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FG054 Urbane Resilienz

Über die Wandlungsfähigkeit, Evolution und Widerstandsfähigkeit des städtischen Raums

Jochen Rabe ist Professor für „Urbane Resilienz und Digitalisierung“ am Einstein Center Digital Future (ECDF) in Berlin. Am ECDF werden Zukunftsfragen erörtert, zum Beispiel: Wie bewältigen die Städte und unsere Wohnquartiere den rasanten urbanen Wandel? Wie belastbar und erneuerungsfähig sind die Quartiere und Infrastrukturen? Ist Digitalisierung nur Prozesstreiber des Wandels der Städte oder ist sie auch Schlüssel zur Beseitigung von urbanen Defiziten? Diesen und vielen anderen Fragen widmet sich die Urbane Resilienzforschung, über die wir in dieser Episode sprechen. Urbane Resilienz, also die Wiedererneuerungkräfte unserer Städte im Angesicht immer schnelleren Entwicklungsdrucks, rückt in Anbetracht der globalen Herausforderungen u.a. der Urbanisierung, des Klimawandels oder der Ressourcenknappheit zunehmend in den Fokus der Forschung und Politik. In Abgrenzung zu überwiegend technologiegetriebenen SMART City Konzepten, stellt Jochen Rabe die rapide Digitalisierung unserer Städte in den Kontext der Resilienz und erforscht, inwieweit Digitalisierungsprozesse die Erneuerungs- und Widerstandskräfte unserer Städte stärken oder auch schwächen können.

https://forschergeist.de/podcast/fg054-urbane-resilienz/
Veröffentlicht am: 12. März 2018
Dauer: 1:34:57


Kapitel

  1. Intro 00:00:00.000
  2. Begrüßung 00:00:42.805
  3. Einstein-Zentrum Digitale Zukunft 00:01:28.053
  4. Persönlicher Werdegang 00:03:53.481
  5. Forschungsauftrag 00:07:55.468
  6. Urbane Resilienz 00:12:53.332
  7. Struktur der Lehre 00:20:25.588
  8. Struktur der Forschung 00:25:41.033
  9. Verkehr und Räume 00:30:50.461
  10. Digitale Stadtplanung 00:39:13.844
  11. Mobilitätskonzepte 00:54:32.018
  12. Building Information Modelling 01:06:40.786
  13. Energiefragen 01:15:55.346
  14. Seilbahnen 01:22:38.276
  15. Zukunft 01:26:37.906
  16. Ausklang 01:33:47.842

Transkript

Tim Pritlove
0:00:43
Jochen Rabe
0:01:24
Tim Pritlove
0:01:26
Jochen Rabe
0:01:35
Tim Pritlove
0:01:41
Jochen Rabe
0:01:47
Tim Pritlove
0:01:49
Jochen Rabe
0:01:54
Tim Pritlove
0:02:16
Jochen Rabe
0:02:18
Tim Pritlove
0:02:55
Jochen Rabe
0:02:58
Tim Pritlove
0:03:53
Jochen Rabe
0:04:16
Tim Pritlove
0:04:53
Jochen Rabe
0:04:54
Tim Pritlove
0:04:57

Ja.

Jochen Rabe
0:04:58
Tim Pritlove
0:06:23
Jochen Rabe
0:06:25
Tim Pritlove
0:07:04
Jochen Rabe
0:07:24
Tim Pritlove
0:07:56
Jochen Rabe
0:08:04

Wir haben schon in den letzten Jahren ein großes Forschungsprojekt gemacht im Rahmen meiner privatwirtschaftlichen Tätigkeit bei BuroHappold. Das drehte sich um Elektromobilität und im Grunde genommen, wie man dieses System Elektromobilität im städtischen Kontext landen lassen kann. Also ein System zu entwickeln ist relativ „einfach“, aber das wirklich dann in der Stadt und im gebauten Kontext überall unterzubringen ist hochgradig komplex. Und wie ich schon vorher meinte, ich bin eigentlich immer dran interessiert gewesen, was tut sich in der Wissenschaft? Ich habe versucht, diese Forschungsprojekte, wissenschaftliche Tätigkeiten in meine privatwirtschaftlichen Aktivitäten einzubinden. Und irgendwann wurde dann an mich herangetreten, dass dieses Einstein-Zentrum digitale Zukunft gegründet werden sollte und dass nach jemandem gesucht wurde, der sich mit dem Thema Stadt auskennt. Ganz konkrete Anlass war, muss ich vielleicht noch kurz erklären, dass jede Professur am Einstein-Zentrum digitale Zukunft ein Stifterkonstrukt ist. Also es gibt Stifter, die eine Professur fördern und jeweils zu jedem Euro wird noch 50% von der Stadt dazugetan. In meinem Falle sind das zwei der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Das ist die Howoge und die Gesobau, die glaube ich sehr früh erkannt haben, welches Potenzial dieses Einstein-Zentrum haben kann und gleichzeitig zu dem Zeitpunkt hatten sie eins der größten Wohnungsbauvorhaben in Berlin, was sie gemeinsam angehen wollten. Was dann leider Opfer geworden ist, was heißt Opfer, es ist aber erst mal zurückgestellt worden in den Koalitionsverhandlungen in den letzten. Aber mit beiden arbeite ich jetzt auch zusammen an meinen Forschungsprojekten. Und beide sind sehr spannend, weil die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin natürlich große Wohnungsbestände haben und betreiben und sich glaube ich auch zunehmend in der Verantwortung sehen, nicht nur Vermieter zu sein, sondern auch über den städtischen Kontext nachzudenken.

Tim Pritlove
0:10:20
Jochen Rabe
0:10:53

Nein gar nicht, also Stadt ist einer von ganz ganz vielen Aspekten. Also es ist wirklich offen. Es gab einen Antrag, der Profile für Professuren umrissen hatte, das waren diese 50 Profile. Und da ist Stadt nur eins von vielen Themen. Stadt ist insofern interessant, weil es immer ein Querschnittsthema ist, es gibt aber auch hochspezialisierte Themen. Es gibt ganz klassische technologische Fragestellungen, die behandelt werden von 5G-Technologie, wie sehen die Netzwerke der Zukunft aus? Aber es gibt auch die Mediziner, die sich mit BigData beschäftigen, was passiert eigentlich, wenn man zum Beispiel in der Radiologie Zugang hat zu massenhaften Kernspinbildern? Kann man dann neue Diagnoseverfahren entwickeln etc.? Ich glaube an der Charité die sind noch dabei. Momentan muss man sagen sind wir zu acht glaube ich. Denn so was, wie du schon sagtest, braucht auch eine Zeit, so was aufs Gleis zu legen. Und dann Berufungsverfahren haben auch alle ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und Zeitläufe, insofern muss das noch kommen. Aber die digitale Zukunft ist hier tatsächlich ganz ganz breit angelegt. Ich habe als einer der ersten Dinge, die ich gemacht habe, ist, mir diese Profile mal anzugucken und zu sagen, was kann für Stadt relevant sein. Und da kamen ganz viele Themen auf. Es gibt auch SmartWater, SmartMobility, mehrere Bereiche, die für Stadt sehr sehr relevant sein werden. Und dann ist das Ansinnen eben, dass diese Professuren sich auch zusammentun. Das ist auch strukturell durchaus eingebaut, also an seine Ausstattung kommt man eigentlich nur dann, wenn man auch interdisziplinäre Forschungsprojekte aufstellt. Und was ich sehr begrüße. Aber wie du schon richtig meintest, das beginnt eigentlich gerade erst und beginnt jetzt aber auch, Früchte zu tragen.

