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FG067 Datenbasierte Konfliktforschung

Big Data spielt eine immer wichtigere Rolle bei der Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen

Wenn es zu Unruhen kommt, knipsen Diktatoren gerne als erstes das Internet aus. Doch das ist nur die Spitze des Eisberges. Regierungen verfügen mittlerweile über ein gewaltiges Arsenal an Instrumenten, um den digitalen Informationsfluss in ihrem Einflussbereich zu überwachen und zu manipulieren. Andererseits: Digitalisierung und Vernetzung können auch subversiv wirken.

In diesem Spannungsfeld forscht Anita Gohdes. Sie hat eine Stiftungsprofessur für International and Cyber Security an der Hertie School of Governance in Berlin inne. Als Politikwissenschaftlerin setzt sie auf die Möglichkeiten von Data Science: Ihr Interesse gilt insbesondere Ansätzen, wie man Gewalt quantitativ messen kann – denn das Internet eröffnet auch neue Chancen, Menschenrechtsverletzungen datenbasiert zu dokumentieren. Und dies ist die Voraussetzung, um letztlich die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Am Beispiel Syrien wird deutlich, wie ambivalent der Umgang des Regimes mit der Digitalisierung ist. Aus Sicht der Machthaber kann das Blockieren sozialer Medien durchaus kontraproduktiv sein, schließlich bieten die Online-Netzwerke auch willkommene Möglichkeiten, Andersdenkende auszuspionieren. Aber auch Demokratien nach westlichem Muster sind durchaus auch keine Unschuldslämmer, wenn es darum geht, sich für die digitale Kriegsführung zu rüsten. Und auf den sozialen Plattformen tobt längst eine Schlacht um die öffentliche Meinung.

https://forschergeist.de/podcast/fg067-datenbasierte-konfliktforschung/
Veröffentlicht am: 26. April 2019
Dauer: 1:19:34


Kapitel

  1. Intro 00:00:00.000
  2. Begrüßung 00:00:42.367
  3. Hintergrund 00:01:53.647
  4. Human Rights Data Analysys Group 00:05:38.361
  5. Statistische Methoden 00:13:11.811
  6. Mathematik und Sozialwissenschaft 00:21:09.521
  7. Datenjournalismus und Fakten 00:25:25.148
  8. Verfolgte Journalisten 00:30:30.737
  9. Digitalisierung der Gesellschaften 00:37:44.750
  10. Der Syrien-Konflikt 00:44:04.309
  11. Cyberwar 00:58:35.486
  12. Lernfähigkeit der Gesellschaft 01:08:31.839

Transkript

Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Ja.

Anita Gohdes
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Ich glaube, schon, ja. Also ich glaube, es gibt natürlich schon starke Unterschiede in der Fragesetzung zwischen der datengetriebenen Forschung und dem datengetriebenen Journalismus. Aber ich glaube, es gibt enorme Schnittmengen. Und bevor ich jetzt an die Hertie School gekommen bin, war ich in Zürich an der Uni und da hatten wir auch einen Track im Master, der Datenjournalismus hieß und der war extrem nachgefragt bei den Studierenden. Die Studierenden waren dann aber danach auch extrem nachgefragt in Redaktionen. Und das ist natürlich toll zu sehen, weil das einfach direkt zeigt, dass diese neuen Skills, die Sozialwissenschaftlerinnen sich aneignen, eben auch gefragt sind. Und ich finde den Trend extrem spannend, weil durch meine Arbeit im Bereich Menschenrechte habe ich schon seit einem knappen Jahrzehnt immer wieder mit Journalisten zu tun, die sich für unsere Arbeit interessieren und ich sehe einfach eine enorme Veränderung in der Kompetenz, die in Medienhäusern jetzt da ist, die wirklich verstehen, wovon wir sprechen. Also als wir vor zehn Jahren über Konflikte gesprochen haben und gesagt haben, passt auf, wir können euch ungefähr sagen, wieviele Menschen hier gestorben sind, aber es gibt ein Konfidenzintervall, ja, also es gibt eine Unsicherheit, die so und so ist. Dann kam so, naja also was ist denn ein Konfidenzintervall? Und heutzutage fragen uns Journalisten, naja aber gibt es da nicht auch eine Unsicherheit? Also man sieht einfach, dass eine viel größere Kompetenz da ist, was statistische Unsicherheiten angeht. Und wenn jetzt die ganze Zeit Menschen kommen und sagen, ja wir leben im postfaktischen Zeitalter und niemand interessiert sich mehr für Fakten, dann verstehe ich das nicht so ganz, weil ich glaube, es gab noch nie so eine große Nachfrage in den Medien für Fakten. Deshalb, also ich finde das ein bisschen einseitig, wenn man eben davon spricht, dass sich niemand mehr für Fakten interessiert.

Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
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Tim Pritlove
0:37:45

Jetzt haben wir viel gesprochen über das Digitale als Werkzeug. Konkretes Forschungsobjekt, aber vor allem so als Methode, wie man der Gesellschaft ein wenig auf die Schliche kommen kann. Jetzt leben wir ja aber, wie man so schön sagt, in Zeiten der Digitalisierung, sprich, wir haben uns Kommunikationsmitte zugelegt mit dem Internet und all dem, was darauf aufbaut, was den Informationsfluss, den Informationsreichtum und natürlich dann vor allem eben auch die Kommunikation enorm beschleunigt und die Auswirkungen davon dürfte, glaube ich, jeder schon mal auf die eine oder andere Art und Weise gespürt haben. Und man hat jetzt eben auch so diese Eindruck, dass das eben auch so das Wohl und Wehe gesamter Staaten doch enorm in Bedrängung bringt Mir ist es das erste Mal so ein bisschen aufgefallen zu Zeiten des arabischen Frühlings vor einigen Jahren. Das war ja dann sozusagen auch die Story erst mal, oh ja alle vernetzen sich jetzt über Facebook und die ganzen Aktivisten kommen zusammen und das Volk hat auf einmal einen gemeinsamen Sprachkanal gefunden und steht auf gegen die Machthaber und das hat ja in Tunesien dann ein Stück weit auch ganz gut funktioniert, gab wieder ein paar Schritte zurück und auch wieder ein paar nach vorne und im Großen und Ganzen ist in Tunesien jetzt nicht ganz so explodiert, aber wir haben ja dann gesehen, es wurde in Ägypten, dann lief es dann schon so ein bisschen anders, war dann zwar genauso umjubelt, aber dort ist dann der Staat ja auch schnell vorgegangen dagegen und hat versucht, in irgendeiner Form die Verbreitung dieser Informationen zu beeinflussen. Da wurde dann tagelang das Internet abgeschaltet und noch extremer wurde es ja dann ein paar Monate später, als die Proteste in Syrien entflammt sind und da wissen wir ja nun alle, was da rausgekommen ist, also schön war das nicht. Sprich, so dieser ganze Traum von der Befreiung von der geknechteten Völker, weil man jetzt Textmessages durchs Internet verschicken kann, der war dann relativ schnell ausgeträumt. Was sind denn das jetzt so für Implikationen, auf die man blicken muss und inwiefern betrifft das auch Ihre Forschung?

