Hanns Hatt
Seewiesen ist dieses Max-Planck-Institut für Verhaltensforschung, das eben wie gesagt dadurch berühmt wurde, dass Konrad Lorentz dort seine bahnbrechenden Experimente gemacht hat. Und dieser Kontakt mit den Wissenschaftlern dort und natürlich auch diese Atmosphäre und diese ganzen Technologien und was da alles gemacht wurde, da habe ich dann auch meine Examensarbeit geschrieben in Seewiesen, eben über Riechen bei Schmetterlingen. Und das hat mich dann so fasziniert, dass ich gedacht habe, Mensch das ist ein tolles Gebiet, man kennt noch ganz wenig, hat ganz wenig Informationen drüber und das könnte ich mir auch vorstellen da mal weiterzumachen. Weil als ich dann Biologie und Chemie abgeschlossen hatte mit dem Staatsexamen am Ende, da war natürlich die Frage, was mach ich denn jetzt? Und dann stellte sich eben für mich der Scheideweg, bleibe ich in der Biologie oder versuche ich doch wieder in meinem Urwunsch der Medizin zu arbeiten, zurückzukommen?
Und da kam eben dann ein Angebot von einem Professor Dudel, der damals in Heidelberg war und ein Mediziner war, dass er nach München kommt und dort an der technischen Universität in München ein völlig neues Institut für Physiologie aufbaut und Studenten suchte. Ich hatte eigentlich schon ehrlich gesagt in Regensburg zugesagt, nach Regensburg zu gehen und dort eine Doktorarbeit zu machen an Collembolen, das sind so kleine Springschwänze. Wenn jemand so einen Blumentopf hat und er schaut mal in die Erde rein, dann hüpfen da so kleine weiße Tiere oft rum. Das sind übrigens auch die Tiere, die uns wenn wir mal tot sind alle auffuttern. Also wenn man jetzt später einen Sarg aufgemacht hat in der Pathologie oder in der Gerichtsmedizin, dann ist der Mensch überdeckt von diesen kleinen Springschwänzen, die durch alle Ritzen durchkommen, weil sie so winzig sind und eben auch da uns verspeisen können. Und diese Springschwänze da wusste man gar nicht wie die riechen können. Die haben natürlich auch einen Geruchssinn, so kleine Antennen.
Und ursprünglich wollte ich mal das Riechen bei Collembolen machen da in Regensburg. Aber da kam eben Josef Dudel nach München und sagte, also ich suche einen Doktoranden, kommen Sie doch zu mir. Da habe ich gesagt, prima dann bleibe ich in München und mache bei ihm Doktorarbeit und studiere nebenzu, wenn es irgendwie geht, eben noch Medizin. Das war dann so eine Art Traum von mir, das zu verbinden. Biologische Doktorarbeit, die ich bei ihm machen konnte, offiziell bei Professor Autrum, aber dann eben bei ihm ausgelagert in dem Institut und eben noch Medizinstudium nebenzu. Ja und das habe ich dann auch so gemacht und dann habe ich da also drei Jahre Doktorarbeit gemacht, was jetzt eigentlich nicht direkt was mit Riechen zu tun hatte, sondern mit Flusskrebsen. Also diese Hummer und Flusskrebse, das waren die Haustiere von Herrn Dudel. Und der studierte sozusagen die Funktion zwischen Nerven und Muskeln, die Interaktion anhand dieser Flusskrebse.
Weil die waren gut zu präparieren und das System, diese Nerv-Muskel-Interaktion und -Leitung, die waren ähnlich wie beim Menschen, hat man damals jedenfalls gedacht. Und drum hat er das als Modellsystem genommen. Und dann hat wir es also über Flusskrebse im Institut und da man auch da nichts über Riechen von Flusskrebsen, wie finden die denn ihre Nahrung im Wasser, wusste, habe ich dann nur gefragt, ob ich denn nebenbei neben diesen Nerv-Muskel-Geschichten vielleicht auch das Riechen anschauen kann, weil mich das faszinierte. Und dann habe ich also tatsächlich meine Doktorarbeit eigentlich über das Riechen bei Flusskrebsen gemacht, nebenzu, neben den anderen Arbeiten, die wir da gemacht haben an dem Institut. Und gefunden, dass die Flusskrebse so kleine Antennen haben. Und an diesen Antennen, wenn die dann im Wasser sind, können sie also sehr genau detektieren, wo gibt es Nahrungsquellen?
