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FG089 Geometrie und Visualisierung

Formales Denken und die Visualisierung komplexer Mathematik

Komplizierte Formeln und unverdaulicher Zahlensalat: Das ist das Bild, das viele Menschen von Mathematik haben – meist geprägt durch frustrierende Erfahrungen in der Schule. Doch unsere Zivilisation würde ohne eine formale Beschreibung von Phänomenen noch in der Steinzeit stecken.

Mathematische Strukturen visuell erfahrbar zu machen, ist das große Thema von Jürgen Richter-Gebert, Inhaber des Lehrstuhls für Geometrie und Visualisierung an der Technischen Universität München. Es geht hier nicht um Daten, die als Tortengrafiken serviert werden, sondern um tiefere Zusammenhänge, die sich in Bilder, Animationen oder sogar in eine virtuelle Lernumgebung übersetzen lassen. Zum Beispiel: Wie bewegt sich ein Fischschwarm? Visualisierung hilft, die Regeln, die das Verhalten steuern, im wahrsten Sinne des Wortes zu durchblicken Solch ein Anschauungsmodell selbst zu entwerfen, hilft Studierenden dabei, ein fundamentales Verständnis komplexer Mechanismen zu gewinnen. Dieser Transfer von der abstrakten Formel in ein Modell oder in eine Simulation ist ein gewaltiger Lernschritt, den Richter-Gebert in seiner Lehrtätigkeit in den Mittelpunkt rückt. Visualisierungen sind außerdem ein fantastisches Werkzeug, um durch Ausstellungen oder mit Apps der breiten Öffentlichkeit die Augen für Mathematik zu öffnen.

Jürgen Richter-Gebert wurde 2021 vom Stifterverband und der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dem Communicator-Preis für herausragende Wissenschaftskommunikation ausgezeichnet.

https://forschergeist.de/podcast/fg089-geometrie-und-visualisierung/
Veröffentlicht am: 6. Dezember 2021
Dauer: 1:36:56


Kapitel

  1. Intro 00:00:00.000
  2. Begrüßung 00:00:42.453
  3. Lehrstuhl für Geometrie und Visualisierung 00:01:24.908
  4. Persönlicher Hintergrund 00:02:59.485
  5. Lehrstuhl via Geometrie und Visualisierung 00:12:55.686
  6. Schlüsselwissenschaft Mathematik 00:16:18.240
  7. Formales Denken 00:19:47.187
  8. Kreativität und Mathematik 00:29:51.414
  9. Strukturen sichtbar machen 00:42:29.342
  10. Was ist die Wahrheit? 00:48:41.901
  11. Mathematik und Informatik 00:55:55.037
  12. Dynamische Geometrie 00:58:47.819
  13. Wissenschaftskommunikation der Visualisiserung 01:10:36.447
  14. Lehre in der Pandemie 01:22:34.350
  15. Ausklang 01:35:44.157

Transkript

Tim Pritlove
0:00:43
Jürgen Richter-Gebert
0:01:21
Tim Pritlove
0:01:25
Jürgen Richter-Gebert
0:01:32
Tim Pritlove
0:01:33
Jürgen Richter-Gebert
0:01:47
Tim Pritlove
0:02:09
Jürgen Richter-Gebert
0:02:10
Tim Pritlove
0:02:16
Jürgen Richter-Gebert
0:02:26
Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
0:03:19
Tim Pritlove
0:04:10
Jürgen Richter-Gebert
0:04:15
Tim Pritlove
0:05:12
Jürgen Richter-Gebert
0:05:15
Tim Pritlove
0:05:22

Wo?

Jürgen Richter-Gebert
0:05:23
Tim Pritlove
0:05:29
Jürgen Richter-Gebert
0:05:35
Tim Pritlove
0:05:53
Jürgen Richter-Gebert
0:06:24
Tim Pritlove
0:07:16
Jürgen Richter-Gebert
0:08:17

Also für mich ist der Reiz, auch da immer wieder Grenzgänger zu sein. Also in dem Moment, wo man an Anwendungsproblemen arbeitet, sei es drum, jetzt für die Firma zum Beispiel irgendwelche NC-Steuerungen, also numerisch controllte Fräsroboter damals zu machen, wenn man das gut und richtig machen will, kommt man an der Mathematik nicht vorbei. Und hinter dem, was ich vorhin so das formale Denken genannt habe. Dann muss man ein Problem so weit durchdringen, dass danach auch eine bestmögliche Lösung irgendwo, wenn es geht, rauskommt. Und das ist auch tatsächlich dann am Ende des Tages wirtschaftlich relevant. Und ich habe in meinem Leben eigentlich so die Erfahrung gemacht, dass egal was man anfasst, wenn es ein Problem zumindest im technischen, aber auch in vielen anderen Bereichen, ist, dass man, wenn man es richtig machen will, um eine tiefe Durchdringung der dahinterliegenden Mathematik überhaupt nicht drum rum kommt. Und umgekehrt, wenn man Mathematik kann und Mathematik macht, ich sage jetzt immer sehr pauschal Mathematik, Mathematik ist eine extrem vielfältige Wissenschaft, also man kann eigentlich nicht von der einen Mathematik einfach so reden, aber das lassen wir jetzt erst mal beiseite. Aber wenn man diesen Werkzeugkasten hat, dann kann man auch unglaublich tolle Sachen damit machen und ist dann natürlich aus der Theorie kommend dann wiederum auch sehr schnell bei interessanten Anwendungen, wo die Mathematik einfach möglich macht, die ohne das gar nicht gingen. Und dieses Wechselspiel finde ich mein Leben lang schon interessant. Und natürlich noch den Bezug dann, diese Sachen auch tatsächlich in die Öffentlichkeit ein Stück reinzubringen, damit, Sie fragen nach der Biografie, okay… Jetzt hüpfe ich mal zurück in die Zeit irgendwo siebte, achte Klasse, da bin ich sehr gern in der Schule als Zauberer aufgetreten. Und Mathematik gibt einem ein bisschen ähnliche Kräfte, weil man kann damit manchmal Dinge machen, wo die Leute sagen, ach und wie funktioniert das jetzt? Und wie passt das jetzt plötzlich zusammen? Und dann kann man, wenn Mathematik und keine Zauberer hinten dran steckt, kann man dann sehr schön drüber reden und sagen, ja jetzt fang doch mal an darüber nachzudenken, was siehst du denn hier, was hast du denn vor dir? Warum führen denn dieses Effekte so schön zu dem, was du am Ende siehst? Jetzt machen wir ein bisschen Visualisierung über Podcast, indem ich zumindest das Gefühl beschreibe, das man hat, wenn man irgendwo was gut visualisiert bekommt.