Anita Gohdes
0:40:04

Ja, also ich glaube, das ist eine sehr gute Zusammenfassung von der Perspektive, die wir vor allem in Europa und den USA, glaube ich, von dieser Entwicklung hatten, und ich glaube, diese Linse, durch die man hier so ein bisschen dieses Aufbauschen, Aufbäumen der verschiedenen Protestbewegungen im Kontext des sogenannten arabischen Frühlings hat, hat natürlich auch sehr gut in diese Narrative gepasst, dass die sozialen Medien und diese verschiedenen Plattformen, die ja vor allem eigentlich aus den USA und Europa kommen, so ein bisschen diese Liberalisierung vorantreiben. Und ich glaube, jetzt knapp zehn Jahre später hat man so ein bisschen einen anderen Blick darauf. Man sagt, natürlich war das irgendwie auch wichtig auch für die Kommunikation, aber es waren jetzt natürlich nicht die originären Auslöser dieser Protestbewegungen. Die haben uns natürlich dabei geholfen, das Ganze hier mitzuverfolgen und Menschen konnten sich ganz gut miteinander vernetzen, aber es war jetzt nicht originär der Hauptgrund dafür. Das beutetet natürlich aber nicht, dass die Rolle des Internets in der Digitalisierung gleich null war, also im Gegenteil. Ich glaube, wir haben ganz klar gesehen, dass das Internet ganz viele verschiedene Rollen im Kontext dieser Konflikte und Proteste gespielt hat. Was mich von Anfang an sehr stark interessiert hat, ist, und das kommt natürlich von meiner Forschungslinse, dass ich mich eben originär für staatlichen Machtmissbrauch und staatliche Kontrolle interessiere, war eben, dass eben ganz früh in dieser Diskussion um sogenannte Liberalisierungstechnologien so ein bisschen vernachlässigt wurde, dass das Internet ja immer noch als Infrastruktur meistens von Staaten bereitgestellt wird oder zumindest wurde, auch wenn sich das jetzt langsam verändert. Das beutetet, für mich war eigentlich von Anfang an sehr spannend zu sehen, naja wenn das wirklich so toll ist für die ganzen nichtstaatlichen Bewegungen und Protestbewegungen, warum wird es dann überhaupt zugelassen? Und ich meine, Ägypten hat versucht, es auszuschalten, hat dann gemerkt, dass das eigentlich keine so gute Idee ist, dass das eher noch Leute befeuert hat, auf die Straße zu gehen.

Tim Pritlove
0:42:23
Anita Gohdes
0:42:28
Tim Pritlove
0:42:29
Anita Gohdes
0:42:31

Aber originär ist natürlich schon die Frage, warum machen die das dann? Warum wird dieses Internet überhaupt zugelassen, wenn es wirklich Revolutionen hervorruft? Und ich glaube, jetzt ist die Situation ein bisschen eine andere, weil man jetzt natürlich auch im Kontext von den US-Wahlen 2016, im Kontext von Brexit sich viel mehr Gedanken darüber macht, inwiefern das Internet vielleicht negative Konsequenzen hätte, vor allem auch in Demokratien. Aber damals wurde das eigentlich so ein bisschen unter den Tisch fallen gelassen. Dabei gab es auch schon 2012/2013 extrem, also schon früher, 2008 extrem gute Forschung, die gezeigt hat, wie Staaten überall auf der Welt das Internet zensieren, das Internet überwachen, das Internet manipulieren, und zwar zu ihrem eigenen Vorteil. Und ich glaube, das hat man im Zuge dieser Euphorie so ein bisschen vergessen. Und im Kontext der Enthüllungen durch Edward Snowden wurde dann das Ausmaß oder die Möglichkeiten, die überhaupt durch Überwachung möglich sind, so ein bisschen weltweit publiker. Es hat natürlich auch den Effekt gehabt, dass dann viele Staaten, die eben nicht diese Kapazitäten hatten, die die US-Regierung hat, gesagt haben, naja das möchten wir jetzt aber auch haben. Und ich glaube, seitdem sehen wir eben jetzt nur noch viel viel stärkere, ein viel viel stärkeres Interesse seitens demokratischer, nichtdemokratischer, despotischer Machthaber, die sagen, also wenn die NSA das kann, dann wollen wir das auch können.