Tim Pritlove
0:12:53
Jochen Rabe
0:13:29

Also ich würde mal sagen, in Deutschland hat es bisher eine Ausprägung, die der internationalen Interpretation noch ein bisschen hinterher hängt. Also Resilienz wird in der Tat oftmals übersetzt als Widerstandskraft. Oder was passiert nach Schockerlebnissen, also zum Beispiel einer Flut? Wie kann die Stadt darauf reagieren oder welche Systeme gibt es, um den Status quo von vorher wieder herzustellen? Katastrophenschutz nennt man das Ganze. Das ist tatsächlich ein Teil der Übung, das ist aber weniger der Teil, für den ich mich interessiere. Es geht eigentlich um Wiedererneuerungskräfte im Angesicht von längerfristigen Krisen. Also Dingen, die Stadtentwicklung beeinflussen, und zwar nicht nur in einem einzigen Moment, in Form einer Katastrophe, sondern eigentlich eine Herausforderung sind, auf die reagiert werden muss. In Form von wie auch immer den richtigen Policies oder tatsächlich auch mit physischen Maßnahmen. Also im Kern für mich liegt eigentlich die evolutionäre Resilienz, wie können sich Städte weiterentwickeln. Ich bringe manchmal, das ist in der Tat so ein bisschen ein sperriger Begriff, manchmal wird auch gesagt, das ist die neue Nachhaltigkeit, die neue Sustainability. Nein ist es nicht, es ersetzt sie auch nicht, es ist einfach eine Reaktion darauf, dass verstanden wird, dass wir mit herkömmlicher Planung über Jahrzehnte teilweise nicht mehr dem Wandel entsprechen können, den wir gleichzeitig erleben. Und in Vorlesungen bringe ich manchmal eine große Kupferspirale mit, so wie sie in alten Sofas drinstecken und stelle sie auf den Tisch und lass die Leute draufdrücken. Und das, was zurückkommt, ist im Grunde genommen Resilienz. Das kann man manchmal physisch ganz gut begreifen. Es ist insofern leicht missverständlich, weil es eben nicht so richtig abbildet, dass nach einem Ereignis oder nach einer Krise, wo dann wie auch immer darauf reagiert wird, dass das Quartier, meinetwegen das Stadtquartier hinterher nicht mehr genau das gleiche ist wie vorher. Also das entscheidende bei der Resilienzforschung ist auch, dass man sich Wandlung anguckt, aber nicht unkritisch einfach sagt, naja dann ist es hinterher einfach was anderes. Sondern dass man auch versucht, das Wesen von einem Stadtquartier vorher zu erfassen und natürlich auch zu erhalten in der Wandlung dieser Quartiere.

Tim Pritlove
0:15:59
Jochen Rabe
0:16:31

Wenn man auf natürliche Prozesse guckt, unbedingt, da ist das mit drin. Da gibt es Zyklen, die darauf eigentlich sogar basieren, dass Schocks eintreten. Also es gibt Bäume, die keimen nur dann, wenn ein Waldbrand über sie einher gestürzt ist, weil nur dann die Saat aufspringt. In der Stadtplanung ist das aber natürlich schwierig, mit entsprechendem Versagen zu planen. Natürlich versagt Stadtplanung oder versagen Städte hier und da auch, nicht immer gleich in Form eines Brandes. Wobei auch das gab es. Also ich will mal sagen, die Brandschutzregulierung, die wir haben, die Brandschutzgesetze, die sehr weitgehend sind, kann man alle darauf zurückführen, dass fast jede Stadt in Europa irgendwann mal einen großen Brand hatte. Aber wenn man nach vorne guckt und Planungen aufstellt, ist es natürlich schwer kommunizierbar, dass man auch wirklich ein Systemversagen mit einplanen oder mit einrechnen muss. Also an der Stelle ist es halt Anlass zu einem Masterplan. Masterplan sagt, okay so wird es in 20 Jahren und das bauen wir jetzt. Das ist in einem Neubaukontext vielleicht möglich, auch da würde ich das bezweifeln, dass man über so lange Zeit – und das ist beim Maßstab Stadt immer eine ganz wichtige Unterscheidung machen müssen. Stadt entwickelt sich über viel längere Zeiträume als ein Gebäude zum Beispiel. Ein Gebäude hat eine Planungszeit von 2-3 Jahren oder so, manchmal sogar schneller, manchmal länger. Und dann baut man das auch nochmal über 1-3 Jahre und dann steht das Ding da. Und eine Stadt hat natürlich viel viel mehr Leute, die es betrifft, viel mehr Leute, die mitplanen müssen. Viel mehr auch immer wieder Abschnitte, wo neues entschieden werden muss. Es ist kein einzelnes isolierbares Geschehenvorhaben, sondern es ist ein System, was geplant werden muss, bzw. wo wir jetzt auch gerade mit der Digitalisierung neue Instrumente bekommen, um besser zu verstehen eigentlich überhaupt, wie Stadt sich entwickelt in einer Vielzahl von Systemen. Im Grunde genommen ist es ein System von Systemen.

Tim Pritlove
0:18:50
Jochen Rabe
0:19:02
Tim Pritlove
0:19:53
Jochen Rabe
0:19:59
Tim Pritlove
0:20:24
Jochen Rabe
0:20:59
Tim Pritlove
0:21:31
Jochen Rabe
0:21:36

Es ist die Lehre, genau. Einstein-Zenter digitale Zukunft Professur ist eigentlich im Wesen eine Forschungsprofessur, würde ich sagen. Aber gleichzeitig dürfen wir auch viel lehren. Ich sage ganz bewusst und völlig unironisch dürfen, denn gerade in der Stadtplanung bzw. in der Architektur ist projektgebundenes Forschen eigentlich glücklicherweise schon seit geraumer Zeit Gang und Gäbe. Also wir haben zwar noch Vorlesungen, aber wenn in anderen Studiengängen heutzutage die Lehre vornehmlich aus Vorlesungen besteht, sind es bei uns eigentlich meistens Projekte, anhand deren dann noch zusätzliche Aspekte geklärt werden. Also wir haben ein Projekt momentan, was sich mit der Zukunft in Neuhohenschönhausen beschäftigt. Da erlauben wir uns mal, irgendwie 20 Jahre nach vorne zu denken und sagen, welche Einflüsse finden wir da momentan, welche sind wahrscheinlich, welche wünschen wir uns? Das ist auch ganz wichtig glaube ich bei Zukunftsfragen, dass wir zu wenig darüber nachdenken, wie wünschen wir uns eigentlich unsere Zukunft. Nicht nur, wie begegnen wir den ganzen Herausforderungen, ergeben der Digitalisierung oder was auch immer das ist, sondern was wünschen wir uns für uns? Und das passiert dann zum Beispiel in Form eines einsemestrigen sehr intensiven Entwurfstudios, was ich gemeinsam mit einem Kollegen gemacht habe. Und jetzt bis hin zu einer öffentlichen Ausstellung führt, wo wir denn auch hoffentlich mit den Bürgern vor Ort einfach mal über die Zukunft reden. Und die Zukunftsvisionen oder Szenarien muss man eigentlich eher sagen, mit denen debattieren, aber auch vielleicht Maßnahmen, die man jetzt ergreifen kann, um zu einer gewünschten Zukunft zu kommen.