Tim Pritlove
0:10:56
Jürgen Richter-Gebert
0:11:25
Tim Pritlove
0:12:56
Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
0:13:01
Jürgen Richter-Gebert
0:13:07

Der Lehrstuhl ist ein Lehrstuhl für Geometrie und Visualisierung. Das heißt, in den beiden Wörtern stecken schon zwei Aspekte drin, die einfach wichtig sind. Geometrie ist für uns wirklich auch ein ganzes Stück Grundlagenforschung, mathematische Grundlagenforschung, aber eben die dann auch zu benutzen, um damit konkret Visualisierungen zu machen, ist ein Teil der Forschung hier. Das heißt, die Forschung hier am Lehrstuhl die geht von sogenannter geometrischer in Variantentheorie, kombinatorische Geometrie, polytope Theorie, ist jetzt immer hinten dran das Wort Theorie und das heißt auch schon, das ist eher so im Grundlagenaspekt verankert. Bis aber eben dazu hin, dass es eine der wichtigen Aufgaben hier ist, mathematische Grundlagen zu schaffen, die dann wiederum die softwaregestützte Umsetzung von Geometrie und Mathematik auf dem Computer überhaupt erst ermöglichen. Und da stellt man dann, ich habe vorhin schon mal gesagt, wenn man eine Sache richtig machen will, braucht man jede Menge Mathematik dazu und auch da stellt sich raus, wenn man Dinge gut und korrekt visualisieren möchte, in die Anschauung reinbringen möchte, dann ist auf dem Weg dahin tatsächlich wiederum viel Mathematik zu betreiben. Das heißt, was wir hier auch viel machen, sind einfach wirklich mathematische Grundlagen von interaktiven Visualisierungen, wobei ein Schwerpunkt hier bei uns am Lehrstuhl wirklich auf dem Interaktionsaspekt liegt, also es geht uns weniger darum, Filmsequenzen zu produzieren, als darum, Werkzeuge zu produzieren, mit denen man interaktive Spielszenarien letztlich bauen kann. Mit denen man mathematische Effekte erklären kann, indem die Leute mit diesen Produkten am Ende in Interaktion treten mit Maus und Finger und am Bildschirm. Und letztlich selbst ein Stück zum Forscher werden als ein Konzept. Also wir haben ja auch viele Zusammenarbeiten mit der TUM School of Education. Ein Konzept, das wir an der Stelle immer wieder haben, sind sogenannte Mikrolaboratorien. Das sind kleine abgezirkelte interaktive Spielfelder, in denen der Benutzer am Ende selbst zum Forscher werden kann. Da gibt es zum Beispiel Dinge über Molekülbildung von geladenen Teilchen, wo man mit einem Schieberegler einstellen kann, welche Ladung haben die denn jetzt, welchen Nahwirkungsabstoßungsradius haben die und dann plötzlich Effekte sieht und erlebt, die ansonsten auf molekularer Ebene stattfinden und darüber bekommt man ein viel besseres Verständnis dafür, wie sind dann letztlich hinten dran die Wirkmechanismen. Und wie gesagt, um das zu machen, braucht es dann wieder einen Haufen mathematische Theorie und die machen wir hier am Lehrstuhl. So lange Antwort auf kurze Frage.

Tim Pritlove
0:16:09
Jürgen Richter-Gebert
0:17:17
Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
0:18:29
Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
0:18:32
Tim Pritlove
0:19:41
Jürgen Richter-Gebert
0:19:45
Tim Pritlove
0:21:02
Jürgen Richter-Gebert
0:22:05

Auch hier Antwort ist vielfältig und vieles geht, glaube ich, auf die persönliche Entwicklungsgeschichte von verschiedenen Leuten einfach zurück. Also soweit ich weiß gibt es Studien, die sagen, bei vielen Personen ging der Mathematikvorhang zu Zeiten der Grundschule zu. Und das mag daran liegen, dass man sehr schnell in der Grundschule damit konfrontiert wird, Mathematik ist das, wo es am Ende immer nur eine richtige Lösung gibt und auch vielleicht nur einen richtigen Rechenweg und das ist aber Mathematik nicht. Also wir haben hier am Campus unsere Mathematikausstellung, in der wir Kinder beginnend ab Vorschulalter, Grundschule bis Mittelstufe und so weiter mit drin haben. Und tatsächlich das forschende Herangehen, wie wir es teilweise bei Kindern bis zur ungefähr zweiten Klasse beobachten, ist dem eines echten mathematischen Grundlagenforschers viel ähnlicher als das, was wir häufig beobachten, was man dann so zehnte, elfte, zwölfte Klasse bekommt, wo man drauf gestreamlined wurde, okay Mathematik ist jetzt das, wo ich rechnen muss und das, wo ich jetzt erst mal aus einer Textaufgabe rausfiltern muss, was ist denn da jetzt der mathematische Gehalt und das in eine Formel packen und dann muss ich auf diese Formel ein Verfahren anwenden, das ich vorher irgendwo vielleicht auswendig gelernt habe und da macht natürlich Mathematik nicht mehr so schrecklich viel Spaß und da ist man natürlich auch sehr schnell an der Stelle, wo Dinge schnell fehlerhaft werden können, weil einfach die Pfade so eng gesteckt sind. Und auf der Uni wird das tatsächlich dann wieder, je weiter man im Studium fortschreitet, wieder weiter und weiter dieser Blickwinkel, so dass man am Ende, wenn man ein mathematisches Forscherleben führt, tatsächlich eine komplette Methodenoffenheit hat. Und genau diese Erfahrung, glaube ich, dass Mathematik häufig etwas, was von außen bewertet wird, dass man erst mal nicht so kann und man sehr viel Frustration einstecken muss, das ist was, was vielen Leuten auf dem Weg, ich formuliere es jetzt mal vorsichtig, zumindest eine gewisse Berührungsangst zu Mathematik und formalem Denken macht. Ich habe kein Patentrezept, wie man dagegen wirkt, aber ich glaube, dass man viel viel viel positiver mit Mathematik in der Gesellschaft umgehen könnte. Ich hatte einmal, ich muss noch eine Geschichte ganz kurz loswerden. Ich hatte einmal eine Schlüsselerfahrung, da war ich auf einem Lehrerkongress in Berlin, stand am Gendarmenmarkt, habe mir ein Musiker, der da mit der Gitarre spielte, angehört und da kam eine Frau dazu geradelt, hat sich später als die Freundin von dem Gitarrenspieler rausgestellt und wir kamen ins Gespräch und sie fragte, ja und was machst denn du da? Und ich meinte, ich bin jetzt hier auf einem Lehrerkongress und es geht um Mathematik. Und sie kam irgendwo aus Polen oder Ungarn und sagte sofort, ach wie toll, Mathematik das ist ja so ein unglaublich spannendes Feld, hätte ich gerne viel mehr von gemacht. Also ich glaube, es gibt andere, gerade zum Beispiel in Ungarn, anderen kulturellen Umgang, wie man Mathematik als ein spannendes und offenes Feld, indem man einfach seinen Werkzeugkasten beherrschen muss und in dem es sich aber auch lohnt, den Werkzeugkasten zu beherrschen.