Tim Pritlove
0:44:04

Ich meine, es gab ja schon immer so ein paar digitale Warner, die im Prinzip schon seit den 80/90er Jahren generell immer so mit diesem Feindbild des übermächtigen Staates daher gekommen sind. Digitale Szene in Deutschland ist im Prinzip seit den 80er Jahren schon ganz stark davon geprägt, sozusagen auch ein bisschen so als digitale Fortsetzung dieser Friedensbewegung, mit dieser generellen Staatsskepsis. Ich erinnere mich noch an die Proteste gegen die Volkszählung, die heutzutage also jedes Webseitenformular, was Mindestdaten von einem haben will, hat dann schon mehr Informationen eingesammelt als damals die Volkszählung wollte, aber man merkte zumindest, dass dieser Diskurs dadurch schon angefangen hat und dass es dann halt auch immer so der Staat war. Jetzt wiederum haben wir natürlich auch eine Situation, wo man eben sieht, naja es ist auch gar nicht mal jetzt nur der Staat, sondern wir haben im Prinzip das Problem, dass durch die privaten Dienste, die halt noch viel extremer zentralisiert genutzt werden, Facebook natürlich, aber eben auch andere Dienste und was immer auch da nach Facebook kommen wird, wird das Problem natürlich dann auch haben. Das verschwindet jetzt nicht dadurch, dass ein einzelner Anbieter dann vielleicht irgendwann mal in den Niedergang schreitet Dass wir dann im Prinzip zwei große Konfliktfelder haben. Aber bleiben wir vielleicht erst mal so ein bisschen bei den Staaten und ich würde auch ganz gerne nochmal gucken, wie das jetzt zum Beispiel konkret beim arabischen Frühling … Also ich weiß nicht, der Begriff trifft es irgendwie nicht richtig, aber sagen wir mal, insbesondere den Syrienkonflikt angegangen hat, weil Syrien ja, glaube ich, sehr viel mehr als andere Staaten davor von Vornherein einfach auf maximale Konfrontation gegangen ist. Was kann man aus den Vorgängen, also Sie haben sich ja, glaube ich, Syrien ein bisschen genauer angeschaut, was da abgegangen ist, was ist da passiert und aus welcher Motivation heraus, welchen Möglichkeiten heraus hat der Staat dort agiert?

Anita Gohdes
0:46:10

Ja, also ich denke, der syrische Konflikt ist für zukünftige Konflikte eigentlich, also aus verschiedenen Gründen, extrem wichtig. Und ich glaube, gerade im Bezug auf die Rolle von der Digitalisierung, vom Internet allgemein, ist eigentlich der syrische Konflikt wirklich der erste, wo wir so eine zentrale Rolle eigentlich sehen. Die syrische Regierung hatte bis kurz vor Anfang der Proteste, also bis, ich glaube, Januar oder Februar 2011, eine extrem starke digitale Zensur durchgeführt. Also es war wirklich einer der am stärksten zensiertesten Medienlandschaften der ganzen Region vor Ort dort. Und dann kurz bevor eben diese Proteste ausgebrochen sind, hat man eben plötzlich dann irgendwie diese ganzen Seiten, die vorher blockiert waren, hat man dann eben entblockiert und die Leute hatten plötzlich Zugriff dadruaf. Jetzt weiß man natürlich nicht, was der genaue Grund dafür war. Aber viele regionale Spezialisten und die eben sich auch sehr gut mit der Geschichte der syrischen Regierung und der ganzen Region auskennen, sagen eben, naja ein zentrales Problem, was Diktatoren haben, das weiß man, ist, dass sie so ein bisschen in einem Dilemma stecken. Auf der einen Seite wollen sie soweit es geht kritische Stimmen zensieren und die quasi mundtot machen. Das kann aber die Folge haben, dass in Situationen, wo sich in der Gesellschaft Unmut anbahnt und es quasi brodelt, man das nicht wirklich mitbekommt. Weil man quasi die Menschen so stark zensiert hat, dass man dann vom einen Moment auf den anderen überrascht wird, was da eigentlich passiert. Und deswegen haben eben repressive Herrscher immer so diese Trade off, dass sie auf der einen Seite sagen, wir wollen die Leute unterdrücken, aber wir wollen trotzdem noch wissen, wer nachher die Anführer wären, sollten sie sich gegen uns aufbäuschen. Und dieses Entblockieren von sozialen Medienplattformen ist natürlich eine extrem, kann man sagen, elegante Art herauszufinden, wer eigentlich diese zentralen Figuren sind. Das ist jetzt natürlich sehr weit gegriffen, aber es gibt schon relativ viele Stimmen, die eben gesagt haben, naja das war ein Weg für die syrische Regierung herauszufinden, wer jetzt eigentlich die wirklich problematischen Stimmen innerhalb der Bevölkerung sind.

Tim Pritlove
0:48:35
Anita Gohdes
0:48:43
Tim Pritlove
0:48:44
Anita Gohdes
0:48:45
Tim Pritlove
0:49:11
Anita Gohdes
0:49:12
Tim Pritlove
0:49:18
Anita Gohdes
0:49:20
Tim Pritlove
0:50:13
Anita Gohdes
0:50:14
Tim Pritlove
0:50:43
Anita Gohdes
0:51:18
Tim Pritlove
0:52:27
Anita Gohdes
0:52:28
Tim Pritlove
0:53:23
Anita Gohdes
0:53:25
Tim Pritlove
0:53:28
Anita Gohdes
0:53:29
Tim Pritlove
0:53:40

Ja.

