Forschergeist
Horizonte für Bildung und Forschung
https://forschergeist.de


FG064 Ethik und Genetik

Ethische Fragen und Analysen hinterfragen und leiten eine durch moderne genetische Verfahren voranschreitende Medizin

Die Gen-Schere (CRISPR/Cas) verspricht als neue „Wunderwaffe“ der Lebenswissenschaften das Genom von Menschen, Tieren und Pflanzen gezielt zu verändern. Mediziner hoffen, mit der neuen Methode schwere Krankheiten zu heilen. Zwischen Hype und Hoffnung mischen sich kritische Stimmen, zumal bei Keimbahneingriffen an Embryonen auch zukünftige Generationen betroffen sind.

Über ethische Fragen zum Genome Editing macht sich vor allem die Forschungsstelle „Ethik der Genomeditierung“ (EGE) an der Universität Tübingen Gedanken. Dort haben wir den Leiter der Forschungsstelle, Robert Ranisch, getroffen und mit ihm unter anderem über Genom-Editierung, Embryonenselektion oder Gene-Drives gesprochen. Als Wissenschaftler untersucht Ranisch normative Fragen an den Schnittstellen von Technologie, Gesellschaft und Politik. Daneben arbeitet er im Bereich Ethikberatung und unterstützt Organisationen beim Aufbau guter Strukturen und erfolgreicher Wertekommunikation.

Die EGE ist eine Forschungsstelle am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, die sich schwerpunktmäßig ethischen Fragen der Genom-Editierung widmet. Sie dokumentiert als deutschlandweit einzigartige Einrichtung über einen längeren Zeitraum die technischen Entwicklungen in den Lebenswissenschaften sowie deren Verarbeitung und Vermittlung in der Öffentlichkeit. Das Ziel der EGE ist es ethische, rechtliche und soziale Herausforderungen der Genom-Editierung zu identifizieren, normative Fragen in institutionalisierter Form zu reflektieren und damit die wissenschaftliche Grundlage für einen transdisziplinären Dialog bereitzustellen.

https://forschergeist.de/podcast/fg064-ethik-und-genetik/
Veröffentlicht am: 29. Oktober 2018
Dauer: 1:47:16


Kapitel

  1. Intro 00:00:00.000
  2. Begrüßung 00:00:42.181
  3. Persönlicher Hintergrund 00:03:07.144
  4. Entwicklung der Ethik 00:04:58.536
  5. Ethikkommission 00:14:36.008
  6. Gesellschaftliche Beteiligung 00:18:11.653
  7. Deutscher Ethikrat 00:19:55.363
  8. Genetik und CRISPR/CAS 00:22:55.933
  9. Mechanismen 00:32:58.286
  10. Künstlich vs. Natürlich 00:39:37.383
  11. Vertrauen 00:44:24.741
  12. Assistierte Reproduktion 00:49:36.464
  13. Embryonenselektion 01:00:38.666
  14. Somatische Gentherapie 01:11:41.697
  15. Forschungsstelle "Ethik der Genomeditierung" 01:18:08.338
  16. Gene-Drive 01:20:38.942
  17. Privatisierte Gendiagnostik 01:31:49.881
  18. Chancen und Risiken 01:43:45.660
  19. Ausklang 01:46:19.839

Transkript

Tim Pritlove
0:00:42
Robert Ranisch
0:01:26
Tim Pritlove
0:01:27
Robert Ranisch
0:01:36
Tim Pritlove
0:01:37
Robert Ranisch
0:01:40
Tim Pritlove
0:01:48
Robert Ranisch
0:01:50
Tim Pritlove
0:01:54
Robert Ranisch
0:01:57
Tim Pritlove
0:02:03
Robert Ranisch
0:02:05
Tim Pritlove
0:02:19
Robert Ranisch
0:02:23
Tim Pritlove
0:02:48
Robert Ranisch
0:03:01
Tim Pritlove
0:03:05
Robert Ranisch
0:03:05
Tim Pritlove
0:04:25
Robert Ranisch
0:04:30
Tim Pritlove
0:04:32
Robert Ranisch
0:04:35
Tim Pritlove
0:04:42
Robert Ranisch
0:05:07
Tim Pritlove
0:06:35
Robert Ranisch
0:06:38
Tim Pritlove
0:06:47
Robert Ranisch
0:07:16
Tim Pritlove
0:07:56
Robert Ranisch
0:08:02
Tim Pritlove
0:08:31
Robert Ranisch
0:08:36