Tim Pritlove
0:25:39
Jürgen Richter-Gebert
0:25:47
Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
0:28:27
Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
0:30:02
Jürgen Richter-Gebert
0:30:24
Tim Pritlove
0:30:26
Jürgen Richter-Gebert
0:30:28

Wir reden über Vielflächen, Mathematiker nennen das ein Polytop. Und Vielflächen sind Objekte, die aus geraden Flächen als Begrenzung existieren, zum Beispiel ein Würfel. Und so ein Würfel, der hat zwei Ebenen, auf denen er lebt. Also wir haben einerseits den Würfel, wie er jetzt zum Beispiel vor uns liegt, mit konkreten Koordinaten, die Ecken haben bestimmte Koordinaten und andererseits hat der aber auch eine kombinatorische Struktur. Welche Ecke liegt auf welcher Seitenfläche. Ich könnte mir zum Beispiel für einen Würfel eine Liste machen, ein Würfel hat sechs Seiten, weiß man von einem normalen Würfel und hat acht Ecken und dann könnte ich mir eine Liste machen, wo ich mir die Ecken durchnummeriere, diese Ecke liegt auf dieser Seite, diese liegt auf dieser Seite und so weiter. Jetzt gebe ich Ihnen vielleicht diese Liste, die ich mir angefertigt habe und frage Sie, können Sie mir so was bauen? Und dann stellt sich raus, gucken Sie einmal drauf und denken, ach klasse, ist ein Würfel. Jetzt gebe ich Ihnen eine kompliziertere Liste und frage Sie, können Sie das bauen? Und dann kommen Sie schon ins Knobeln rein. Und tatsächlich für drei Dimensionen war diese Übergangsfrage, wie kommt man von solchen Listen zu konkreten Realisationen, die ist seit 1922 gelöst durch einen klassischen Satz, den Satz von Steinitz. Aber für vierdimensionale Polytope war das seit praktisch damals, seit 70 Jahren offen. Wie schwierig wird das, wie kann man überhaupt zu Lösungen kommen, wie sehen die Räume der Lösungen aus und und und. Und da haben sich einige dran versucht, das gescheit hinzukriegen. Und das ist halt ein sehr hartnäckiges Problem, weil man erstens in vier Dimensionen jetzt nicht so unbedingt die beste Intuition hat. Da muss man sich erst einen Werkzeugkasten zusammenbauen, mit dem man überhaupt erst mal in vier Dimensionen sich Dinge vorstellen kann und für solche Probleme ist die Vorstellung was wichtiges. Und tatsächlich dieses Problem hat sich dann dadurch gelöst, ich habe vorhin gesagt, ich habe mich als Kind auch mit E-Technik beschäftigt. Und in E-Technik setzt man ja verschiedene Bauteile zusammen, um am Ende was daraus zu machen. Zum Beispiel ein Radio der ein iPhone letztlich auch oder Handy, um es hier werbungsneutral zu sagen. Und so was ähnliches passierte bei dem Problem. Es ging darum, sich ein Werkzeugkasten an kleinen Bausteinen zusammenzulegen, aus denen man eine unglaubliche Komplexität zusammenbauen konnte, um zu zeigen, dass dieses Problem, dass man da im vierdimensionalen sich dann definiert, beweisbar schwierig ist. Das fällt dann in die Klasse der mindestens NP-schweren Probleme. Und da ging es dann darum, einerseits Bausteine zu definieren, sich zusammen auszudenken, die bestimmte kleine Aufgaben machen und andererseits einen Mechanismus zu finden, wie man diese Bausteine zusammensetzen kann. Und dieser Mechanismus hat sich als schwierig herausgestellt und da war dann irgendwann die Schlüsselidee, man muss die Verklebeflächen irgendwo geschickt wählen. Will ich jetzt gar nicht genau erklären, wie man sie wählen muss, aber da kommt man dann, wenn man die Idee hat und die Bausteine hat, dann kommt man auf einmal damit durch. Klingt jetzt alles schrecklich abstrakt, befürchte ich, macht aber wahnsinnig Spaß. Ist ein wunderschönes Knobelspiel, mit dem man sich problemlos ein halbes Jahr lang beschäftigen kann.

Tim Pritlove
0:34:00
Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Also ich sehe es so, dass unser Universum eine Kaskade von emergenten Prozessen ist, also wo sich praktisch ein Prozess aus dem jeweils darunter liegenden ergibt. Also nehmen wir unsere Wetterphänomene, da gibt es irgendwo unten drunten die Fluiddynamik und Thermodynamik, die beschreibt wie der Wind geht und dann noch eine Ebene drunter landet man dann irgendwo bei der statistischen Kinematik, und da muss man sich drüber Gedanken machen, wie sind eigentlich die Atome aufgebaut, die das machen und dann kommt man noch weiter runter irgendwann auf die Quarks und je kleiner die Teilchen werden, umso grundlegender und einfacher werden die Zusammenhänge dabei auch, ich hoffe, dass ich jetzt keinen physikalischen totalen Blödsinn erzähle, aber zumindest nehme ich es so wahr, dass also unser Elementarteilchenzoo am Ende doch deutlich geordneter zu sein scheint als jetzt zum Beispiel das stürmische Wetter, von dem wir heute nicht wissen, ob morgen die Sonne scheint oder nicht. Aber trotzdem diese Zusammenhänge von dem ganz unten, ich nenne jetzt mal die kleinen Sachen eher unten und die großen Sachen eher oben, doch zwischendrin darauf beruhen, dass man praktisch Dinge zusammensetzt und komplexere Dinge daraus entstehen. Und von daher habe ich eigentlich immer noch die Hoffnung, dass wenn man ganz ganz ganz weit runter geht, dass da dann die Sachen vielleicht auch so richtig überraschend einfach sind. Es am Ende vielleicht nur zwei, drei Regeln gibt, aus denen sich alles am Ende ergibt. Die aber so kräftig sind und das sind auch wieder Teile der Mathematik, die sich genau damit beschäftigen, was sind denn zum Beispiel einfache Regeln, die komplexes Verhalten erzeugen können? Das ist zum Beispiel auch ein Teil, den wir in der Visualisierung ganz häufig machen, dass wir gezielt über Themen reden, wie man aus einfachen Regeln komplexes Verhalten, komplexe Formen oder ähnliches erzeugen kann, Pflanzenwachstum ist ein interessantes Beispiel dafür, Fischschwärme sind ein interessantes Beispiel. Also in unserer Software kann ich in acht Zeilen einen realistisch aussehenden Fischschwarm zusammenprogrammieren, aus dem dann plötzlich aus den einfachen Regeln durch emergente Prozesse scheinbar komplexes Verhalten rauskommt.