Die fressen ja Gras, die fressen aber auch tote Fische. Also die haben dann Sensoren für toten Fisch und für Gras und so. Haben wir dann zum ersten Mal auch gezeigt, dass Flusskrebse auch mit ihren Beinen riechen können. Das heißt wenn die rumlaufen, dann treten die auf einen toten Fisch und so wie wir mit dem Finger dann in die Tomatensuppe reingehen könnten und dann können die riechen. Wir können das nicht, wir würden uns die Finger verbrennen, aber die können dann detektieren, welcher Duft da ist. Und das war dann die Doktorarbeit in der Biologie. Und dann ging es über den Hummer weiter. Wie riecht der Hummer, das ist auch ganz schön, weil dann konnten wir immer die riesigen Hummer essen und mussten nur die kleinen Antennen oben wegmachen, der Rest war dann zur freien Verfügung. Seitdem mag ich keine Hummer mehr, weil es die in großen Mengen gab. Aber natürlich in der Medizin war es jetzt nicht gerade das prickelnde Thema jetzt, wie riecht der Krebs und der Hummer?
Und dann ging es schon eher Richtung Mäuse dann natürlich auch. Ich hatte immer noch meine Vorliebe für Schmetterlinge nicht verloren, die ich ja in Seewiesen eingepflanzt bekommen habe. Wir haben dann auch noch das Riechen bei Schmetterlingen weitergemacht. Also wie findet so ein Nachtfalter, wenn es völlig dunkel ist, so ein Männchen, wie findet der sein Weibchen, dass da irgendwo im Gras oder im Wald sitzt. Und das war eben damals noch relativ unbekannt. Und es gab den Seidenspinner den chinesischen. Von dem wurde eben gefunden, dass das Weibchen Stoffe abgibt, also Pheromone, also Lockstoffe, um dem Männchen zu sagen wo es ist. Dafür gab es eben auch den Nobelpreis in der Zeit. Aber wie die deutschen Nachtfalter, die da rumflogen, wie die das machen, das wusste man nicht. Dann habe ich mich also mit diesem Thema noch nebenzu beschäftigt, also wie machen die das?
Ganz ähnlich, haben auch riesige Antennen, mit denen die Männchen nach Duftmolekülen schauen, die die Weibchen eben abgeben, spezielle Moleküle und die sie dann sozusagen zu den Frauen da hinführen. Immer der Nase nach quasi fliegen die Männchen dann. Wobei dann eben auch klar war, dass jeder dieser Schmetterlingsarten einen eigenen Lockduft haben muss, damit natürlich nicht der falsche Mann angelockt wird. Weil dann kommt er dahin und es ist gar nicht seine Frau, sondern das gehört zu einer ganz anderen Art. Drum hat jede Insektenform ihren eigenen Lockduft entwickelt. Also ein unglaublich kompliziertes System. Tausende von verschiedenen kleinen Variationen führen dazu, dass jede Art anders riecht oder das Weibchen einen anderen Duft abgibt. Und das war eben auch ein Teil der Arbeit, die ich dann gemacht habe bei Herrn Dudel in der Physiologie. Er war wirklich großzügig zu mir muss ich sagen, dass man in der Medizin solche dinge machen konnte. Und habe nebenzu Medizin studiert und das dann auch fertig gemacht.
Habe dann auch mal eine Zeit lang eine Praxis sogar gemacht, ich habe überlegt sogar in die Praxis zu gehen für zwei Jahre halt eine Praxis mal für Naturheilverfahren. Weil mich das auch noch brennend interessiert hat, gibt es denn da außer dieser Hardcore-Wissenschaft vielleicht so etwas wie Akupunktur und Homöopathie, was vielleicht sogar irgendeine Grundlage hat eine physiologische? Habe dann also die Ausbildung noch gemacht, um mich einfach ein bisschen breiter auszubilden. Und dazu noch Philosophie studiert und bis zum Bacheloriat sozusagen, weil ich sagte, du musst noch so einen anderen Schwerpunkt kriegen und nicht nur diese ganze naturwissenschaftliche Seite. Also wie denkt man auch anders vielleicht über die Welt. Ja und das war dann. Aber dann ging es eben doch eher über die Maus zum Menschen. Das Riechen faszinierte mich immer mehr. Ich habe dann noch eine Doktorarbeit in der Medizin gemacht anschließend natürlich, als mein Medizinstudium fertig war.