Das hat sich auf verschiedenen Wegen institutionalisiert. Nämlich zum einen eher aus den Geisteswissenschaften heraus, seitens der Theologie und der Philosophie, dass ist dort zunehmend in der ethischen Forschung ein ganz handfestes Interesse an praktischen Fragen gab. Dass man also sagte, wir wollen Ethik nicht mehr nur aus dem Lehnstuhl heraus beantworten, sondern wir wollen in Anbetracht von technologischen Entwicklungen, und das war dann eben nicht nur die Medizin, die zunehmend zu einer Art Apparatemedizin wurde, sondern beispielsweise auch Atomkraft oder Fragen der Mobilität, der Medien, dass die ein Reflexionsbedarf hervorgerufen haben. Und den haben Philosophen, Theologen versucht zu füllen. Das war die eine Schiene, über die sich die Medizinethik institutionalisierte. Die zweite Schiene ist eher aus der Praxis heraus, nämlich aus der klinischen Forschung, klinischen Anwendung. Dass Mediziner, die ja ein breitgestreutes Interesse hatten auch an der reflexiven Arbeit, über die die Tätigkeit ihrer eigenen Zunft anfing, ethische Fragen prominenter zu stellen. Zu versuchen, die auch sozusagen auf den Klinikflur mit hineinzubringen. Und das war zugleich auch begleitet von ganz sich sehr stark ändernden Paradigmen im Arzt-Patienten-Verhältnis. Dass der Arzt zunehmend aus dieser Rolle von Halbgott in weiß wegrückt zu jemandem, der einem auf Augenhöhe und eher informierend vor dem Hintergrund eines Ideals der Autonomie des Patienten bei den therapeutischen Eingriffen, bei Heilseingriffen zur Unterstützung da ist für den Patienten, aber eben nicht über den Patienten sozusagen bestimmen darf. Und das ist dann die zweite Schiene, also eher aus der Klinik heraus gedacht. Die zur Herausbildung der Medizinethik beitrug.

Tim Pritlove
0:10:25
Robert Ranisch
0:10:34
Tim Pritlove
0:11:18
Robert Ranisch
0:11:21
Tim Pritlove
0:11:34
Robert Ranisch
0:11:45
Tim Pritlove
0:12:39
Robert Ranisch
0:12:42
Tim Pritlove
0:13:34
Robert Ranisch
0:13:53
Tim Pritlove
0:15:05
Robert Ranisch
0:15:11
Tim Pritlove
0:15:32
Robert Ranisch
0:15:34
Tim Pritlove
0:16:04
Robert Ranisch
0:16:10
Tim Pritlove
0:16:19
Robert Ranisch
0:16:21
Tim Pritlove
0:16:26
Robert Ranisch
0:17:00
Tim Pritlove
0:17:56
Robert Ranisch
0:18:13

Im besten Fall sollte sie das. Also die Ethik ist ja keine Moralwissenschaft in dem Sinne, dass wir mit dem Zeigefinger da stehen und sagen, das ist jetzt gut und das ist richtig und das sollte getan werden. In der Regel geht es darum, dass wir mit den Mitteln der analytischen Philosophie in der Ethik eher Analyseraster bereitstellen, dass wir sehr sensibel sind für die Verwendung von Begriffen, Probleme zu identifizieren, aber wie dann letztendlich entscheiden wird, das maßt sich die Ethik meist nicht an. Und dafür versucht sie sozusagen Reflexionsräume zu schaffen und die sollten möglichst breit besetzt werden. Und jetzt kommt es auf den Gegenstandsbereich an. Wenn wir von einer Herausforderung sprechen, die sich jetzt im Kleinen, also beispielsweise einer Patientenentscheidung sich darauf bezieht, kann es genügen, dass wir sagen, wir versuchen zusammenzukommen in einem multidisziplinären Team mit vielleicht 5-10 Leuten, das sind dann Seelsorger, Pfleger, gegebenenfalls Angehörige, behandelnde Ärzte und meist ein Ethiker beteiligt und versuchen dann, für diesen Fall eine Lösung auszuhandeln. Wenn es um größere gesellschaftlicher Herausforderungen geht, sei es, was ist momentan sehr breit diskutiert, autonomes Fahren und wie sollen Algorithmen gestaltet werden für solche autonomen Systeme, dann muss auf jeden Fall die Gesellschaft möglichst breit einbezogen sein und das heißt dann eben natürlich auch die Kirchen, aber eben auch sehr viele mehr darüber hinaus, Interessenverbände, sozusagen die relevanten Stakeholder in diesem Moment.