Anita Gohdes
0:53:41
Tim Pritlove
0:53:50

Was ist denn jetzt so der Trend? Also ich meine, man muss ja nur einmal so ein bisschen durch das Internet blättern und man sieht, dass mittlerweile eigentlich nichts mehr heilig ist. Also es wird in jeden Kommunikationskanal eingegriffen, der sich in irgendeiner Form auch nur anbietet. Wir hatten ja schon erwähnt die Veröffentlichung von Edward Snowden, da haben wir ja sehr viel gezeigt, man kann das gar nicht alles aufzählen, aber unter anderem so Dinge, die bis wenige Monate vorher noch so in den Bereich der Verschwörungstheorie fallen von irgendwelchen Aktivisten. So was wie, ja ich kaufe mir bei Amazon einen Ethernet Router und wenn der bei mir ankommt, dann hat die CIA da schon was eingepflanzt. Also wenn man so was irgendwie gesagt hat, selbst in etwas informierteren Kreise, wurde man schon so ein bisschen mitleidig angeschaut und so, dann nimm doch einfach deine Medizin wieder und dann wird das schon irgendwie hinhauen und dann kriegte man im Prinzip genau das auf den Tisch, ja genau, findet genauso statt und fertig. So dass man jetzt so ein bisschen, glaube ich, auch dahingeht, allen alles zuzutrauen. Und wenn man aber sich dann die weitere Entwicklung anschaut, hört es auch irgendwie nicht auf. Also gerade, ich glaube, in den arabischen Ländern ist sehr beliebter Sport halt auch diese ganzen Möglichkeiten der gezielten Infiltration von Geräten zu nutzen, das heißt, das was wir hier noch so ein bisschen in einer Sicherheitsdebatte hin und her schieben und sagen, naja sollten wir nicht dafür sorgen, dass irgendwie unsere Systeme sicher sind oder zumindest die Politik sagt, dass es ja ganz toll und eigentlich auch ihr Auftrag wäre, aber wir müssen ja die bösen Terroristen fangen und deswegen müssen wir uns auch die Möglichkeit lassen, dann doch mal irgendwo einzudringen, womit natürlich dann diese Sicherheit untergraben wird, das ist ja dann so was in den vereinigten arabischen Emiraten etc. ist das ja sozusagen staatliche Politik, wo dann eben auch die privaten Betreiber so sehr unter der Fuchtel stehen, dass sie dann zu solchen technischen Maßnahmen, die das unterstützen, auch gezwungen werden. Wie entwickelt sich das denn weltweit so aus Ihrer Perspektive?

Anita Gohdes
0:56:03
Tim Pritlove
0:56:05
Anita Gohdes
0:56:06
Tim Pritlove
0:56:07
Anita Gohdes
0:56:09