Tim Pritlove
0:23:27
Jochen Rabe
0:23:48
Tim Pritlove
0:24:20
Jochen Rabe
0:24:24
Tim Pritlove
0:25:40
Jochen Rabe
0:26:07

An der Stelle kann ich vielleicht nochmal kurz ausholen, denn ich meinte in Deutschland ist es noch nicht so ganz verbreitetet die Resilienz, so wie ich sie beschrieben habe, bzw. wie sie mich interessiert. Im internationalen Kontext ist das ein bisschen anders. Ich durfte auch noch in meiner letzten beruflichen Inkarnation als strategischer Berater der Rockefeller Foundation zuarbeiten. Die Rockefeller Foundation hat vor, das muss jetzt schon 5-7 Jahre her sein, ein Programm aufgesetzt, was da heißt „100 resilient Citys“. Ein sehr großes gefördertes Vorhaben, ich glaube jenseits von 100 Millionen, die da eingesetzt wurden von der Rockefeller Foundation, die das Ziel hatte, 100 Städte zu finden und für diese 100 Städte Resilienzstrategien aufzustellen. Und diese Resilienzstrategien decken beides ab, sowohl Katastrophenschutz, denn in vielen dieser Städte ist der Katastrophenschutz noch nicht so gewährleistet, wie er bei uns in Deutschland gewährleistet ist, aber es ging ganz explizit halt auch immer um die Wandlungsfähigkeit von Städten. Also mehr der Bereich, der mich interessiert. Und an der Stelle ist das wie gesagt nich völliges Neuland, sondern international tut sich da schon eine ganze Menge. Mich interessieren insbesondere die Faktoren, die quasi die Stadtplanung neu herausfordern. Wo einfach Geschwindigkeiten auftreten und ins Spiel kommen, wie Städte bespielt werden, wie sie funktionieren, wie sie benutzt werden, auf die die Stadtplanung schneller und besser reagieren muss. Sagen wir mal Verkehr zum Beispiel, der Verkehr wird immer noch mehr und mehr, wir brauchen andere multimodale Verkehrs- oder Mobilitätskonzepte, die natürlich nachhaltiger sind als die jetzigen. Da wird sehr viel über autonomes Fahren nachgedacht heutzutage und wie das eingeführt wird. Und wir fragen uns dann, welche Auswirkungen hat das auf Räumlichkeiten? Wie Quartiere funktionieren? Wir beide haben uns kennengelernt im Rahmen der Queen's Lecture hier an der TU gehalten. Ich habe leider den Namen vergessen, aber von dem CTO von Uber, den ich hinterher dann fragen durfte, etwas provokant fragen durfte, ob wir die autonomen Fahrzeug eigentlich nicht gefährlich bauen müssen. Und die Antwort war, nein nein wir müssen sie natürlich sicher bauen, was natürlich auch richtig ist und es heutzutage versucht wird, aber wenn man sich die autonomen Autos anguckt heutzutage, werden sie eigentlich so gedacht, dass sie eigentlich immer in jeder Situation anhalten können müssen. Denn es ist einfach nicht akzeptabel, dass ein Vehikel, was keinen Verantwortlichen an Bord hat, einen Unfall verursacht. Momentan funktioniert aber unser gesamtes Stadt- und Verkehrsgefüge darauf, dass die Leute Respekt bis Angst haben davor, einfach auf die Straße zu laufen, weil sie wissen, da könnte sie was überfahren. Wenn wir aber autonomes Fahren einführen mit Vehikeln, die immer reagieren, dann drehen sich plötzlich die Hierarchien im öffentlichen Raum. Und gerade hier in Berlin, wie wir wissen, haben wir hier sehr herausfordernde Fußgänger und Fahrradfahrer, völlig zurecht. Wenn die spitz bekommen würden, dass sie zu jeder Zeit über die Straße laufen könnten, ohne dass was passiert, dann haben wir völlig andere Mobilitätssysteme. Und so was muss einfach mitgedacht werde, und an der Stelle wird zu oft einfach nur über die Technologie nachgedacht und zu wenig über, wie Stadt funktioniert. Welche Player in der Stadt eigentlich am wirksamsten sind. Welche vielleicht auch am stärksten berücksichtigt werden müssen.

Tim Pritlove
0:30:06
Jochen Rabe
0:30:15
Tim Pritlove
0:30:52

Steigen wir doch da mal vielleicht ein bisschen konkreter auch ein. Du hast es jetzt schon ein paar mal erwähnt, und wir sind schon halb drin in dem Thema, Verkehr. Ich denke, das ist so ein kleiner Nobrainer mittlerweile, dass man sagt, Verkehr ist in der Stadt eine Herausforderung. Ich meine, das war es in gewisser Hinsicht schon immer. Oder man kann aber auch sagen, es war vor allem auch lange lagen Zeit, war der Verkehr auch so ein treibendes Element, was quasi so ein bisschen auch die sonstige Stadtplanung ein bisschen vor sich hergeschoben hat. Da war diese ganze Begeisterung über die Optionen des persönlichen Transports, weniger des öffentlichen Transports. Das Auto hat dann spätestens in den 60/70er Jahren einfach auch die Städte mehr oder weniger vor sich hergeschoben. Breite Straßen, Autobahnen, umgepflügte Stadtteile, und dann halt so weitergehende Illusionen, wie die Abschaffung des öffentlichen Nahverkehrs. Das haben wir ja hier in Westberlin auch gehabt und leiden im Prinzip auch strukturell immer noch darunter. Aber quasi ist so eine Hälfte der Stadt hat Straßenbahnen, die andere hat es halt nicht, weil sie der Meinung waren, das brauchen wir ja alles nicht mehr. Also man hat sich da irgendwie sehr verleiten lassen und natürlich spielt das Automobil in Deutschland nochmal eine besondere Rolle, aber generell ist natürlich Transport etwas, wo man auch merkt, dass andere Städte im internationalen Vergleich da gerade so mit Siebenmeilenstiefeln unterwegs sind. Und sich, was weiß ich, chinesische Städte schaffen es halt innerhalb von 10 Jahren sich sozusagen aus dem Nichts U-Bahn-Netze zuzulegen, die irgendwie das, was wir so in Deutschland haben, um ein Vielfaches übersteigen. Elektromobilität zieht ein und jetzt natürlich auch andere Konzepte. Ohne jetzt zu viel vorher schon zu erzählen, welche Bedeutung hat Verkehr also aus deiner Perspektive und welche Rolle spielt das auch konkret jetzt hier in der Forschung?

