Forschergeist
Horizonte für Bildung und Forschung
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Digitalisierung und experimentelle Elemente beleben die praktische Ausbildung
Fachhochschulen konzentrieren ihre Lehre im Gegensatz zu den Universitäten mehr auf die wirtschaftliche Praxis und versuchen, mit den Veränderungen der Wirtschaft Schritt zu halten. Zunehmend stößt die klassische Ausbildung dabei auf Probleme und die Herausforderung der Zeit ist, die Auswirkungen und Möglichkeiten der Digitalisierung, aber auch neuer Arbeitsformen und modernen Teambuildings aufzugreifen.
Wir sprechen mit Jörn Loviscach, Professor für Ingenieurmathematik und technische Informatik an der Fachhochschule Bielefeld über aktuelle Herausforderungen, das geänderte Lernverhalten der Studierenden und seine Ansätze, das Internet als Werkzeug für den Unterricht einzusetzen. Jörn Loviscach nutzt das Prinzip des "umgedrehten Unterrichts" durch Wissensvermittlung über selbst erstellte Lehrvideos, plädiert für eine Flexibilisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Fachhochschulen und einen mehr auf experimentelles Arbeiten und Lernen der Studierenden ausgerichteten Unterricht.
https://forschergeist.de/podcast/fg042-neues-lehren-und-lernen-an-der-fachhochschule/
Veröffentlicht am: 28. März 2017
Dauer: 1:13:09
Ja genau, so hört sich das dann ja auch an. Das kann man in der Liveveranstaltung nicht machen. In der Liveveranstaltung sehe ich die Chance, dass man konzentrierter ist, vielleicht konzentrierter ist. Es ist ja schon, in einer regulären Vorlesung mit 500 Leuten, so, dass in den letzten 20 Reihen alle das Notebook auf haben und auf Facebook und WhatsApp sind, auf dem Tablet dann auf WhatsApp sind. Aber zumindest die Leute vorne in den ersten Reihen denke ich sind noch so halbwegs dabei. Wenn ich eine kleine Veranstaltung habe, dann ist denke ich schon ein bisschen mehr Konzentration drin in der Liveveranstaltung, aber auch nicht allzu lange. Also was es da an Studien dazu gibt, nach 20 Minuten oder so ist einfach die Luft raus mit der Konzentration, wenn da vorne einer steht und was erzählt. Es wird hoffentlich besser, wenn man dann tatsächlich Flip Teaching macht und Aufgaben macht, dass alle an den Aufgaben sitzen und nachdenken müssen in Partnerarbeit typischerweise dann. Oder wie sich das so ergibt, wieviele Leute gerade in den Reihen sitzen. Nicht alleine, sondern in irgendwelchen Clubs zusammensitzen, diskutieren, an Aufgaben arbeiten. Da sollte das besser funktionieren mit der Aufmerksamkeit, dass man etwas länger dabei bleibt. Und was dann eben auch besser funktioniert, das merke ich, beim Flip Teaching, wenn man Gruppenarbeit macht, dass die Leute eben nicht abdriften und auf Facebook oder sonst wo sind oder irgendwelche Spiele machen. Gibt es auch, einige sind halt wirklich so hart drauf, dass sie auch dann noch das Tablet rausholen und irgendwelche Rollenspiele machen. Aber das sind doch sehr viel weniger, als das was man sonst so sieht in einer regulären Veranstaltung.