Da ging es dann schon um allgemeine Sensorik, also wie nehmen Tiere Temperaturen wahr? Chemische Reize und Temperaturen zusammen. Das wurde dann später in Bochum nochmal ein Schwerpunkt hier auch. Wir wissen ja, dass oft Temperatur und Chemie zusammenhängt. Also dass manche Stoffe, Minze, Menthol, wenn man die riecht, dann wird es einem kalt und wenn man auf eine Peperoni beißt, wird es einem heiß. So was gibt es also auch schon bei Tieren. Und solche Dinge haben wir dann studiert. Also diese Temperatur- und Chemiezusammenhänge. Sind das die gleichen Sensoren, die sowas machen? Und es ist tatsächlich so, also es gibt Sensoren, die sind für beides zuständig, Chemie und Temperatur. Und deswegen ist es klar, wenn ich die Chemie dann mit chemischen Stoffen diesen Sensor reize, dass der dann gleichzeitig auch eine Temperatur auslöst, eine Temperaturempfindung auslöst. Ja das war dann meine medizinische Doktorarbeit. Und dann habe ich mich dort habilitiert bei Herrn Dudel in der Physiologie.
Und eben dann nochmal eine physiologische Promotion gemacht, das gab es damals noch in München. Dass man dann in Physiologie noch eine Arbeit schreiben konnte. Und das war dann schon eine Arbeit, die generell um gesamte Duftempfindung bei Mensch und Tier ging. Und ja dann war eben die Frage, wie geht es weiter, wo kommt man unter dann mit diesen Themen? Und wir hatten eben in München neben dieser ja Riechforschung, die ich halt immer so nebenbei als Hobby betrieben habe, damals etwas ganz bahnbrechendes entdeckt bei Herrn Dudel und damit wurden wir auch eigentlich weltberühmt. Es ist uns nämlich zum ersten Mal gelungen damals in dem Institut, den Strom durch einen einzelnen Ionenkanal, durch einen Kanal in der Zellmembran zu messen, der nur ganz kurz aufmacht.
Zu dieser Zeit gab es zwei deutsche berühmte Forscher, Erwin Neher und Bert Sakmann, die beide Nobelpreise erhalten haben in den Jahren dafür, dass sie eine Technik entwickelt haben in der Zellmembran, die es in jeder Zellmembran des Menschen gibt, nämlich kleine Proteine, Kanalproteine zu detektieren und den Strom durch diese Kanalproteine zu messen. Also das sind wie so Lego-Bausteine, so wo 4-5 Bausteine eine Röhre bilden und diese Röhre kann auf und zu gehen. Kann durch bestimmte chemische Reize oder mechanische Reize kann diese Röhre auf und zu gemacht werden. Und wenn sie auf ist, dann fließt durch diese Röhre in die Zellen ein Strom, ein messbarer Strom. Und das war damals völlig unbekannt, dass es so was gibt. Und man dachte immer, die Zellmembran die bricht einfach auf und es gibt ein Leck und dann fließt dann was rein.
Aber die beiden Deutschen haben dann tatsächlich eine neue Technik entwickelt, nennt sich Patch-Clamp-Technik. Also eine Methode, die mit einer feinen Pipette setzt man sich über diese Kanäle. Das ist so ähnlich wie wenn der Ausguss verstopft ist, dann gibt es ja diesen Stößel da, das ist so ein Holzstab, wo unten so ein Gummi dran ist. Und so ähnlich sieht diese Pipette aus. Also man setzt so eine Pipette wie so einen Gummi über diese Zellmembran und macht die ganz dicht dann. So dass also wenn man einen Strom in dieser Pipette messen kann, man sicher sein kann, dass der unbedingt nur durch diese Löcher in der Membran geht und nicht irgendwie außen rum fließen kann. Das war die große Entdeckung von Erwin Neo und Bert Sackmann. Aber sie konnten eben diese Kanäle nur in einem permanent offenen Zustand messen. Also da musste der Kanal immer offen sein und dann fließt da so viel Strom durch, dass sie den sehen konnten. Und wir haben damals eine völlig neue Technik entwickelt. Nennt sich ein schnelles Applikationssystem.