Jochen Rabe
0:32:41
Tim Pritlove
0:33:55
Jochen Rabe
0:33:58

Richtig. Aber Pendelverkehr ist natürlich auch das, was gerade die Radialen unserer Stadt dann zumacht. Da geht eigentlich jetzt hier in Berlin kaum noch etwas, das erleben wir alle tagtäglich morgens und abends nochmal. An der Stelle ist es ganz spannend, inwieweit neue Produktionsformen eigentlich andere Arten und Weisen der Städte, andere Mischungsnutzungen ermöglichen. So dass man vielleicht weniger sogenannte Trips generiert. Also dass das die Notwendigkeit, in die Stadt zu pendeln, einfach geringer wird. Und ich glaube, da gibt es ganz spannende Dinge, die gerade in der digitalen Produktion und im Manufactoring, digital manufactoring andere Räume ermöglichen. Vormals, es wird sicherlich auch in der Zukunft noch große Fabriken geben, die irgendwann irgendwo außerhalb der Stadt liegen, weniger in der Stadt. Aber es gibt halt zunehmend auch Betriebe, die mittels, auch unter Einsatz von Hightech, in kleineren Räumen in der Stadt produzieren können, im Verbund produzieren können. Das muss nicht alles an einem Standort sein. Die produzieren dann auch leiser, sauberer, also in vielerlei Hinsicht kann die Digitalisierung glaube ich in dem Bereich auch dazu führen, dass Nutzungen in Städte wieder einziehen, die vorher so einfach nicht denkbar waren. Und an der Stelle wiederum kann man dann sagen, wenn man das strategisch angeht und auch ermöglicht, dass solche Räume vorgehalten werden, auch vielleicht sogar in Wohnquartieren, dann erzeugt man letztendlich einen Kontext, wo weniger Verkehr notwendig ist.

Tim Pritlove
0:35:44
Jochen Rabe
0:35:48
Tim Pritlove
0:37:09
Jochen Rabe
0:37:11
Tim Pritlove
0:37:21
Jochen Rabe
0:37:31

Ich glaube, die Erkenntnis ist da. Die Schwierigkeit ist eher, das umzusetzen. Also Stadtplanung hat ganz lange Planungshorizonte oder hatte die. Und genau das ist das Thema, was mich interessiert. Städtische Formen verändern sich grundsätzlich, ich weiß nicht 80-100 Jahre oder so. Infrastruktur rechnet man zumindest meistens auf 20 Jahre. Meistens sind Infrastrukturen, die ja auch Stadt ermöglichen oder bestimmte Kapazitäten in Städten ermöglichen, auch längerfristig verfügbar. Aber es ist halt nicht so einfach mal über Nacht zu verändern. Wenn man sich so ein bisschen die Zukunftsvisionen der 80er Jahre anguckt oder 90er Jahre und die Filme von damals, Bladerunner oder das Fünfte Element, dann haben die alle Zukunftsvisionen von heute mehr oder weniger dargestellt, die städtisch völlig anders aussahen. Riesige Häuserschluchten und fliegende Autos dazwischen, weiß der Himmel. Wenn man aber tatsächlich mal anguckt, wie sich diese Städte verändert haben seitdem, ist das marginal. Was sich verändert ist, wie wir sie benutzen. Und insofern ist Stadtplanung eigentlich mehr von der Erneuerung der Betriebssysteme unserer Smartphones getrieben, als von irgendwelchen Zukunftsvisionen über ein anderes räumliches Verständnis wie wir leben wollen. Weil es einfach billiger ist. Also ein Smartphone zu kaufen ist einfach billiger, das Operation System einfach abzudaten, was dann plötzlich neue Funktionen kann, wie man die Stadt anders benutzen kann. Wie diese räumliche Stadt aber darauf reagiert, das ist die Frage, die mich interessiert.

Tim Pritlove
0:39:15
Jochen Rabe
0:39:49
Tim Pritlove
0:40:37
Jochen Rabe
0:40:39
Tim Pritlove
0:41:53
Jochen Rabe
0:41:55
Tim Pritlove
0:42:15
Jochen Rabe
0:42:20
Tim Pritlove
0:42:26
Jochen Rabe
0:43:20
Tim Pritlove
0:44:44
Jochen Rabe
0:44:45
Tim Pritlove
0:44:52
Jochen Rabe
0:44:54
Tim Pritlove
0:44:55
Jochen Rabe
0:45:31

Naja die Zugänglichkeit, also das ist tatsächlich einer der ganz ganz kritischen Punkte, überhaupt wie funktioniert Stadt? Momentan haben wir den Begriff der Daseinsvorsorge, die Daseinsvorsorge liegt natürlich bei der Administration, bei unseren gewählten Vertretern eigentlich. Ich würde sagen, wir sind hier bei dem Thema Transport und Mobilität. Die Firma Google hat sicherlich viel bessere Daten als alle Städte oder alle Stadtverwaltungen der Welt. Man kann entsprechend Verkehrsflüsse verstehen, aber natürlich auch beeinflussen. Also welche Algorithmen setzen eigentlich wie wir Umleitungen machen? Und ist es akzeptabel, dass so eine Umleitung einfach immer nur der schnellste Weg ist, was aber vielleicht dann bedeutet, dass das durch eine verkehrsberuhigte Zone geht das Ganze. Ich würde mal sagen, von der Stadtqualitätsfrage her gesehen ist das nicht akzeptabel, aber es passiert. Und an der Stelle sind unsere Ampeln eben nicht so klug oder noch nicht so klug, vielleicht gleichzeitig unseren Stadtentwicklungszielen, also den gemeinschaftlich befundenen Stadtentwicklungszielen zu entsprechen, sondern die funktionieren stur immer weiter und die Algorithmen berechnen, okay hier ist der schnellste Weg. Da haben wir Konflikte, die wir glaube ich noch fast gesellschaftlich überhaupt erst mal debattieren müssen. Wie weit wollen wir uns abhängig machen von unserer Systemen? Wie weit ist das okay, dass Google … also die besten Daten zu haben per se ist ja nicht falsch, aber was machen sie denn damit? Und wie da wie gesagt, Administration, also die öffentliche Hand und die private Hand zusammenkommt, mache ich mir tatsächlich auch Sorgen. Das passiert nicht in einer Geschwindigkeit, wo ich …

Tim Pritlove
0:47:18
Jochen Rabe
0:47:46
Tim Pritlove
0:48:05
Jochen Rabe
0:48:52