Naja zum einen muss man sagen, die empirische Überwachungsforschung, also mit empirisch meine ich jetzt die Überwachungsforschung, die versucht, das Ganze anhand von Daten festzuhalten, hat natürlich enorme Probleme, ganz einfach aus dem Grund, dass wir natürlich über Überwachungstechnologie erfahren, wenn diejenigen, die sie eingebaut haben, vielleicht wollen, dass man was darüber erfährt oder wenn es eben Pannen gibt. Das bedeutet, dass natürlich die Informationen, die wir darüber haben, immer lückenhaft sein wird und lückenhaft ist. Und das ist ein riesiges Problem für die Art von Arbeit, die wir machen, die Art von Arbeit, die Aktivisten machen und das ist was, wo ich auch keine Lösung weiß. Was, glaube ich, deutlich wird in der jetzigen Debatte, ist, dass wir, ich glaube, langsam davon wegkommen, die Akteure, die in diesem Bereich agieren, versuchen, sagen wir mal, relativ binär zu kategorisieren. Also ich glaube, es gab relativ lang und das gilt wahrscheinlich vor allem für die Zeit vor den Enthüllungen durch Edward Snowden, dass man so ein bisschen gesagt hat, naja es gibt irgendwie diese autokratischen Regierungen, die machen was, das ist schlimm und dann gibt es diese demokratischen Regierungen und die machen das anders. Und ich glaube, was wir jetzt einfach sehen, ist, das diese Software überall benutzt wird. Die Frage ist natürlich, wofür sie benutzt wird und wie sie eingesetzt wird, da kann man natürlich schon nochmal unterscheiden zwischen Ländern, die vielleicht sich eher an rechtsstaatliche Gesetze halten als an andere. Aber die Software, die verkauft und genutzt wird, die verteilt sich weltweit relativ gut. Das heißt, da jetzt zu unterscheiden, das kann man vielleicht auf politischer Ebene, aber sonst wird es da schwierig. Also wir sehen, dass viele der Programme, die von der syrischen Regierung eingesetzt werden, von Firmen aus Deutschland kamen, von Firmen aus Kalifornien kamen. Dass viel aber auch heimisch selbst geschrieben wurde und deswegen ist das alles in dem Sinne schon versetzt. Dass viele dieser Firmen, die sich jetzt gerade in dem Bereich spezialeren, aus Israel kommen, eng zusammenarbeiten mit amerikanischen Firmen. Also ich glaube, da jetzt irgendwie unterscheiden zu wollen, das ist was, was wir eigentlich nicht mehr wirklich machen können.

Tim Pritlove
0:58:35
Anita Gohdes
0:59:12
Tim Pritlove
0:59:30

Ja.

Anita Gohdes
0:59:31
Tim Pritlove
1:00:13
Anita Gohdes
1:01:04

Ja. Also ich glaube, kurz um nochmal auf den Stuxnet-Fall einzugehen, ich glaube, der zeigt ganz deutlich und da sind sich die meisten Experten einig, man redet zwar immer davon, dass Cyberkrieg ist so was günstiges und Cyberkapazitäten sind günstig, aber de facto sehen wir eigentlich, dass die Militärs, die jetzt ganz vorne dabei sind, was Cyberkapazitäten angeht, trotzdem die sind, die auch im nicht digitalen Raum auch eigentlich ganz vorne mit dabei sind. Das heißt, im Moment gibt es auf jeden Fall noch eine ganz starke Korrelation zwischen Militärsgröße und Technologieaffinität innerhalb der Militärs. Also die USA natürlich ist ganz vorne dabei. Stuxnet war ein amerikanisch-israelisches Kollaborationsprojekt, diese beiden Militärs sind natürlich auch in anderen Bereichen ganz vorne weit dabei. Die Bundesregierung hat jetzt auch stark in den Bereich investiert, man hat vielleicht ein bisschen länger gebraucht, aber man ist jetzt trotzdem, man hat da sehr stark aufgerüstet in dem Bereich, da passt das Wort jetzt vielleicht ganz gut. Deswegen, also die Gefahr zum Beispiel davor … also eine Sache, die natürlich immer genannt wird im Bereich Cyberkrieg, ist, dass das jetzt eine Möglichkeit ist für nicht staatliche Akteure, ganz stark Einfluss zu nehmen. De facto haben wir bislang relativ wenig Evidenzen für sogenannte Cyberterror-Vorfälle gesehen. Was vielleicht auch darauf hindeutet, dass die Kapazitäten im Bereich Cyber doch sehr stark mit anderen militärischen Kapazitäten zusammenhängen. Ich glaube, davon unabhängig, also von diesen wirklichen, sagen wir mal, militärischen Cyberkapazitäten, ist natürlich die Frage, inwiefern das Internet durch nicht kriegerische Handlungen für Propaganda und Manipulation benutzt wird. Und ich glaube, das ist nochmal, ich würde das ein bisschen wahrscheinlich unterscheiden zwischen diesen, sagen wir mal, eher traditionellen Cyberkapazitäten.