Das heißt wir konnten dann Stoffe, die diese Kanäle öffnen, das sind so wichtige Botenstoffe, die wir beim Menschen auch im Gehirn haben, wie Serotonin oder Glutamat oder Acetylcholin. Also das sind Botenstoffe, die menschliche Zellen abgeben und bei der anderen Zelle dann so einen Kanal öffnen. Und diese Botenstoffe konnten wir innerhalb von einer tausendstel Sekunde auf eine Zelle applizieren und wieder wegnehmen. So dass wir also für eine tausendstel Sekunde sehen konnten, geht der Kanal auf oder nicht. Und wenn man ihn wieder wegnimmt, geht er wieder zu. Also wir konnten sozusagen das Schaltverhalten dieser Kanäle zeigen, aber bei der Gelegenheit haben wir etwas faszinierendes gefunden. Dass wenn man nämlich so einen Botenstoff für längere Zeit auf den Kanal gibt, für eine Minute oder Sekunde oder 10 Sekunden, dass es Kanäle gibt, die nur einmal aufmachen für eine tausendstel Sekunde oder zwei und dann wieder zumachen und nie mehr aufmachen.
Und das waren Kanäle, die vorher von den Nobelpreisträgern nie gesehen werden konnten, weil die immer nur diese Kanäle im dauerhaft aktivierten Zustand angeschaut haben. Und diese Kanäle, die so schnell und ganz kurz nur mal aufmachen, wenn sie ein Botenstoffmolekül sehen und wieder zu und obwohl das Botenstoffmolekül da ist weiterhin, nicht mehr aufmachen. Man nennt das also Adaptation, also Gewöhnung sozusagen. Diese Kanäle konnten wir nun zum ersten Mal zeigen überhaupt in der Welt. Und die sind eigentlich die entscheidenden für viele Gehirnprozesse, für die Nerv-Muskel-Interaktionen, da sind alle diese schnellen inaktivierenden Kanäle, die wurden früher gar nicht gesehen und die konnte man jetzt erstmals analysieren. Und das war wirklich bahnbrechende Arbeit in dem Labor von Herrn Dudel. Und damit wurden wir dann sehr bekannt und berühmt und das hat mir natürlich sehr geholfen bei meinen Versuchen, dann jetzt irgendwo eine Professur zu bekommen.
Weil es glaube ich keine besseren Forschungsbedingungen gibt als hier. Das ist einfach grandios. Und wenn man sieht, dass das Ruhrgebiet auch, wenn man hier rausschaut, einfach auch sehr sehr schöne Ecken hat und sehr schön sein kann und die Leute prima sind, also dann glaube ich nach einigen Jahren überlegt man sich, ob man hier überhaupt wieder weggeht.
Wahnsinnig interessante Sendung. Ein wenig schockiert war ich, dass ich lernen musste, mir das Parfum nicht mehr auf die Haut aufzutragen. Sehr lehrreich auch, dass man sich mit Düften konditionieren kann.
Ein wenig Schade fand ich, dass Tim nicht nachgefragt hat, wie wir mit der Industrie umgehen sollen, die uns Düfte in unseren Alltag schmuggeln (Kunststoffe, Autohäuser, Lebensmittelketten).
„Ein wenig Schade fand ich, dass Tim nicht nachgefragt hat, wie wir mit der Industrie umgehen sollen, die uns Düfte in unseren Alltag schmuggeln (Kunststoffe, Autohäuser, Lebensmittelketten).“
Ja, das wäre eine sehr interessante Frage gewesen!
Wahrscheinlich leider eine ganze Weile lang gar nicht, so lange nicht anerkannt ist, dass das Methoden der Käuferbeeinflussung sind und irgendwann reguliert gehören. Wie so oft wird es erst mal gemacht, keiner hat es auf dem Schirm, hat Erfolg, wird öfter und mehr angewendet, und während der Einfluss groß und größer wird, muss sich die Politik erst mal auf das „Neuland“ begeben und in Ruhe abklären, ob denn Handlungsbedarf besteht. Bis dahin stopfen sich die Konzerne die Taschen voll.
Gibt es auch einen Direktlink zur MP3-Datei, oder kann man die Folge nur noch mit aktiviertem JavaScript herunterladen?
Hallo! Diese Frage war auch die Meinige. Wenn man auf die ‚Cloud-Wolke‘ tippt, wird man fündig. Einfach statt m4a-Version mp3 auswählen und download aktivieren.
Freundliche Grüße!
TIM! Heiliger Bimbam, was für eine Sendung! (und ich bin noch nicht mal ganz durch)
Kann dem Mann bitte jemand ganz viel Geld geben? Finanziert ihm einen Nachfolger! Oder drei. Die Herangehensweisen, die er zeigt, und die Fragen die er stellt, das möchte ich bei so vielen Menschen wie möglich sehen. Ich wusste noch nicht, dass es eine Akademieunion gibt, dass Herr Hatt im Vorstand ist, finde ich großartig.