Ich glaube an der Stelle können wir zurück zu dem Punkt, inwieweit man überhaupt Stadtentwicklung planen kann, selbst wenn wir unbegrenzte Firepower durch künstliche Intelligenz haben und wirklich auf dem Jetzt-Verständnis von städtischen Prozessen simulieren können, wie sich das unter den gleichen Bedingungen in den nächsten 15 Jahren entwickeln wird. Was dabei gerne vergessen wird, dass es eben nicht, wie ich vorher gesagt habe, ein Bauprojekt ist, sondern da haben wir in diesem Zeitraum verschiedene Regierungen, da haben wir verschiedene Entwicklungen innerhalb von Quartieren. Ein Quartier kann sich heutzutage relativ schnell verändern, ist plötzlich eine ganz andere Klientel da oder andere Stimmen werden wichtig. Dann haben wir eine Geflüchtetenwelle, die mit berücksichtigt werden muss, wie integrieren wir die, die auch hier ganz schnell passiert ist und unsere Systeme sicherlich erst mal gesprengt hat oder so herausgefordert hat, dass sie nur mit dem tollen Einsatz von Freiwilligen funktionierte. Ich bezweifle, selbst wenn wir dieses Instrument hätten, also das zukunftsmodelling-Maschine, dass die uns eben diese Zukunft berechnen könnte. Was sie kann ist einfach Entwicklungsszenarien aufzeigen. Und in diesen Entwicklungsszenarien müssen wir aber immer mitfahren, wie eigentlich die Bürger und die Nutzer unserer Stadt darüber denken. Das heißt, es muss eigentlich immer bei diesen Technologien mitgefahren werden ein Partizipationsprozess. Man muss das immer wieder abgleichen. Und das ist schwer vorhersehbar, denke ich mal.

Tim Pritlove
0:50:32
Jochen Rabe
0:51:11

Das ist noch relativ wenig, glaube ich. Und vor allen Dingen ist die Frage, welche Datensätze sind das denn? Auch heutzutage, Berlin hat eigentlich ein ganz schönes auch öffentliches GIS-System, also ein Geoinformationssystem, der FIS-Broker, wo man relativ hohe Datenverfügbarkeit hat. Also die öffentliche Hand macht da die Daten entsprechend öffentlich und oftmals sind diese Daten dann aber 4-7 Jahre alt. Und dann kann man sich fragen, welchen Aussagewert haben sie denn noch? An der Stelle wird Digitalisierung sicherlich dazu führen, dass wir viel bessere Jetztzeitdaten bekommen. Also ich glaube, da ist noch einiges aufzuholen. Aber wenn wir das haben, heißt das ja immer noch nicht, dass wir jetzt komplett zufrieden sind mit, wie wir leben, sondern wir haben eine ganze Menge Probleme, die wir lösen müssen. Eine ganze Menge Herausforderungen, die wir lösen müssen. Wie können wir nachhaltiger leben? Wie können wir den Klimaschutzzielen entsprechen und so weiter und so fort. Wir wissen eigentlich jetzt schon, dass wir nicht so weiter bauen können unsere Städte, wie wir es bisher getan haben. Also wir müssen nicht nur den Jetzt-Zustand verstehen, sondern wir müssen sagen, unter bestimmten Parametern müssen wir die Stadt verändern. Und das ist halt ein sehr träges Geschehen per Definition von Stadt. Weil sich Stadtraum, Infrastrukturen, wie ich vorhin schon meinte, irgendwie nur sehr träge verändern lassen. Man hat da ganz viele Pfadabhängigkeiten, die man nicht einfach komplett über den Haufen werfen kann. Und das zu simulieren glaube ich, da haben wir tatsächlich, du sprachst von den Chancen, die es hat, völlig andere Instrumente. Also manchmal vergleiche ich das so ein bisschen wie Operieren am offenen Herzen. Also vorher waren das Planungsverständnisse von Stadt, beruhend auf Erfahrungen, ja auch immer auf Daten, aber letztendlich wirklich mit den Daten, die wir heute haben, fast lächerlich. So dass man nach vorne planen musste und Setzungen machen musste. Heutzutage ist es eher so wie ein Chirurg, der einen Körper öffnet, das macht er ja auch nicht völlig ungeplant, sondern er weiß, was da passiert, aber er kriegt ein Jetztzeit-Feedback von sei es der Sauerstoffsättigung des Blutes bis hin zum Puls, was auch immer, welche Lebenszeichen das sind. Und ich denke, wir kommen mehr in eine Situation, wo ein Planer heutzutage quasi simulieren kann, wenn ich das mache, dann ist es hochwahrscheinlich, dass das das das und das passiert. Das muss dann aber erst mal analysiert werden, inwieweit entspricht das eigentlich den Zielen, die wir verfolgen müssen und wollen. Und dann muss man natürlich auch noch die Leute fragen, die da wohnen. Und das zusammenzubringen denke ich mal da hilft diese Stimulierung und die Modellierung ungemein. Das ist auch immer ein Übersetzungsprozess, der noch geleistet werden muss, denn es gibt kaum Dinge, die komplexer sind, glaube ich, als städtisches Leben. Das aber den Bürgern zu kommunizieren, welche Auswirkungen das hat, ist halt auch immer eine Übersetzungsarbeit dabei. Denn einfach nur die Simulation ihnen vor die Nase zu legen oder irgendwelche Pläne, das werden viele Leute vielleicht anfänglich begreifen, aber das alles zusammenzubringen, welche Konsequenzen das hat, ist auch für Spezialisten nicht ganz einfach.

Tim Pritlove
0:54:33
Jochen Rabe
0:54:59

Ich glaube ich würde das andersrum aufsetzen. Wir müsse uns an der Stelle fragen, wie sollen unsere Städte a) funktionieren und b) aussehen, welche Qualität müssen sie haben? Und welche Verkehrsräume brauchen wir dafür? Und welche Technologien können wir einsetzen, um diese Ziele zu erreichen? Ich denke mal, wie du vorhin völlig richtig gesagt hast, wir leben eigentlich fast alle in Städten, die für Verkehr gebaut worden sind. In den USA noch viel mehr als hier, wo wir die historischen Stadtkerne haben, die aber natürlich auch immer um logistische Flüsse herum geplant wurden, aber nicht das Auto per se. Da haben wir Glück in vielerlei Hinsicht. Denn ich glaube die Resilienz von teilweise amerikanischen Städten, die wirklich für das Auto geplant sind, ist nur sehr begrenzt. Die zu verändern und eine entsprechende Dichte herzustellen und kritische Massen für andere Formen des Verkehrs, wird schwierig. Also da möchte ich nicht unbedingt in deren Haut stecken. Wir in Europa haben viel dichtere Städte, letztendlich bedingt durch die Geschichte dieser Städte. So da müssen wir uns aber fragen, was können wir denn mit diesen Stadträumen besseres machen, als lauter Parkplätze da zu haben? Und an der Stelle haben wir dann die Chancen des Carsharings zum Beispiel. Das war ein großer Forschungsbestandteil dieses BeMobility-Projektes. Aber dann zukünftig auch dem autonomen Fahren. Also es gibt Aussagen, die sagen, ein voll genutztes Carsharing-Auto kann bis zu acht, also die Zahlen schwanken etwas zwischen 7 und 10 oder 12 glaube ich, private Autos ersetzen. Weil ein privates Auto, wie wir jetzt alle wissen, wird …