Tim Pritlove
0:42:28
Jürgen Richter-Gebert
0:43:12
Tim Pritlove
0:43:20
Jürgen Richter-Gebert
0:43:24

Dazu müssen wir überhaupt erst mal sehen, was heißt überhaupt Visualisierung? Visualisierung da steckt ja irgendwo visuell, das Optische irgendwo mit drin und das heißt, sichtbar machen von irgendwas. Jetzt die nächste Frage, was will man eigentlich sichtbar machen? Und eine Variante, mit der man viel zu tun hat, wenn man das Wort Visualisierung hört, ist zum Beispiel Datenvisualisierung und damit haben wir jetzt hier am Lehrstuhl so gut wie gar nichts am Hut, weil wir wollen Strukturen visualisieren, Zusammenhänge visualisieren. Und wir haben jetzt schon einiges darüber gehört, dass Mathematik zuweilen eine recht abstrakte Wissenschaft ist. Und dass trotzdem bei den Leuten, die Mathematik betreiben, dazu Bilder im Kopf sind. Und unsere Aufgabe ist dann zum Beispiel, diese Bilder, die meistens nur im Kopf sind, und die teilweise auch sehr schwer zu visualisieren sind, aus dem Kopf raus auf den Computerbildschirm zu bringen. Und an der Stelle ein Schwerpunkt, den wir hier am Lehrstuhl haben, ist die interaktive Visualisierung. Das heißt, es soll eben nicht nur ein Bild oder ein Film geschaffen werden, sondern ein komplexes Interaktionsszenario, mit dem praktisch der Benutzer davon selbst zum Forscher wird in diesem kleinen Bereich, also wir nennen das dann häufig ein Mikrolaboratorium. Und wie gesagt, um das zu machen, ist viel Mathematik notwendig und dann sehen wir jetzt eine Spielart der Visualisierung, ist das Visualisieren von Mathematik selbst. Also Mathematik ist etwas, ich habe vorher gesagt, ich bin abgeschreckt, wenn ich eine Formel sehe und das schreckt viele Leute ab, machen wir doch mal klar, was eigentlich hinter der Formel steckt. Und die meisten Formeln lassen sich auch tatsächlich sehr gut in Bilder/Filme/Animationen/interaktive Animationen entsprechend umsetzen. Das ist eine Spielart. Eine andere Spielart ist, Visualisierung von zum Beispiel emergenten Prozessen, das was ich eben mit dem Fischschwarm angesprochen habe. Da geht es jetzt nicht per se darum, eine abstrakte Struktur irgendwo darzustellen, sondern etwas was man zum Beispiel in der Natur als Wirkmechanismus erkannt hat, wie Moleküle zusammenfinden, wie eine Pflanze wächst, wie eben der Fischschwarm, der schon fast metaphorisch hier geworden ist, wie der letztlich sich selbst kontrolliert und an der Stelle finde ich immer eine Klarheit etwas sehr wichtiges. Also es geht nicht darum, also das wäre dann Hollywood, die dann eben dann versuchen, einen möglichst realistischen Filmschwarm für irgendeinen Ocean-Thriller oder sonst was zusammenzubauen. Um was es bei uns geht ist nicht, einen möglichst realistischen Fischschwarm zu bauen, sondern einen Fischschwarm zusammen mit seinen Wirkmechanismen so dazustellen, dass man versteht, was da passiert und eben dann darüber ins Nachdenken kommen kann.

Tim Pritlove
0:46:38
Jürgen Richter-Gebert
0:46:49

Sicherlich nicht im letzten Detail, aber in einigen strukturellen Zusammenhängen durchaus schon. Also so ein Fisch ist ja am Ende ein relativ, ja, Wesen mit einem einigermaßen beschränkten Horizont. Also der weiß ja, wenn er jetzt irgendwo schwimmt, nicht unbedingt, was der Fisch ein paar Meter weit weg am anderen Ende des Fischschwarms macht, trotzdem gibt es Regeln, die zum Beispiel die Kohärenz von so einem Schwarm bedingen und das sind eigentlich drei einfache Regeln. Also erste Regel, krach nicht in deinen Nachbarn rein, also wenn du irgendwo direkt auf einen Nachbarn zuschwimmst, weiche halt doch irgendwie aus. Zweite Regel, guck dich um und schau, wo sind deine Nachbarfische und versuche auch da hinzuschwimmen. Dritte Regel, guck dich um und schau, in welche Richtung schwimmen deine Nachbarn und versuche dich ähnlich zu verhalten. Wenn man nur die drei Regeln nimmt und das in den Computer zum Beispiel reinprogrammiert, dann entsteht auf einmal ein sehr realistisch aussehender Fischschwarm. Und damit kann man auch andere, also Thema Soziologie, also in unserer Schwarmsimulation kann man mit Parametern spielen und da gibt es zum Beispiel auch die Möglichkeit zu sagen, ich sehe nur zwei Nachbarn. Und dann versuchen sich eigentlich immer zwei Fische zu finden und so ein kleines Pärchen zu bilden. Und dann gibt es aber manchmal den einsamen Fisch, der dem Pärchen hinterher jagt, um selbst Anschluss zu finden. Und das simuliert dann auch das, was manchmal auf einer Party passiert, wenn sich die Pärchen gefunden haben und Leute, die noch nicht Anschluss gefunden haben, dann den Pärchen hinterher laufen. Also von daher, Soziologie gibt da natürlich gezielter oder tiefer Auskunft, Aber grundlegende Prinzipien kann man schon mal ein bisschen mit Mathematik an der Stelle versuchen zu verstehen.

Tim Pritlove
0:48:42
Jürgen Richter-Gebert
0:48:46
Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
0:50:12
Jürgen Richter-Gebert
0:50:27
Tim Pritlove
0:50:30

Ja.