Es ist aber auch einfacher geworden, das nachzuweisen. Also es ist ja sozusagen auch ein Wettrüsten im Betrügen und im Belegen des Betrugs, wo man nicht gut sagen kann, wie das so ausgeht, aber es ist nicht zwangsläufig so, dass man jetzt einfach leichter davonkommt, auch wenn es mehr Materialien gibt, aus denen man abschöpfen kann. Lassen sich ja dann im Zweifelsfall auch besser nachweisen. Ich versuche noch zu verstehen, inwiefern wir sozusagen dann hier auch auf dem richtigen Weg sind. Ich meine dieses inverted Teaching, flipped Classroom, wie auch immer man das nennen will. Also die Grundidee, wo man sagt, das was man normalerweise als Präsenz gehabt hat, nämlich das Vermitteln der Basisinformationen, tauscht quasi seinen Platz, indem man das Vermitteln einfach aufzeichnet. Das Datengrundlagenbasiswissen, was sich ja eigentlich selten ändert oder selten substantiell ändert. Das wird aufgezeichnet, das nimmt man eben einfach so wahr, wie Leute das in zunehmendem Maße auch gewohnt sind, nämlich durch Video- oder Audioaufzeichnung oder beides und man konzentriert sich mehr auf das miteinander arbeiten, das miteinander lernen, die intensive, interaktive Auseinandersetzung mit der Materie. Klingt ja jetzt erst mal super. Ist das der Weg, den Sie auch allen anderen empfehlen würden? Oder denken Sie, das funktioniert nur in bestimmten kleinen Bereichen, wie Ihren, wo das passt, aber es passt an vielen anderen Orten nicht?
Ja in der Tat. Was man so liest kann das auch ein Vorteil sein. Mir ist da jüngst ein Büchlein in die Hände gefallen, fünf Jahre Bastelstunde oder wie hieß das? Das las sich relativ recht katastrophal, was die Lehrerausbildung anging. Ich würde tatsächlich sagen, das Fachliche ist tatsächlich extrem wichtig. Wenn ich jungen Menschen insbesondere was erklären soll, dann muss ich wirklich genau wissen, was ich da tue. Und wie das derzeit läuft mit der Lehrerausbildung ist ja, dass die Lehrerinnen und Lehrer immer so beiseite geschoben werden, ihr seid ja nicht ernstzunehmen, wir lassen euch mal so mitlaufen, aber wir nehmen euch nicht so ganz ernst. Das ist vielleicht ein Problem. Ich hatte den Vorteil im Mathematikunterricht, persönliche Prägung. Ich hatte im Mathematikunterricht einen der beiden Autoren vom dtv-Atlas Mathematik. Inzwischen verstorben, den Herrn Dr. Söder. Das hat mich nach vorne gebracht. Da war wirklich jemand, der wusste, was er wie macht. Der hatte total die Ahnung von Mathematik gehabt eben. Das ist eine extreme Prägung gewesen. Lustigerweise wo ich dabei bin, bei den persönlichen Prägungen, im Deutschunterricht hatte ich einen Romanautor. Auch das war da die Grundlage für den Journalismus. Lustigerweise, also durch diese Lehrer alleine. Weil diese Lehrer wirklich wussten, was sie getan haben, in Deutsch und in Mathematik. Was habe ich später im Leben gemacht? Deutsch und Mathematik.
Gibt es ja noch ein paar andere Vorschläge, wie man sozusagen andere digitale Errungenschaften der 80er und 90er Jahre hier auspacken kann, Stichwort Spielorientierung. Jetzt werfe ich das einfach mal so in den Raum, was wäre denn, wenn man sozusagen die Prüfung ersetzt durch ein intelligent geführtes Textadventure, also so eine Art intellektuelles Labyrinth, in dem man dann so ein bisschen Detektivarbeit mit Grundlagen leisten muss, und sozusagen auf eine ganz andere Art und Weise sein Wissen kombinieren muss. Sagen wir mal sehr viel mehr praxisorientiert. Nicht nur das Abfragen von, weißt du das, weißt du das, weißt du das, kannst du mir das erklären? Zack zum Stichwort X konntest du mir das erklären, deswegen hast du jetzt den Stempel, ab jetzt darfst du alles vergessen. Sondern dass man vielleicht eher hingeht und die digitalen Möglichkeiten dahingehend nutzt und sagt, okay du baust jetzt hier wirklich interaktiv was zusammen, aber die Anforderungen bessern sich. Du kannst auch sagen wir mal noch ein sehr viel besseres Ergebnis erzielen, als nur alles zu wissen, indem du die Dinge besser zusammenbringst. Oder überhaupt, dass vielleicht die letzten 20% hin zu einer Bestnote überhaupt nur dadurch zu erreichen sind, dass man eben kombinatorisch rangeht und dann in dem Moment versucht, diesen Prozess so ablaufen zu lassen, dass hier sein kreativer Geist gefragt wird, der nur funktionieren kann, wenn die Grundlagen auch wirklich vollständig durchdrungen sind.