Tim Pritlove
0:56:42
Jochen Rabe
0:56:43

Selten benutzt. Morgens mal, abends mal, dazwischen steht es irgendwo rum. Und das bedingt natürlich die Qualität unserer Straßenräume. Ich muss hier nur einmal aus dem Fenster gucken, wir sind hier im Prenzlberg, da sehe ich eigentlich vornehmlich erst mal nur Autos stehen. Und da denke ich mal wird uns schnell viel besseres einfallen. Da gibt es auch schon eine ganze Menge Projekte. Aber Verkehrsberuhigung per se, also einfach die zu verbannen alleine, kann es ja nicht sein, denn wir müssen weiterhin ja den Leuten ermöglichen, sich so zu bewegen, wie sie das wollen. Auch idealerweise so intuitiv. Und da brauchen wir multimodale Mobilitätskonzepte, die im Grunde genommen mit der Intuitivität des Autos konkurrieren können. Wir setzen uns morgens da rein und fahren von A nach B in der Annahme, das ist die glatteste und einfachste Art und Weise von A nach B zu kommen. Vielleicht noch C ist der Kindergarten. Das Ganze mit einer Kombination von weiß nicht Carsharing, Bikesharing, Bussen, Bahnen, wie auch immer hinzulegen, das geht vielleicht, aber oftmals wird uns das gar nicht richtig gezeigt. Also bis heute gibt es keine wirklich konkurrenzfähigen, würde ich mal sagen, Apps, die mir sagen, okay wenn du jetzt aufbrichst, basierend live auf den Daten und der Situation des Verkehrs da draußen, wenn du das und das Verkehrsmittel nimmst, bist du übrigens schneller. Und womöglich ist es auch noch billiger. Das gibt es nicht. Aber multimodale Mobilitätskonzepte müssen das vorhalten. Oder umgekehrt …

Tim Pritlove
0:58:27
Jochen Rabe
0:59:15
Tim Pritlove
0:59:43
Jochen Rabe
0:59:45
Tim Pritlove
1:01:04
Jochen Rabe
1:01:06
Tim Pritlove
1:01:47
Jochen Rabe
1:02:45
Tim Pritlove
1:03:39
Jochen Rabe
1:03:45
Tim Pritlove
1:04:30
Jochen Rabe
1:05:16
Tim Pritlove
1:06:39
Jochen Rabe
1:07:20

Also in Deutschland, wenn überhaupt, zieht es gerade erst ein. Ich durfte auch längere Zeit meines Lebens in England verbringen. In England ist es schon, ich weiß nicht mehr die genaue Jahreszahl, aber es geht bestimmt schon knapp 10 Jahren, da gibt es da die Setzung, dass alle öffentlichen Gebäude mit Building Information Modelling passieren. Da muss man vielleicht kurz erklären, was das ist. Es geht im Gruden genommen nicht um ein weiteres Zeichentool, was das jetzt auch in 3D beherrscht. Das konnte die CAD-Systeme, die Computer Edit Design-Systeme vorher auch schon. Was jetzt passiert ist mit Building Information Modelling ist, dass man einfach den Betrieb, sowohl den Planungsprozess als auch den Bauprozess als auch den Betrieb dieser Gebäude hinterher viel besser abbilden und verbinden kann. Sprich, einfach formuliert, wenn ich einen ersten Entwurf mache und den irgendwie digitalisiere, dann kann vielleicht alleine schon über die Kubatur verstehen, welche Energiebedarfe diese Kubatur hat im Vergleich zu einer kompakteren oder in einer aufgebrocheneren etc. Das wusste man vorher, das sind halt vorher Erfahrungswerte gewesen basierend auf einfach Studien von entsprechenden Gebäuden. Heutzutage könnte man das in dem Entwurfsprozess wirklich in Jetztzeit verstehen. Wenn du das machst, dann hast du Energiekosten, die entsprechend höher oder niedriger sind. Das heißt, der Betrieb von Gebäuden bzw. es gibt dann auch schon City-BIM, wo dann plötzlich Cluster von Gebäuden ins Spiel kommen, der Betrieb dieser Gebäude oder Cluster kann schon im Entwurfsprozess viel besser verstanden werden. Was wiederum natürlich eine hoffentlich positive Auswirkung auf die Entwürfe hat. Da darf nicht untergehen, dass ein Entwurf nicht nur eine rein funktionale Sache ist, dann kommen irgendwelche Wohnregale dabei raus, die vielleicht dann gut funktionieren oder auch entsprechenden Umweltvorgaben entsprechen, aber die Qualitäten müssen natürlich nach wie vor weiter gedacht werden, und an der Stelle sind natürlich in der Zukunft die Architekten ganz stark gefragt. Aber dieser, wo vormals ich das Gefühl hatte in den letzten 20-30 Jahren, dass in so ein Bauprozess oftmals man sich zu sehr nur in den Komplexität einer Planung und des Baus befand, zieht jetzt viel mehr gleich am Anfang das Verständnis von dem Betrieb ein. Es war leider so, wir haben das ein paar Mal versucht in den letzten 10 Jahren, das zu verstärken, dass, wenn ein Gebäude fertig ist, auch wirklich das postoperational auch zu verstehen. Funktioniert das eigentlich so, wie wir es geplant haben? Hat das tatsächlich die energetischen Parameter oder erfüllt das die Faktoren, die wir eigentlich berechnet haben? Das passiert sehr sehr selten leider. Jetzt in einem Building Information Modelling System, wo wir das von Anfang an bis in den Betrieb durchziehen, kann man das natürlich viel einfacher machen. Also an der Stelle wird sich sehr sehr viel verändern. Wir schreiben gerade an einem EU-Antrag, der sich genau mit diesen Systemen beschäftigt und verschiedene Digitalisierungsplattformen da auch zusammenbringen möchte. Es geht ja darum, dass so bestehende Gebäude, also das ist ein Call, der sich mit Gebäudebestand beschäftigt, was ganz wichtig ist. Denn wir bauen ja maximal 1-2% im Jahr Neubau neu, also neuen Buildingstock neu. Das wird über viele Jahre dann irgendwann dazu führen, dass wir vielleicht auch diese Datensysteme, diese Livedatensysteme haben, aber das langt nicht. Insbesondere guckt die EU auch in die östlichen Mitgliedsländer, wo noch ganz viel Bestand ist, der renoviert werden muss. Und fragt sich jetzt, wie können wir das mit digitalen Planungswerkzeugen anders machen. Und da geht es dann wirklich von der Aufnahme, dem Scannen, digitalen Scannen von Gebäuden bis zu BEM, ist dann Building Energy Modelling. Bis hin zu, wenn wir dann alle diese Datensätze miteinander verknüpfen, wie können das in die Asset-Management-Systeme von Immobilienbesitzern überfordern. Also die wiederum ermöglicht werden, einfach ihre Gebäude viel besser zu verstehen, viel besser nach vorne zu planen, wann muss ich welche Investitionen vermutlich tun, um die Energieperfomance von meinem Bestand noch zu verbessern oder hier noch Lücken zu schließen. Da wird sich unglaublich viel tun, denke ich mal. Und an der Stelle ist es in der ganz konkreten Bauwelt ganz spannend momentan.