Jürgen Richter-Gebert
0:50:31

Also wenn ich jetzt zum Beispiel über die Fischschwärme rede, dann geht es mir häufig darum, überhaupt erst mal zu vermitteln, dass eben aus vergleichsweise einfachen Regeln sehr komplexes Verhalten entstehen kann. Wir machen manchmal Fortbildungen für Lehrer zum Beispiel, in denen wir den Prozess, wie komme ich denn jetzt von ein paar grundlegenden Ideen zu etwas hin, das am Ende zu so einer Schwarmsimulation führt, indem wir den thematisieren, damit die das zum Beispiel wieder im Unterricht weitergeben können. Also das sind ganz viele verschiedenen Ebenen der ursprünglichen Absicht, dann der Metaabsicht, die Absicht zu vermitteln und so weiter, dann der Metaabsicht zu erklären, wie macht man denn so was denn im etwas allgemeineren, das verzahnt sich an der Stelle alles irgendwo. Und ich muss gerade noch mal eine Sache reinbringen, die ein Stück von dem Fischschwarm weggeht, und zwar wieder ein Stück zurück auch auf die abstrakten Zusammenhänge. Es gab hier gerade an der TU München in den 60-90er Jahren des vorletzten Jahrhunderts, also wir reden jetzt von 1860 bis 1890 eine sehr intensive Tradition des mathematischen Modellbaus. Was ja letztlich auch eine Form der Visualisierung ist. Und eine der Personen, die da maßgeblich dran beteiligt war, ein sehr bekannter Mathematiker, der Felix Klein, und der schreibt dann irgendwann mal rückblickend über dieses Modelle bauen, indem er über die Zeit schreibt, wie damals war auch heute der Zweck des Modells nicht, die Schwäche der Anschauung auszugleichen, sondern eine lebendige Anschauung überhaupt erst zu schaffen. Ein Ziel, das vor allem durch das selbst anfertigen von Modellen am besten erreicht wurde. Und so ähnlich ist das mit den Visualisierungen. Also wenn ich, also wir haben ja häufig mit unseren Studenten Visualisierungsseminare, in denen sich die Studenten relativ frei ein Thema suchen, und es geht drum, sie sollen dazu eine gute Visualisierung erstellen. Und in dem Prozess des Erstellens des Modells verstehen sie auf einmal die Thematik auf einem viel viel tieferen Niveau. Und das ist nämlich noch so ein anderer Nebeneffekt der Visualisierung, Ich würde mal sagen, ich selbst habe an meinen Programmen am meisten gelernt. Weil ich einfach Probleme so tief durchdringe musste, um überhaupt zu dieser Visualisierung hinzukommen, dass das eben Forschung für sich genommen schon mal wieder ist. Und das ist ein Effekt, den man auch in der Form weitergeben kann.

Tim Pritlove
0:53:26
Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
0:56:24

Wie nahe ist die Mathematik der Informatik, wie nahe ist die Informatik der Mathematik. Das kommt, glaube ich, sehr auf die jeweilige Person an, die gerade Mathematik oder Informatik betreibt. Natürlich kann man Informatik betreiben und dabei relativ wenig Mathematik machen. Man kann auch Mathematik betreiben und dabei relativ wenig Informatik machen. Je nachdem in welchem Gebiet man sich gerade bewegt. Aber es gibt eine Schnittstelle, in der der Overlap so groß ist, dass das eine oder das andere nicht richtig existieren kann. Und viele Bereiche der Mathematik haben auch schon Informatik betrieben, bevor es überhaupt Computer gab. Und in dem Sinne ist es eben auch Informatik in einer Richtung zumindest aus der Mathematik raus entstanden, allerdings auch aus rein pragmatischen Aspekten, wie zum Beispiel Webstühle zu programmieren, sind in den allerersten Anfängen der Informatik… Ich würde sagen, das ist eine angenehme Symbiose idealerweise und ich bin immer sehr dagegen, Dinge einfach zu trennen und schnell zu trennen und zu sagen, bis dahin ist Mathematik und ab da ist es jetzt Informatik. Also mein ganzes Leben der letzten, ich würde mal sagen, 10 fast 20 Jahre ist ständig ein Mix aus beiden Gebieten und wenige Ergebnisse, die ich hatte, wären ohne Computerhilfe entstanden und wenige Programme, die ich geschrieben habe, wären ohne mathematische Hintergründe entstanden. Ich glaube, so geht es sehr vielen Kollegen gerade hier im Haus. Wir sind an der Technischen Universität München, in der sich die Mathematik auch wirklich sehr anwendungsbezogen definiert, was jetzt nicht heißt, dass jeder von uns Anwendungen macht, aber die Schnittstelle Mathematik und Informatik in gewissem Sinne als eine Einheit zu empfinden ist, glaube ich, eine Philosophie, die viele hier irgendwo in ihrer TU DNA drin haben. Und das mag anders sein an Instituten, die nicht dieses T im Namen schon drin haben wie die Technische Universität München. Und es ist so, mein Werdegang hatte immer ein T im Namen, ich habe also an der TH Darmstadt studiert, an der KTH dann auch noch einmal promoviert, an der ETA in Zürich war ich und jetzt bin ich hier an der TU München, also dieses T zieht sich bei mir immer durch und das heißt auch immer, das eine Gebiet mit dem anderen in Verbindung zu bringen.