Langer Kommentar voraus.
tl;dr: lest ihn trotzdem.
Begeisterung über (Bio-)Chemische Implikationen, Dystopische Voraussagen, wie Konzerne aus den Ergebnissen Geld machen wollen könnten, und eigentlich lieber niemand wissen will, was wir so täglich einatmen. Geht öfter raus, macht öfter das Fenster auf! Und tragt „Knowledge“ beim nächsten Date!
Ich dachte schon nach zehn Minuten des Hörens „Wow, was für ein großartiger Interviewpartner, der einerseits einfach und umgangssprachlich Prozesse erklärt, und dann wie im Vorbeigehen die Fachbegriffe nennt.“
Dass du später in der Aufnahme erwähnst, dass er den Communikatorpreis 2010 verliehen bekommen hat, passt perfekt ins Bild.
Er hat also Chemie und Biologie parallel studiert, in beidem einen Abschluß, und während er drei Jahre promoviert hat, hat er „nebenbei“ noch Medizin studiert? Wow. Ich schwanke zwischen Bewunderung und Neid. Sowas ginge heute nicht mal ansatzweise. Von der Finanzierung mal ganz abgesehen.
Und dann *was* er da herausgefunden hat. Ich bin Chemiker mit Schwerpunkten auf organischer Chemie und Biochemie, daher machen viele Details für mich wahrscheinlich noch mal extra viel Sinn.
Sämtliche Körperzellen mit einem individuellen Muster an Rezeptoren? Krebszellen, die man mit einem bestimmten Duft einschläfern kann? Hautzellen, die man zu mehr Aktivität anregen kann? Asthma Linderung mit einem Duft? Verringerung von Magensaftsekretion mit Mikrogramm eines Duftstoffs, anstatt grammweise Omeprazol zu schlucken? Das klingt wie ein heiliger Gral und riecht für mich (no pun intended) nach Nobelpreis (zum Glück *höre* ich nur Methodisch Inkorrekt, die haben da ja so einen Runninggag mit Nobelpreisvorhersagen).
Andererseits hat die Pharmaindustrie daran ganz sicher kein großes Interesse. Omeprazol und Verwandte sind ein Milliardengeschäft (https://de.wikipedia.org/wiki/Protonenpumpenhemmer#Nebenwirkungen eine bessere Quelle habe ich ad-hoc nicht gefunden), und gehören zu den meistverschriebenen Medikamenten überhaupt (https://www.welt.de/gesundheit/article108595998/Das-sind-die-Lieblingsmedikamente-der-Deutschen.html) unsere Gesellschaft und unser Alltag gibt reichlich Anlass zu Magengeschwüren. Ähnliches dürfte für Blutdrucksenker gelten, ich wette, früher oder später werden auch Rezeptoren gefunden werden, die diesen beeinflussen können.
Das Tragische: die Forschung und die Methoden sind teilweise ziemlich neu und fortgeschritten, man kann als Normalsterblicher kaum was davon nachvollziehen, und es ist besorgniserregend nahe an Pseudowissenschaften und Esoterik dran, bzw. könnte damit verwechselt oder als „Beweis“ verwendet werden. Wobei tatsächlich mit dem Ausblick, den der Podcast gibt, eine sehr interessante Fragestellung wäre, ob zumindest von den hochdosierten Homöopathiepräparaten einige hundert oder tausend Moleküle im Blutkreislauf landen und dort an Rezeptoren tatsächlich reproduzierbare Effekte erzielen. Wodurch das ganze aber keine Homöopathie mehr wäre, weil dann wirkt es ja auf eine plausible Art.
Kann dem Mann bitte jemand ganz viel Geld geben? Finanziert ihm einen Nachfolger! Oder drei. Die Herangehensweisen, die er zeigt, und die Fragen die er stellt, das möchte ich bei so vielen Menschen wie möglich sehen. Ich wusste noch nicht, dass es eine Akademieunion gibt, dass Herr Hatt im Vorstand ist, finde ich großartig.
