Dagmar Schäfer
Das ist auf jeden Fall eine von der chinesischen Regierung und von sicherlich vielen anderen Regierungen, die eben auf einem anderen Entwicklungsstand stehen als Europa, gewollte Perspektive. Weil sie halt eben auch das Paradigma der Modernität, dessen wo alle hin wollen, eben tatsächlich sehr gut verkörpert. Aber es geht ja hier eigentlich um die Frage sozusagen, die Werte die mit wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen kommen, sind sehr stark dadurch bestimmt, wie Europa seinen eigenen Narrativ geprägt hat. Die Frage ist ja, gibt es zum Beispiel eigentlich eine Naturwissenschaft, die nicht gepant ist? Jedes Experiment ist geplant. Ja natürlich hat es ein offenes Ende, aber es gibt ein Planungselement darin. Was macht dieses Planungselement darin? Wie unterschiedlich plant jemand? Und was für eine Auswirkung hat das zum Beispiel auf die wissenschaftliche Entwicklung, ob man zum Beispiel sehr kleinteilig plant, sehr großteilig plant.
Das sind ja Fragen, die wir zum Beispiel in der Wissenschaftsgeschichte bisher nie gefragt haben. Weil das Paradigma der Wissenschaftsgeschichte ist, Wissenschaft muss kreativ, open ended, der Held der einsame Held, der tatsächlich sozusagen Galileo, ein Newton, der alleine auf die Idee gekommen ist. Was die Wissenschaftsgeschichte in Europa heute auch ganz klar sagt, nicht der Fall war. Es gibt eigentlich sehr sehr wenige Einzelhelden und es gibt eben sehr sehr wenige völlig losgelöste Entwicklungen. Sondern die meisten Entwicklungen sind generisch, die meisten Entwicklungen sind tatsächlich auf vielen Vorentwicklungen basierend. Die ersten echten Durchbrüche sind oft rhetorische Durchbrüche, aber nicht faktische wissenschaftliche Durchbrüche. Und ich glaube, hier kann die Wissenschaftsgeschichte im nichteuropäischen Raum einfach wirklich auch diesen anderen Blick zeigen.
Auf was man vielleicht auch schauen muss, was die europäische wissenschaftliche Entwicklung vielleicht auch irgendwie hatte. Wie zum Beispiel das Planungselement. Aber auf das man nie geguckt hat, weil es eben einfach nicht der Narration, dem Ideal einer modernen Wissenschaft entspricht. Darauf wollte ich eigentlich so ein bisschen hinaus. Und dann ist natürlich auch die Frage, wenn man sich die moderne Entwicklung in so einem Land wie Asien oder Indien anguckt, die eben sehr stark geplant ist, wo zum Beispiel, es ist ja immer noch ein open ended Enterprise, weil man ja trotzdem nicht weiß, was hinten rauskommt. Aber wo man eben auch ganz kritisch seine eigenen Wertigkeiten hinterfragen kann und aus denen muss es da eigentlich Dinge ablaufen, die man in dem Blick holen muss. Also die man nicht negieren darf, nur weil sie eben diesem Ideal nicht entsprechen.
Sie haben vorhin selber gesagt, wenn man tatsächlich als Asienreisender so ein bisschen nur unterwegs ist, selbst als Tourist, dann sieht man eben, dass da Dinge passieren, die in Europa oder ich würde sogar sagen, im Westen, was immer das ist, in der westlichen Welt oft unterschätzt werden. Und da ist tatsächlich ein echter Nachholbedarf, da sollte man sich nicht – ich will keine Ängste schüren – aber da sollte man tatsächlich nicht glauben, dass man sich einen Platz geschaffen hat und den tatsächlich auch immer halten wird.
Das war so interessant, wie ich es mir vorgestellt habe. Schön, dass dieser Faden aus der ersten Folge wieder aufgenommen wurde.
Es klang so, als wäre noch ein weiter Weg zu gehen vom Bild jetzt vielleicht multipler isolierter Entwicklungszentren hin zu einer global verflochtenen Ideengeschichte. Man könnte zwar eine gewisse Gefahr darin sehen, sich dabei zu sehr von einen gewollten Fairness leiten zu lassen, aber die Gefahr scheint mir hier doch nicht allzu hoch zu sein, da die Übertragung von Wissen durch Vernetzung von kulturellen Sphären offenbar ein nachweislich wichtiger Faktor für die Entwicklung von Technik und Systematiken/Theorien war.
Nachdem die Wissenschaft in den verschiedensten Ländern auch immer wieder Phasen der nationalen Fokussierung und Abgrenzung durchlaufen hat und durchläuft, sehe ich gerade im Trend zur Globalgeschichte eine schöne Möglichkeit das zu überwinden.
Danke für die interessante Folge. Das angesprochen Labor in Sichuan ist übrigens kein Beschleuniger. Es dient vielmehr als extrem abgeschirmtes Labor zur Messung von Neutrinos und zur Suche nach extrem seltenen Kernzerfälle. Siehe auch http://www.bild-der-wissenschaft.de/bdw/bdwlive/heftarchiv/index2.php?object_id=33908882.
Spannende Folge. Die Wissenschaftsgeschichte konkreter Kulturen und Zeiträume zu betrachen fände ich als Thema häufiger interessant. Da lernt man doch nicht wenig, über seinen eigenen Tellerrand hinausszuschauen.
Apropos Rand:
Mir ist schon mehrfach aufgefallen, dass du von der bösen Kirche im Mittelalter sprichst, die meint, die Erde sei eine Scheibe. Das ist ein Mythos. Also das mit der Erde als Scheibe. Es gibt reichlich mittelalterliche Überlieferungen, die deutlich machen, dass es common knowledge war, dass die Erde eine Kugel ist.
Das mit der bösen wissenschaftsfeindlichen Kirche ist dann wieder ein anderes Thema, das sich nicht so leicht beantworten lässt, wie man es aus der Perspektive der Moderne so gern tut.