Tim Pritlove
0:59:03
Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Jetzt kommt aber was ganz gemeines rein. Dieses Gebiet der dynamischen Geometrie ist als Forschungsrichtung so in den 80er Jahren letzten Jahrhunderts entstanden, 80er, 90er und da gab es zum Beispiel immer ein ganz fundamentales Problem und die Leute haben das bezeichnet als das Problem der springenden Punkte. Also da hat man wirklich einen springenden Punkt im wörtlichen Sinne. Und zwar wenn ich jetzt was geometrisch konstruiere und das parametrisiere, jetzt bitte ich alle Leute, die uns hier zuhören, sich mal einfach einen Kreis und eine Gerade vorzustellen. Der Kreis und die Gerade sollen sich jetzt mal schneiden und Sie stellen sich jetzt mal vor, Sie zeichnen einen der beiden Schnittpunkte ein. Jetzt fangen Sie an, an dem Kreis und der Geraden rumzubewegen und dieser Schnittpunkt soll halt immer schön mitbewegt werden. Moment mal, dieser Schnittpunkt, es gibt ja zwei dieser Schnittpunkte. Ein Kreis und eine Gerade die haben zwei Schnittpunkte und in jedem Moment muss der Computer entscheiden, welchen Schnittpunkt meine ich denn jetzt eigentlich von den beiden, weil sonst hüpft auf einmal der Punkt von dem einen Schnittpunkt auf den anderen. Verrückterweise ist das ein richtiges Problem, so banal es erscheint. Und alle Programme der frühen dynamischen Geometrie haben unter dem Problem gelitten und viele CAD Systeme machen das heute noch, dass, wenn eine Konstruktion zu komplex wird, ich an Parametern spiele, dass dann plötzlich ein Element der Konstruktion komplett unmotiviert von einer Stelle zur anderen hüpft. Wenn man das einer mathematischen Analyse unterzieht, stellt man auf einmal fest, man hat es mit Räumen von analytischen Funktionen zu tun, denen man nur über sogenannte komplexe Zahlen richtig zu Leibe rücken kann und indem man das Ganze in einen viel höher dimensionalen Umgebungsraum einbettet, wo man dann um sogenannte Singularitäten, die hier auftreten, dann einen großen Umweg macht, um die einzelnen Objekte immer auseinanderzuhalten. Und tatsächlich ist man da ein ganzes Stück in tiefer Funktionentheorie gelandet, um dieses Problem, was einem so banal erscheint, in den Griff zu kriegen. Und kann sogar beweisen, das ist die einzige Möglichkeit, das in den Griff zu kriegen. Und das ist jetzt zum Beispiel so eine Schlüsselstelle, wo man wirklich ganz gehörig in die mathematische Trickkiste greifen muss, um etwas, einem erst mal als eine ganz einfache Aufgabe erscheint, endgültig in den Griff zu kriegen. Und das ist zum Beispiel eine Leistung hier von der Forschungsarbeit, die wir hier im Rahmen von den verschiedenen Visualisierungsprojekten gemacht haben, dass wir das einfach ein für allemal richtig in den Griff bekommen haben und dann geht die Fragestellung natürlich weiter, wenn man es im Griff hat, dann wie schwierig ist denn das dann algorithmisch umzusetzen? Und dann stellt man fest, dass, wenn man es ganz ganz richtig machen will, dass das Ganze dann allerdings beweisbar schwierig wird. Und dann ist man wieder in der Klasse der harten Probleme mit drin, die ich vorhin schon mal kurz angesprochen habe, und ja, es ist letztlich mathematische Grundlagenforschung, die man betreibt, um ein scheinbar banales Visualisierungsproblem in den Griff zu kriegen und es führt kein Weg dran vorbei. Also wenn man es richtig macht, geht es nur so.

Tim Pritlove
1:03:36
Jürgen Richter-Gebert
1:03:39
Tim Pritlove
1:03:40
Jürgen Richter-Gebert
1:03:46
Tim Pritlove
1:04:30
Jürgen Richter-Gebert
1:04:32
Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
1:04:50
Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
1:05:35
Tim Pritlove
1:05:38
Jürgen Richter-Gebert
1:06:06
Tim Pritlove
1:06:46
Jürgen Richter-Gebert
1:07:08
Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
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Jürgen Richter-Gebert
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Tim Pritlove
1:10:37
Jürgen Richter-Gebert
1:11:47
Tim Pritlove
1:12:29
Jürgen Richter-Gebert
1:12:31

Nicht I X-Quadrat. Ein wichtiger Punkt dabei ist, Phänomene zu suchen, die verstehbar genug sind, um damit einen interessanten Dialog über die Objekte hervorrufen zu können. Und tatsächlich die Ausstellung, wie wir sie unten haben, die ist so aufgebaut, dass es verschiedene Pfade durch die Exponate gibt, die unterschiedlichste Zusammenhänge rausholen können. Also ein großer Teil geht um das Thema Symmetrie. Symmetrie ist ein wunderbares Thema, über das man ganz toll mit Leuten reden kann, die ansonsten sagen, ich habe mit Mathematik gar nicht so schrecklich viel am Hut und die Ausstellung ist so gemacht, dass man da sowohl mit einem Kindergartenkind als auch mit einem Oberstufenschüler als auch mit einem Gastwissenschaftler einen interessanten Dialog darüber führen kann. Und dazu sind die Phänomene halt sehr gezielt rausgesucht. Und die Ausstellung ist, ich sage jetzt mal so rum, ziemlich designed darauf hin. Und ein typischer Effekt, den wir haben, dass die Leute rausgehen aus dem Raum und sagen, Mensch der Raum ist ja von innen viel größer als von außen. Weil eigentlich was wir gemacht haben ist, Räume im Kopf zu öffnen, in die die Leute dann eintauchen können. Also rund 50 Exponate gibt es da unten, dann gibt es aber noch verschiedene andere Projekte. Es gibt diverse Wissenschaftskommunikationsapps, in der verschiedene Effekte auch wieder dargestellt werden. Wobei ich immer versuche, Computer nur dann einzusetzen, wenn man wirklich um das Digitale nicht drum herum kommt. Also Effekte, die man anfassen kann, die soll man eben auch anfassen können, aber der Anschauungsraum reicht halt nur bis zu einem gewissen Punkt und dann ist der Computereinsatz was ganz wichtiges. Dann gibt es diverse Wanderausstellungen, Kooperationen mit dem Deutschen Museum, Kooperation mit dem Mathemuseum MoMa in New York. Und viele Dinge, wo man sich immer wieder Sachen ausdenkt, wie man denn Leute für Mathematik oder im Allgemeinen auch für Wissenschaft begeistern kann. Und da kann ich gerne noch was zu den verschiedenen Ansätzen sagen, was man damit machen kann.