Tim Pritlove
1:12:13
Jochen Rabe
1:13:05

Also diese Stimmen höre ich auch. Ich halte sie nicht für gerechtfertigt. Ich halte sie ganz im Gegenteil für eine große Chance, auch gerade für den Berufsstand der Architekten. Denn ich durfte über die letzten 20 Jahre mit vielen auch internationalen sehr bekannten Architekten zusammenarbeiten. Mit Foster, Grimshaw und wie sie alle heißen. Die sehr entwurfsgetrieben waren, aber natürlich ist das alles nur bedeutsam, wenn man es auch schafft, das wirklich auf der Baustelle umzusetzen. Deswegen in der Diskussion in der Architektur passiert ganz schnell, dass dann diese Planungswerkzeuge so als Bedrohung der Kreativität gesehen werden. Der Architektenberuf ist glaube ich fast noch mehr als der Kreativberuf der Generalistenberuf. Auf großen Baustellen, das erlebe ich immer noch, ich berate nebenher hier in Berlin größere Projekte. Wenn es darum geht, komplexe Sachverhalte zusammenzubringen in einen Kontext, in einem Entwurf, also jenseits des Ästhetischen, in eine Planung. Dann gucken alle am Tisch in Richtung des Architekten. Ich glaube, diese Werkzeuge, die sich da ergeben, ermöglichen Architekten vielleicht ein bisschen wieder aus dieser Entwurfsnische rauszukommen und vielmehr in eine starke Position, wo vielleicht aber auch ganz viele Chancen gerade für den Entwurf sind. Also Entwurf muss eigentlich immer… also ein Bauherr wird immer fragen, was kann denn das hinterher? Also was kostet mich das denn, nicht nur im Bau, sondern was kostet mich das im Betrieb hinterher. Also diese Fragen gab es immer. Ich finde in den letzten 10-15 Jahren ist so ein bisschen in der Architektur die Diskussion, wo die Helden denn Sahadid Und Gehry waren und so weiter. Da ist so ein bisschen hier und da aus den Augen verloren worden, dass die breiteste Masse von Gebäuden, die wir bauen, ganz profane Nutzungen haben. Was heißt profan, aber sie sind unsere Zuhause oder sie sind unser Büro. Es ist nicht immer ein Museum, es ist nicht immer ein Opernhaus, aber das war eine Diskussion, die das ganz stark bedingt hat, die Architekturdiskussion. Ich denke, diese Werkzeuge können im Entwurfsprozess einem auch ganz viel Macht geben. Eben diese Qualität von Vornherein darzustellen. Wo es vorher einfach war für einen Bauherrn zu sagen, jaja das brauchen wir nicht. Kann man vielleicht auch mit diesen Mitteln sagen, doch doch das brauchen wir. Und das ist aus verschiedenen Kriterien heraus gedacht etwas, was dir einen Mehrwert – und nicht nur dir lieber Investor oder lieber Entwickler, - sondern dir lieber Nutzer am Ende einen Mehrwert generiert.

Tim Pritlove
1:15:55
Jochen Rabe
1:16:35

Also ich bin kein Energiespezialist, das muss natürlich mitgedacht werden in Stadtentwicklung. Ich glaube, was da sich ergibt in Zukunft, könnten dezentralere Strategien sein. Das ist vielleicht auch eine zwangsläufige Konsequenz der Energiewende, dass es möglich sein muss, dezentral für bestimmte Nachbarschaften oder Quartiere andere Energieformen vorzuhalten. Da ist Deutschland, denke ich mal, relativ weit vorne. Das wurde losgetreten irgendwann mal von diesem Energieanspargesetz. England war da viel viel später dran zum Beispiel. Aber also für die Stadtentwicklung ist das schon wichtig, das zu verstehen. Aber ich glaube, das es das grundsätzlich nur bedingt verändern wird. Das sind dann glaube ich eher Dinge, die ganz physische Auswirkungen haben. Also wir haben Verkehr besprochen. Was ist öffentlicher Raum, was passiert da eigentlich? Welche Drücker haben wir da jenseits des Verkehrs? Wie wollen sich Leute da aufhalten? Müssen wir nach verdichten? Also es gibt eine große Diskussion, dass die Stadt nachverdichtet werden soll und muss. Um die Mieten erschwinglich zu halten. Da gibt es aber auch schon Gegenbewegungen, die sagen, nein nein wir müssen eigentlich eher polyzentrisch nachdenken, denn wenn wir die Stadt vollbauen, kann die auf Wandel nicht mehr reagieren. Da sind wir zurück bei der Resilienz-Frage, also wenn man gar keine Reserven mehr hat für Raum, dann kann man auch auf neue Entwicklungen nur noch schwerlich reagieren. Es sei denn man hat Stadt und Gebäude von vornherein so geplant, dass sie auch umnutzbar sind. Das ist aber nicht einfach, aus baurechtlichen Gründen schon und einfach auch aus rechtlichen Gründen oftmals. Aber die Energie, glaube ich, ist da nicht der wesentliche Treiber von Stadtentwicklung.

Tim Pritlove
1:18:36
Jochen Rabe
1:19:39

Also meine Antwort bezog sich eher auf den städtischen Maßstab, auf den Gebäudemaßstab ist das natürlich von ganz großer Auswirkung. Aber auch da denke ich mal, in Deutschland sind wir da relativ weit vorne, zumindest im Neubau. Auch da denke ich mal in der Renovierung, in dem Altbestand ist noch Potenzial. Aber ich glaube dadurch, dass wir schon relativ weit vorne sind, ist, wenn mich nicht alles täuscht, glaube ich die Energiebilanz eines Gebäudes hängt heutzutage mehr davon ab, also von einem entsprechend gebauten Gebäude hängt mehr davon ab, wie wir es benutzen als wie es gebaut ist. Also wenn man es falsch benutzt und die Fenster ständig auf hat in einem Gebäude, was eigentlich nicht dafür vorgesehen war und eigentlich ohnehin eine Zwangsbelüftung hat, aber der Nutzer es nunmal gerne hat, auch im Winter mal 10 Minuten das Fenster offen zu lassen, dann versaut das die Energiebilanz in einem Maße, das viel höhere Auswirkungen hat prozentual, als dass da noch ein Zentimeter mehr Styrodur auf der Fassade ist oder so. Ich bezog das auf den städtischen Kontext. Ich denke mal, in Deutschland ist die Verfügbarkeit von Energie einfach relativ gut gegeben. Frage ist dann, ich erwähnte eben schon, es gibt auch Stimmen, die sagen, wir müssen uns eigentlich polyzentral entwickeln. Berlin war schon mal polyzentraler als es glaube ich jetzt ist. Wenn man so mal die Städte drumherum sich anguckt, die Rheinsbergs oder die Beelitz und wie sie alle heißen, dann erleben die gerade eine neue Blüte glaube ich. Weil der Druck auf die Stadt, auf Berlin inzwischen so hoch ist, dass die Leute ausweichen. Die Akzeptanz zu pendeln wird größer, auch getrieben letztendlich von der Verfügbarkeit von erschwinglichem Wohnraum. Das tut diesen Städten gut. Ich glaube da muss man infrastrukturell darauf reagieren. Da gibt es ja jetzt auch schon Projekte von der Bahn, Berlin und Brandenburg mal gemeinsam neue Korridore, also strategische Planung von besseren Transportkorridoren in die Stadt und wieder raus sich vorzunehmen. Aber ich glaube, es wird nicht wahnsinnig schwierig sein, in Rheinsberg und Beelitz die Energie vorzuhalten. Ich glaube, im internationalen Kontext ist eine tatsächlich sehr spannende Frage. 80% der Urbanisierung, die noch stattfinden wird bis 2050, wird im informellen Kontext passieren. Das heißt, in nicht geplanten Städten. In Deutschland wird das nicht der Fall sein, aber wir haben zum Beispiel ein Projekt in Medellin In Kolumbien, was über die letzten 10-20 Jahre von … ich glaube 20 Jahre, von 400.000 auf über zwei Millionen gewachsen ist. Und natürlich nicht geplant und mit entsprechender Infrastrukturvorhaltung, sondern informell. Früher nannte man sie Slums, heute sind das informelle Settlements. Naja es ist auch … man will da ja nicht stigmatisieren. Und es ist gerade an der Stelle spannend zu sagen, die zukünftige Urbanisierung der Welt passiert eben nicht geplant, eben nicht im geplanten Infrastruktursektor und mit entsprechenden baulichen Regulationen drumherum. Und wie man dort in diesen Städten Energie vorhält, nachhaltig, aus erneuerbaren Energien, also das ist natürlich ein viel spannenderes Thema. Wie kann das gewährleistet werden, da entsprechend auch Klimaziele einhalten zu wollen? Da wird Energie sicherlich eine viel größere Rolle noch spielen.