Tim Pritlove
1:03:07

Ja gut, ich meine, Krieg heißt ja auch nur, dass man mit Gewalt seine Meinung durchsetzen will sozusagen oder seine Vormachtstellung oder seine Einflusssphäre erweitern möchte. Und früher war das halt im Wesentlichen eine geografische Frage, heute ist es das teilweise auch noch, aber um jetzt sozusagen den Machtdiskurs, den globalen, zu gewinnen, hat es eben auch sehr viel mehr mit dem zu tun, was die Leute denn halt eigentlich so denken und wie dann eben ihre eigenen Entscheidungen ausfallen. Ich meine, bisher ist jetzt noch nichts nachhaltig bewiesen, aber, ich glaube, jeder, wer sich das im Detail so ein bisschen angeschaut hat, wie so die Wahlen in den USA 2016 abgelaufen sind, weiß, da ist nicht alles mit richtigen Dingen zugegangen und insbesondere war halt die Einflussnahme über so Unternehmen wie Cambridge Analytica, die ja im Prinzip auch nichts anderes gemacht haben als Sie jetzt, also so BigData Analyse und wir schauen uns das mal ganz genau an und wir haben da irgendwie Zugriff bekommen auf viele Facebook-Accounts und jetzt wissen wir genau, wer hier wie denkt und dann schicken wir den Leuten entsprechende Botschaften, die zwar nicht stimmen, aber sie halt in irgendeiner Form in die Richtung bringen, wo wir sie hin haben möchten. Also Unterstützer der Demokraten werden davon abgehalten zur Wahl zu gehen und die Republikaner werden halt noch weiter aufgehetzt als sie es ohnehin schon sind und das Ergebnis haben wir dann gesehen. Ähnlich die Wahl oder die Abstimmung über den Austritt von Großbritannien, von dem keiner weiß, ob er denn jetzt überhaupt nochmal stattfinden wird, aber immerhin ist er noch geplant. Auch da ist ja diese Einflussnahme enorm. Und wenn man sich jetzt mal den Aufwand anschaut, den das gekostet hat, im Vergleich zu der Wirkung, also aus russischer Perspektive auf jeden Fall genau das, was sozusagen im eigenen Interesse ist, nämlich eine Destabilisierung anderer staatlicher Strukturen, die dann natürlich entsprechend schwächer dastehen, kann man doch schon von Krieg sprechen.

Anita Gohdes
1:05:12
Tim Pritlove
1:06:23
Anita Gohdes
1:06:25
Tim Pritlove
1:06:29
Anita Gohdes
1:06:31
Tim Pritlove
1:06:34
Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Anita Gohdes
1:07:12
Tim Pritlove
1:07:12
Anita Gohdes
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Tim Pritlove
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Also ich glaube, wir können die zwei nicht mehr unabhängig voneinander denken. Das ist so ein bisschen so diese Idee, dass wir die Technologie als unabhängig sehen können, ich glaube, das geht so nicht mehr. Und das ist auch so ein riesiges Problem für die Forschung, weil wir haben Forschungsergebnisse, was sind die Effekte von sogenannter Fakenews und die halten jetzt vielleicht gar nicht mehr, weil sich eben genau die Umgangsformen verändert haben, weil sich der Diskurs auf diesen Plattformen verändert hat. Und deswegen glaube ich, müssen wir die zwei zusammen denken. Also ich glaube, schöne Beispiele dafür sind zum Beispiel Finnland oder Estland, Länder, die sich schon relativ lange darüber bewusst sind, dass es eventuell Desinformationskampagnen gibt, relativ nah an der russischen Grenze und da hat man eben schon sehr früh in die Ausbildung und in die Entwicklung innerhalb von Schulen investiert, um zu sagen, so lese ich Nachrichten, das kann ich daraus ziehen, so bin ich kritisch gegenüber gewissen Meldungen. So merke ich vielleicht, wenn es eine Falschmeldung ist oder wenn es eine Richtung sehr tendenziös ist. Ich glaube, das ist was, was wichtig ist und was alle Länder machen können. Auf der anderen Seite haben wir, glaube ich, viel zu lange gedacht, dass die Strukturen, die die Plattformen uns vorgeben, neutral sind. Und das hat sich jetzt natürlich ganz stark geändert im Kontext der US-Wahl. Aber ich glaube, das ist auch was, wo wir einfach noch keine Lösung gefunden haben. Das Gute ist, dass jetzt die Plattformen selber wissen, dass es ein riesiges Problem ist.

Tim Pritlove
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