Tim Pritlove
1:14:45
Jürgen Richter-Gebert
1:14:46
Tim Pritlove
1:14:48
Jürgen Richter-Gebert
1:14:49
Tim Pritlove
1:14:51
Jürgen Richter-Gebert
1:14:54
Tim Pritlove
1:16:13
Jürgen Richter-Gebert
1:16:37

Das ist eine direkte Schnittstelle zur Mathematik, nicht unbedingt zu meiner Arbeit, weil ich nur sehr indirekt generative Kunst betreibe. Ich habe vorhin gesagt, in den Apps, die ich mache, geht es mir häufig darum, dass die Spielregeln möglichst klar sind. Und was ich machen möchte, ich verstehe mich häufig als ein Werkzeugmacher, der den Benutzern Software oder Objekte an die Hand gibt, die praktisch Dinge ermöglicht, die man ohne das Werkzeug nicht tun könnte. Und es gibt viele andere Apps in Richtung generative Kunst, in denen man mit der App interagiert, aber letztlich nicht weiß, was die App jetzt eigentlich aus dem gemacht hat, was ich jetzt da reingegeben habe. Da spielt dann auch ganz häufig Zufall eine Rolle und ähnliches. Ich versuche Dinge zu machen, in denen die Regeln extrem klar snid und sich darüber aber dann ein ganzer Horizont von Möglichkeiten ergibt. Wie zum Beispiel Flächenornamente oder Rosettenornamente oder ähnliches zu zeichnen. Und genau diese Spielart, dass die Regeln sehr klar sind und trotzdem Dinge entstehen, mit denen ich gar nicht gerechnet hätte, das ist sehr spannend, dass dann an kreative Leute zu geben. Das ist so ein bisschen ähnlich, wie wenn man Flöte in einem Raum mit einem guten Echo spielt. Also man hat eine Flöte und macht etwas und plötzlich kommt von den Wänden das zurück, was man gerade selbst gemacht hat und man kommt mit sich selbst in Interaktion dabei nach bestimmten Regeln, und dabei kann sehr interessante und gute Musik entstehen. Und ähnlich kann passieren, wenn man in einer App, die symmetrisch widerspiegelt, was man gerade gemacht hat, kann plötzlich ein Dialog mit sich selbst entstehen, der einen über das hinausführt, was man nur mit Stift und Papier sonst gemacht hätte. Will nicht sagen, tun könnte, weil man könnte es mit sehr viel Mühe, aber man wäre dann nicht so in diesem kreativen Fluss drin. Und um das zu machen, auch wieder ein Haufen Mathematik hinten dran.

Tim Pritlove
1:18:51

Ich akzeptiere diese Trennung zwischen hier, ich mache ja nur das Werkzeug und in dem Moment, wo das Werkzeug dann von jemandem benutzt wird, dann ist es auf einmal Kunst so, da gehe ich nur begrenzt mit, zumal ich ja ohnehin … Weil oft auch, ich meine, hat natürlich ein bisschen was mit dem Begriffsverständnis für Kunst zu tun, was ist das eigentlich, wo fängt es an, wo hört es auf, aber sicherlich ohne Zweifel ist der Kunstprozess immer einer, der auch so eine schöpferische Komponente hat, die zwangsläufig am status quo ansetzt, das heißt, in dem Moment, wo man auch Werkzeug schafft, was überhaupt erst eine Visualisierung, eine parametrisierte Betrachtung von etwas, was ja quasi auch wieder eine neuartige Verarbeitung von Daten ist und damit eben was neues schafft, dann kann ja das Werkzeug selbst ja auch schon die Kunst sein. Also gerade in dem Moment, wo der Computer auch Einzug gehalten hat in die Kunstwelt, sind ja oft Dinge schon bestaunt worden und das sicherlich auch zurecht. Wo man vielleicht auch heutiger Perspektive relativ einfache Dinge überhaupt erst mal zusammengemacht hat, weil diese Kombinatorik, diese generative Tätigkeit, dieses Visualisieren letzten Endes unterschiedlicher Eingabedinge, und wenn es erst mal nur so ganz grundlegende Sachen waren am Anfang wie, man hat da ein Mikrofon und dann wird halt die akustische Information in eine visuelle Information übersetzt, auch das ist ja schon ein künstlerischer Prozess, von daher erscheint mir hier der Übergang doch sehr fließend zu sein.

Jürgen Richter-Gebert
1:20:29
Tim Pritlove
1:20:38

Ja.

Jürgen Richter-Gebert
1:20:39
Tim Pritlove
1:20:39
Jürgen Richter-Gebert
1:20:42

Klar. Ein Instrumentenbauer ist ein Künstler und ein Artefakt so zu schaffen, dass daraus etwas entsteht, mit dem Kreativität möglich ist, ist ein kreativer Prozess in sich selbst. Und ich verbringe viel Zeit damit, mir darüber Gedanken zu machen, wie ich den möglichst perfekten Strich auf einem Zeichenprogramm machen kann, der sich möglichst natürlich oder sogar übernatürlich anfühlt. Und da ist dann im Hintergrund wieder jede Menge Algorithmik, und die gibt aber dann wiederum anderen Leuten die Möglichkeit, Dinge zu machen, die mehr sind als ich jemals könnte und mehr sind als Sie jemals ohne die Programme könnten. Und es gibt diesen einen Grafikdesigner, Kaligrafen, Seb Lester aus Großbritannien, der hat mit meiner Symmetrie-App wahrscheinlich die komplexesten Buchstaben gemalt, die jemals in der Menschheitsgeschichte überhaupt irgendwo gezeichnet wurden, weil einfach an der Stelle seine Fähigkeiten plus den Möglichkeiten des Programms zusammengekommen sind, zu etwas, was einfach viel mehr ist als was sowohl er als auch ich könnte. Das finde ich toll, das macht wahnsinnig Spaß. Und jetzt gerade über diese Apps auf der Schnittstelle von Mathematik zu Kunst, Mathematik und Musik bin ich mit Leuten in Kontakt gekommen, die wirklich zu den bereicherndsten Begegnungen hatte und ich meine jetzt, intellektuell bereichernd, die ich bisher hatte und gerade diese Grenzbereiche von Wissenschaft zu Gebieten, die erst mal gar nicht wissenschaftlich erscheinen, auszuloten, ist ein unglaublich spannender Prozess.