Genau, da kommt die Computergrafik wieder rein. Wobei heute ist das alles viel einfacher. Man hat einfach Unity und sagt einfach, mach. Das Ding macht das meiste ja von selbst. Im Prinzip, ich meine was wir hier in meinem Büro auch vor uns sehen, diese Projekte und Arbeiten haben wir natürlich schon drin. Wobei ja also hier die selbstgebauten Wasserturbinen und die selbstgebauten Anemometer. Wobei man da eben auch sieht bei solchen Gruppenarbeiten, die Beteiligung der verschiedenen Leute in der Gruppe ist doch auch verschieden und es ist schwer, das gegeneinander abzuwägen und vor allen Dingen ist da auch immer wieder die Tendenz, es so gerade mit Spucke zusammenzukleben sozusagen, programmiertechnisch oder mechanisch, wird schon irgendwie, Hauptsache es läuft jetzt einmal. Ohne dass man genau verstanden hat, warum es jetzt läuft oder warum es vielleicht so keine tolle Idee ist. Ist immer schwierig bei den Projektarbeiten, dafür zu sorgen, dass wirklich das Fundament da ist. Also man müsste Projektarbeiten extrem … was heißt man müsste, man muss Projektarbeiten extrem gut begleiten als Lehrender, um immer wieder dafür zu sorgen, dass das Ganze so geerdet ist. Wüsste ich jetzt, was ihr da tut, warum denn so, warum nicht anders? Was macht eigentlich diese Zeile im Programm, wenn folgendes passiert und so weiter. Man müsste ständig eingreifen und alle wieder sozusagen auf den Pott setzen, um klar zu machen, dass die Grundlagen bitte stimmen müssen. Dass das nicht einfach nur so ein Gebastel wird. Dasselbe Problem wird man sicherlich auch bei elektronischen Lösungen haben. Wenn man jetzt so ein elektronisches Planspiel macht, ein 3D-Adventure daraus macht. Wie sorgt man dafür, dass wirklich immer wieder die Grundlagen da sind, dass sauber gearbeitet wird?
Auf jeden Fall spannend finde ich die Megaspaces. Also wie soll man sagen, der inszenierte Gerätekeller sozusagen. Früher hatte man so was selbst. Da hatte man eine Bohrmaschine, man hatte einen Lötkolben, man hatte ein Oszilloskop, habe ich alles noch. Meine Studentinnen und Studenten haben das nicht mehr. Die haben keine Bohrmaschine, keinen Lötkolben, keinen Oszilloskop, das ist total traurig. Da studiert man was mit Elektrotechnik und hat nie im Leben zuvor einen Lötkolben in der Hand gehabt und weiß auch gar nicht, wozu ein Oszilloskop ist oder gar ein Voltmeter gut ist. All das und noch einen 3D-Drucker und was man sich sonst so vorstellen könnte so zur freien Verfügung und dann, Leute jetzt bastelt mal was. Das Megaspace finde ich schon sehr schön, ist natürlich in Deutschland wieder der Horror, was die Rechtslage angeht. Was ist, wenn sich jetzt einer in den Finger bohrt oder wenn einer den Lötkolben auf sein Notebook fallen lässt und was auch immer, Drama, Drama, geht ja alles gar nicht. Wenn man das in den Griff kriegen würde, rechtlicherseits, betreuungsmäßigerseits so eine postmoderne Bastelstube.