Tim Pritlove
1:23:24
Jochen Rabe
1:23:38
Tim Pritlove
1:23:47
Jochen Rabe
1:23:52
Tim Pritlove
1:25:25
Jochen Rabe
1:25:31
Tim Pritlove
1:25:47
Jochen Rabe
1:25:55
Tim Pritlove
1:25:59
Jochen Rabe
1:26:05
Tim Pritlove
1:26:38
Jochen Rabe
1:27:30
Tim Pritlove
1:28:05
Jochen Rabe
1:28:06
Tim Pritlove
1:29:34

Diese Debatte am bedingungslosen Grundeinkommen verschärft sich meiner Auffassung nach auch immer so ein bisschen an dieser Schnittkante, die auch bisschen so ideologisch ist. So dieses, wie verstehen wir eigentlich unser Zusammenleben? Ist das sozusagen alles arbeitsorientiert? Ist Arbeit ein Wert an sich oder ist Arbeit eigentlich etwas, was gar nicht gut ist, und wir wären doch alle viel besser dran, wenn wir so was gar nicht machen müssen. Das ist natürlich auch so ein ideologischer Blick mit, kann ja nicht sein, gerade in Deutschland wo Arbeit auch so ein unglaublich aufgeladenes Element ist. Wo da Ehre und Wertschätzung und Aufstieg und Karriere und all diese ganzen Dinge, die dann ja auch selber sozusagen … wo einem selbst auch ein Wert zugeschrieben wird, wenn man eine bestimmte Arbeit leistet oder eine Arbeit hat auch nur. Versus ein, naja muss denn unbedingt jeder? Es wird ja sowieso nicht jeder arbeiten. Und selbst wenn wir mal so Situationen jetzt herstellen können, wo die allermeiste arbeiten, wo manche schon anfangen von Vollbeschäftigung zu reden. Auch wenn das glaube ich eine Chimäre ist. Dann ist viel dieser Arbeit, die dann unter Umständen geleistet wird, auch gar nicht wertvoll im eigentlichen Sinne. Und insbesondere nicht wertvoll für die Leute auch selbst. In dem Moment, wo man das aufbricht, könnte sich natürlich auch für die Stadt wieder eine interessante neue Option ergebne, weil ja einfach viel mehr Leute Zeit und dann vielleicht auch Lust haben, sich lokal zu engagieren, kommunal zu engagieren. Für eine Nachbarschaft etwas zu organisieren, wo sonst einfach überhaupt niemand da wäre

Jochen Rabe
1:31:12

Völlig richtig. Das ist, vielleicht kann ich darauf zurückkommen, auf unser Designstudio, wo wir uns mit Neuhohenschönhausen beschäftigen momentan, eine Schlafstadt im Grunde genommen, die tatsächlich aber eine ganze Menge Freiraum drumherum hat, der momentan relativ ungeniert ist und man da zumindest werktags am Tag gar nicht viele Leute findet. Wir fragen uns momentan, wie kann unter den Voraussetzungen, die du gerade skizziert hast, so ein Raum anders funktionieren? Was braucht er an anderen Räumen? Wie kann man Leute anhalten zusammenzukommen. Anders miteinander auch weiter zu arbeiten? Wie kann man sich weiter qualifizieren? Es ist ja nicht so, dass wir dann nicht mehr arbeiten werden, sondern wir können vielleicht uns Arbeitsformen widmen, die vorher anders bewertet waren. Oder du sprachst von dem sozialen Zusammenhalt. Also bei allen Studien, die man sich anguckt, ist ja gerade der soziale Aspekt der am schwersten zu ersetzen ist, Gott sei dank. Wie kann das neue fast Betriebssysteme von Nachbarschaften generieren? Ein Projekt von unseren Studenten beschäftigt sich genau damit, wie können wir Arbeitsgemeinschaft, also so ein System von Arbeitsgemeinschaften erfinden, wo die Leute ihre Zeit einbringen und trotzdem die Gesamtheit des Stadtviertels neu zusammenbringen können. Aber auch Leistungen geleistet werden, die einfach gemacht werden müssen. Die wiederum aber auch vielleicht bedenken, dass man weniger Miete bezahlen muss. Da tut sich ganz viel denke ich mal. Und die Digitalisierung hat ganz viele problematische Dinge, die man da mitdenken muss, die wir schon angesprochen haben. Aber sie kann uns glaube ich auch ganz viel Freiraum schaffen, wenn wir sie denn richtig einsetzen. Denn einfach zu verstehen, was wo wann notwendig ist, um das zu organisieren, dass es auch funktioniert, denn irgendwie Frustrationslevel gehen ganz schnell hoch. Wir sprachen vorhin bei der Mobilität davon, wenn das nächste Bikesharing irgendwie drei Minuten entfernt ist, dann sagen wir, okay gehen hin. Aber wenn das Ding dann dort nicht steht, dann ist man ganz schnell dabei zu sagen, oh Gott beim nächsten Mal steige ich gleich ins Auto ein. Und ich glaube, da können wir ganz viel durch die Digitalisierung auch gewinnen. Und müssen aufpassen, welche Freiheitsgrade wir uns da neu aneignen können. Gleichzeitig müssen wir aufpassen, wer diese Freiheit bestimmt, diese Systeme, die dahinter sind.

Tim Pritlove
1:33:47
Jochen Rabe
1:33:56
Tim Pritlove
1:34:00