Tim Pritlove
1:22:34
Jürgen Richter-Gebert
1:23:06

Ich rede jetzt einfach mal von mir ganz persönlich. Die letzten zwei Jahre waren wahrscheinlich mithin bezüglich Lehre die arbeitsreichsten, die ich je hatte. Und gleichzeitig war die Pandemiesituation eine gewissen Steilvorlage für unsere Zunft der Visualisierung. Weil man steht jetzt plötzlich da und das, was man schon immer betrieben hat, nämlich Inhalte digital zugänglich zu machen, wird auf einmal absolut notwendig, um einfach unterrichten zu können. Ich habe für mich selbst dabei das Ziel gehabt, also ich unterrichte sehr gerne und Lehre ist mir selbst eine heilige Aufgabe, und ich mache normalerweise auch sehr gute und schöne Livevorlesungen und ich habe mir vorgenommen, in den Videocasts, die ich zu meinen Livevorlesungen jetzt gemacht habe, oder die diese ersetzen sollten, sollte nichts fehlen, was sonst auch in der Vorlesung drin ist. Was am Ende dazu geführt hat, dass ich Filme produziert habe, in denen eine Stunde Video im Film ungefähr 17 Stunden Arbeit bedeuten, mit zuerst Konzeptbuch erstellen, letztlich eine Art Drehbuch erstellen, Visualisierungen dafür schreiben, das ganze Zeug selbst aufnehmen, selbst zusammenschneiden, wo aber am Ende was rausgekommen ist, an dem ich selbst auch wirklich Spaß habe und mir selbst auch gerne anschaue. Wo eben genau diese Schnittstelle von formalem Zugang, visuellem Zugang, erklären auf sehr vielen verschiedenen Ebenen, die ganze Zeit in den Videos durchgezogen wird. Und die Studenten haben ihren Spaß dran. Also wir haben jetzt zweimal in Folge dafür Lehrauszeichnungen hier von der Fakultät bekommen und ich habe viele Studenten gehört, die gesagt haben, bitte die Videos auf keinen Fall nach der Pandemie abschaffen, die müssen weiter existieren und die Lehre muss sich ein Stück auch mit an den Medien mit orientieren. Ich finde das ein sehr spannendes Thema. Macht endlos viel Arbeit, aber macht auch endlos viel Spaß.

Tim Pritlove
1:25:18
Jürgen Richter-Gebert
1:25:20
Tim Pritlove
1:25:23
Jürgen Richter-Gebert
1:25:25
Tim Pritlove
1:27:06
Jürgen Richter-Gebert
1:27:10
Tim Pritlove
1:28:44
Jürgen Richter-Gebert
1:28:55

Voraussagen über die Zukunft sind immer eine ziemlich unsichere Angelegenheit. Von daher muss man schauen, wieviel davon bleibt. Ich würde sagen, bei mir wird eine Menge davon bleiben, weil ich einfach selbst meine Freude daran habe. Es ist letztlich auch ein Stück eine Manifestierung von Dingen, die wir ohnehin schon gemacht haben. Also die Lehre war ja auch in Zeiten vor der Pandemie schon zu großen Teilen digital unterstützt. Also es gab immer schon einen blended learning, in dem eben genau diese Mikrolaboratorien zum Beispiel auf dem Portal mathevital gesammelt wurden, in dem es dann begleitend zu den Vorlesungen, die ich gemacht habe, und auch begleitend zu Vorlesungen einiger Kollegen Materialsammlungen gab, in denen die Studenten zu Hause noch mal an eben genau diesen passend gebauten Mikrolaboratorien experimentieren konnten zum aktuellen Vorlesungsstoff. Also meine lineare Algebra die ist schon seit, ja Moment, mathevital gibt es seit 2008, seit 2008 massivst digital unterstützt, dazu kommen die Visualisierungen, die ich so und so in der Vorlesung selbst verwendet habe. Das ist natürlich auch ein Bereich, der über die Jahre gewachsen ist und in dem immer mehr dazu kommt. Und in gewissem Sinne waren jetzt die letzten drei Semester so eine Art Konsolidierung von dem, was ohnehin da war. Also von daher in gewissem Sinne, so neu ist es nicht, das Ganze aber dann trotzdem in Drehbuch und in Schnitt und man steht ja dann selbst auch da und nimmt sich selbst mit auf mit dem Handy und muss die ganze Zeit irgendwo präsent sein, wie jetzt hier in dem Podcast und möglichst vivant irgendwo reden und die Leute gefühlt irgendwo dabei halten, das muss man erst mal lernen, und das war bestimmt ein Prozess des Neulernens an der Stelle. Ich war dann am Ende überrascht, also normalerweise, wenn ich meine letzte Vorlesungsstunde mache, dann überkommt mich so ein kleiner Moment der Rührung, dass man jetzt diesen Studentenpool jetzt irgendwo ins nächste Semester entlässt. Und in der Pandemiezeit ist das soweit gewachsen, dass ich zu meinem Handy, das dann vor mir stand, ein so intimes dahinter sind jetzt die Studenten-Verhältnis aufgebaut hatte, dass die letzte Stunde der Vorlesung dann ganz genauso war und ich gedacht habe, Mensch das ist jetzt aber wirklich komisch, dass du jetzt leicht angerührt bist davon, dass du jetzt in dem Format deine letzte Stunde gibst und ich glaube, das ist dann ein ganz gutes Gefühl, wenn einem das passiert.

Tim Pritlove
1:31:43
Jürgen Richter-Gebert
1:32:18

Wir haben gerade letzte Woche im Mitarbeiterseminar genau darüber geredet, was wir eigentlich jetzt neuerdings für Räume bräuchten. Wobei das ist jetzt, glaube ich, ein pandemiespezifischer Effekt, die Kollegen, die das sehr ernsthaft betreiben, und es gibt ja einige an der Fakultät, die das sehr ernsthaft betreiben, die haben sich mittlerweile halt zu Hause ihr Videostudio aufgebaut und mit den jeweiligen Gegebenheiten das möglichst beste daraus gemacht und auch an ihre jeweilige Person angepasst. Also wir haben hier einen Kollegen, der Tim Hoffmann, der hat zu Hause wirklich seine komplette Greenscreen, mehrere Kameramischpulte, Einspielmöglichkeiten, in dem er wirklich sehr virtuos mit all diesen Möglichkeiten umgehen kann. Bei mir ist es zum Beispiel ein ganz bewusst privat gewählter Rahmen, ich sitze immer in meiner Wohnzimmerecke, mit meiner Lampe im Hintergrund und da hat sich auch mittlerweile so ein gewisses Corporate Identity aufgebaut. Farbige Beleuchtung ein bisschen im Hintergrund, damit man nicht ganz so blass im Gesicht ausschaut und alles mögliche. Und tatsächlich glaube ich, jetzt das Aufbauen von Studiosituationen hier im Institut, das wird insbesondere für die Kollegen auch interessant sein, die das vielleicht bisher jetzt gerade auch über die letzten Jahre noch nicht so exzessiv gemacht haben. Und dass man da einfach Möglichkeiten schafft und auch einiges an Knowhow weitergibt. Spannendes Thema. Also ich bin sehr gespannt, wie das über die nächsten Jahre weitergeht. Ich glaube, dass die drei Semester die Lehre nachhaltig verändert haben.

Tim Pritlove
1:34:02
Jürgen Richter-Gebert
1:34:40
Tim Pritlove
1:35:43
Jürgen Richter-Gebert
1:35:46
Tim Pritlove
1:35:49
Jürgen Richter-Gebert
1:35:49
Tim Pritlove
1:35:51
Jürgen Richter-Gebert
1:35:55
Tim Pritlove
1:35:56