich einige Studenten vor allem auf die Note konzentrieren. Schön ist das sicherlich nicht, aber gerade in Bachelorstudiengängen ist die Sorge um einen Platz im Masterstudiengang doch ziemlich groß und auch durchaus gerechtfertigt. Universitäten vergeben Noten anhand verschiedener Kriterien, der eine Professor gibt immer gute Noten, der andere nie. Die Studenten kostet das im Zweifelsfall ihren Wunschmasterstudienplatz oder die Chance auf ein Stipendium, da leider eher selten ein umfassender Wissenstest bei der Bewerbung gemacht wird und die Universitäten auch die Durchschnittsnoten mit einem relativ hohen Anteil gewichten müssen. Ich habe es nicht so verstanden, dass ihr das irgendwie den Studenten vorgeworfen hättet, aber dieser Fokus auf Noten hat auch durchaus einen Grund.
Naja, Danke nochmal für die schöne Sendung :-)
Tim,
es ist ein wenig schade, dass du so wenig nachgefragt hast. Gerade von dir als Nichtzocker hätte ich erwartet, dass du bei den diversen genannten Spieletiteln nachhakst.
Ich für meinen Teil habe mich zwar zurecht gefunden, aber für alle anderen hat Linda dich in ziemlichen Rätseln gesprochen.
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Ich würde allerdings sagen, Assassin’s Creed kann für den Geschichtsunterricht nur dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn man auf die vielen Ungenauigkeiten, Vereinfachungen, gefüllten Lücken und anderen erfundenen Elemente in den Spielen eingeht. Ansonsten fördert man die größte Fehlannahme über Geschichte, nämlich dass wir präzise Kenntnisse des tatsächlich Geschehenen besitzen. Wir haben aber nur einen oder mehrere Konsensnarrative, die aus der Interpretation einer Vielzahl von Einzelquellen stammen, ausgewählt durch einen bestimmten Fokus, angereichert mit unseren eigenen Zuschreibungen und Werten und riesige Lücken dazwischen.
Gerade beim Beispiel der Boston Tea Party bei Assassin’s Creed III handelt es sich ja eigentlich um eine Alternativgeschichte. Den Berichten von diesem Ereignis zufolge sollen sich die Kolonisten als Indianer verkleidet haben. Im Spiel ist aber der einzige mehr oder weniger so Gekleidete der Spielercharakter, ein Halbindianer. Die Spieleentwickler wollen damit wohl sagen, dass in ihrer Version der Geschichte, die Überlieferung vom tatsächlichen Geschehen abweicht und ein einzelner Indianer zu einer ganzen Gruppe verkleideter Kolonisten fabuliert wurde. Wenn man die Assassin’s Creed-Spiele freilich mit dem entsprechenden Lehrmaterial nutzen würde, dass genau solche Diskrepanzen als Aufhänger für das Lernen verfügbar macht. Dann könnten sie vielleicht sogar lehrreicher sein, als eine Simulation, die versucht es noch genauer zu machen, aber auch nur in die Falle vermeintlicher Präzision tappen kann.
Ganz kurz zu Sprachen: Also außer man will eine Sprache sprechen, ist Sprechen nicht notwendig, um sie zu erlernen (Subvokalisation zähle ich mal nicht). Unter anderem lernt man so tote Sprachen.
Und schließlich muss ich doch nochmal etwas zu den am Ende erwähnten Erfahrungspunkten sagen. Erfahrungspunkte wurden meines Wissens für Rollenspiele erfunden, womit man Lernen in eine einfache Metrik gepresst hat, die die ganze Komplexität und Vielseitigkeit dieses Prozesses nivelliert, um es an die Bedürfnisse eines Spielsystems anzupassen. Dass wir jetzt dieses abstrakte stark reduzierte Konzept nutzen sollen, um tatsächliches Lernen zu repräsentieren, ist irgendwie irrwitzig. Anders ausgedrückt, ich glaube man kann deshalb Wissen über Spiel auf das Lernen übertragen, weil sie sich als Aktivitäten des Gehirns ähneln. Von „game“ kommend legt Gamification den Fokus auf Elemente formaler Spiele wie eben Erfahrungspunkte. Ich denke aber eher das freie Spielen beinhaltet die für Lernen ausschlaggebende Qualität. Insofern bin ich doch sehr skeptisch, ob Ansätze, die sich vorallem an formalen Spielen orientieren, etwas anderes machen, als dem Korsett der äußeren Messung von Leistung eine neue „Skin“ zu verpassen, um mal im Jargon zu bleiben.
Wer das im Podcast erwähnte EVE Online mal ausprobieren will, findet auf https://www.newbie-recruitment.com einen einmonatigen Trial Link.
7o