Dann kann ich mir leider gut vorstellen, wie Manager von Geldinstituten die Dollarzeichen in den Augen stehen, wenn sie die Ergebnisse der Forschung über Hideon hören und jenes großzügig in den Büros ihrer Finanzberater versprühen. Die würden vermutlich massiv von ein bisschen Extravertrauen ihrer Kunden profitieren, wenn sie mal wieder irgendwelche faulen Wertpapiere oder übermäßig riskante Hedgefonds verkaufen müssen. Vielleicht wird es das neue Businessparfum für Versicherungsmakler. Oder Verkaufspersonal für Luxusgüter.
Nächstes Szenario:
Im 20. Jahrhundert wurde Asbest großzügig für seine brandhemmenden und isolierenden Eigenschaften geschätzt und verwendet. Es hat viele Jahrzehnte gedauert, von der Erkenntnis, dass Asbest eine ernsthafte Gesundheitsgefahr darstellt, bis das Material ganz allmählich rückgebaut wurde und „Asbest-versuchte“ Gebäude stillgelegt wurden.
Wir sind in unseren Innenräumen von tausenden von organischen Molekülen in der Luft umgeben, die über viele Jahre aus den Materialien ausgasen. Kunststoffe haben unser Leben revolutioniert, so langsam kommt ans Licht, dass aus denen u.a. Weichmacher herausdampfen, die hormonartige Wirkung haben, und die Mengen an Plastikabfall diese Stoffe ins Meer getragen und den Hormonhaushalt von Fischen durcheinandergebracht haben.
Wir kennen von unseren Eltern (hoffentlich) noch die Ermahnung „geh mehr an die frische Luft!“. In unserer westlichen Gesellschaft verbringen wir immer mehr Zeit in Gebäuden, und wie die vorgestellte Duftforschung nahelegt, in einer Atmosphäre ungeahnter Wirkung auf die Menschen, die darin ihrem Alltag nachgehen. Mich würde nicht wundern, wenn Herrn Hatts Forschung in den nächsten zehn Jahren ans Tageslicht brächte, dass wir in unseren Gebäuden schlimmerem als Asbest ausgesetzt sind. Falls das jemand wissen will. Leider ist Ignoranz viel angenehmer, und was man nicht sieht, ist auch nicht da. Bis Menschen mit tragbaren Gaschromatographen durch Gebäude laufen, und Formaldehyd und andere banale VOCs (https://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%BCchtige_organische_Verbindungen) schon gar nicht mehr interessant sind.
In meinem ersten Studiensemseter war grade das Thema „Acrylamid in Fritteusenfett“ in den Medien, und der Prof in der Grundvorlesung meinte dazu recht abgebrüht (paraphrasiert):
„Acrylamid war früher auch schon im Fett, wir wussten es nur nicht, weil wir es nicht nachweisen konnten. Jetzt haben wir so genaue Analytik, dass wir es können, und dann wird es plötzlich ein Skandal.“
Wobei https://de.wikipedia.org/wiki/Acrylamid schon mal prinzipiell giftig ist und sich z.B. besonders leicht bei der Zubereitung von Pommes Frites bildet. Es kann (und wird in Varianten) auch zur Herstellung von gelartigen Polymeren verwendet, die im Tonnenmaßstab in modernen Babywindeln zum Binden von Urin verwendet werden. Es ist nicht auszuschließen, dass noch Monomere in winzigen Mengen aus der Windel austreten, und die ersten paar Lebensjahre eines Babys quasi permanent und nur durch ein dünnes Plastikvlies getrennt auf der Haut liegen.
Das ist erst mal nur eine Hypothese, die zeigen soll, dass Stoffe, die sehr lange und in großen Mengen sehr nahe an jedem Menschen zu liegen kommen – und kaum jemand hat auch nur auf dem Schirm, dass man in die Richtung mal gucken sollte. Ist ja normal, und man hat anderes zu tun.
Um die Stimmung am Schluß wieder zu heben:
Ich werde bei meinem nächsten Date mal einen Spritzer „Knowledge“ tragen (auf dem Revers natürlich), und schauen, ob ich dadurch meine Chancen bei meiner Begleitung verbessern kann. :-D
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Später Kommentar, ich weiß…. ich wäre neugierig wo man das mit dem anti-Histamin / bronchienentspanner weiterverfolgen kann
Noch späterer Kommentar:
Großartige Folge, Herr Hatt konnte schon immer gut reden.
Ein wenig schade fand ich den recht unkommentierten Teil über Open Access Journals (erschien mir so, als wären da Predatory Journals und seriöse Open Access Journale in einem Topf gelandet).