Tim Pritlove
0:19:38
Robert Ranisch
0:19:54
Tim Pritlove
0:19:56
Robert Ranisch
0:20:00
Tim Pritlove
0:20:00
Robert Ranisch
0:20:05
Tim Pritlove
0:21:21
Robert Ranisch
0:21:23
Tim Pritlove
0:22:39
Robert Ranisch
0:23:07
Tim Pritlove
0:23:11
Robert Ranisch
0:23:21

Genau, also es gibt seit, wenn wir allgemein davon sprechen, dass wir Gene, also das Erbgut von Lebewesen, verändern können, ist die Geschichte mittlerweile recht lang, die reicht bis in die 60er Jahre zurück, da hat das dann mit Versuchstieren im Labor geklappt, also meist mit Mäusen oder mit Ratten oder auch mit kleineren Organismen. Da hat man sozusagen den Beweis erbracht, wir können gezielt genetische Veränderungen hervorrufen oder wir können auch gezielt Gene einbringen in Lebewesen. Was wir in den letzten, ich sagte gerade fünf Jahren, ich glaube, das stimmt so, etwa seit 2012 sehen können, ist eine rapide Beschleunigung in dem Bereich der Gentechnik und das ausgelöst durch ein neues Werkzeug oder durch neue Werkzeuge, die zur Anwendung gebracht wurden und die werden meist unter das Schlagwort Genomeditierung oder Genomchirurgie gebracht. Was ist damit gemeint? Damit sind neue technische Verfahren angesprochen, die es erlauben, leichter als zuvor die DNA, also das Erbgut von allen Lebewesen, zielgenau zu verändern. Und damit verbinden sich momentan sehr sehr große Hoffnungen. Dass man sagt, wir haben bisher meist in recht teuren, kostspieligen Verfahren nur ungenaue Veränderungen hinbekommen von möglichen Lebewesen oder auch für eine Anwendung in therapeutischen Kontexten, also für Heilversuche, haben wir das bisher nicht sehr zielgenau hinbekommen und jetzt scheint es, zumindest nach Ansicht der Wissenschaftsgemeinschaft, einen Durchbruch gegeben zu haben. Und viele reden da auch von Revolution, gerade ausgelöst durch die sogenannte CRISPR/Cas-Technologie. Das ist ein etwas komplizierter Akronym, was für die bekannteste Genschere steht, mit der man doch allerlei erstaunliches geschafft hat in den letzten fünf Jahren, seitdem sie zur Anwendung gebracht wurde.

Tim Pritlove
0:25:06
Robert Ranisch
0:25:09
Tim Pritlove
0:26:31
Robert Ranisch
0:26:40
Tim Pritlove
0:26:42
Robert Ranisch
0:26:58
Tim Pritlove
0:27:04
Robert Ranisch
0:27:05
Tim Pritlove
0:27:06
Robert Ranisch
0:27:09

Ja.

Tim Pritlove
0:27:09
Robert Ranisch
0:28:09
Tim Pritlove
0:29:13
Robert Ranisch
0:29:15

Durch Röntgenstrahlen, genau. Und damit können wir mehr oder weniger ziellos Mutationen hervorrufen, nur das wurde das 20. Jahrhundert hindurch vielfach gemacht und das ist ein Standard in der Pflanzenzucht, der angewandt wird. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden dann zunehmend neue Verfahren entwickelt, von denen sprachen wir vorhin bereits, mit denen sich gezielt etwa fremde Gene einbringen lassen in Pflanzen, und da gab es damals schon die Diskussion, okay wollen wir da wirklich gezielt auch sozusagen in die Evolution eingreifen, indem wir etwa sagen, eine Raupe ist resistent gegen diesen oder jenen Umwelteinfluss, jetzt können wir das Gen der Raupe nehmen, das in die Pflanze hineinpacken und die Pflanze wird auch resistent. Oder das wahrscheinlich bekannteste Beispiel, der sogenannte Golden Rise, also ein Reis, den man mit einem extra Gen ausstattet, damit er Vitamin A produziert und hat damit andere Produkteigenschaften. Das waren sogenannte transgene Pflanzen, die dort geschaffen wurden. Das hat man mit sehr sehr aufwendigen und auch langwierigen Verfahren der Gentechnik gemacht und was nun eben möglich ist durch die Genomeditierung ist etwas ganz spannendes, nämlich dass das nicht nur wesentlich schneller und einfacher geht als bisher, sondern auch, dass man sozusagen die Evolution selbst beschleunigen kann, in einer Form, dass Mutationen gezielt ausgelöst werden, die auch auf natürlichem Wege hätte entstehen können. Sie sind es nicht, aber sie hätten auch auf natürlichem Wege entstehen können, das heißt, dass wir bei manchen dieser Pflanzen, die heute genetisch verändert werden, im Produkt gar nicht mehr sagen können, wurde die verändert oder nicht oder hat die sich einfach natürlich so entwickelt?

Tim Pritlove
0:31:00
Robert Ranisch
0:31:27
Tim Pritlove
0:31:42
Robert Ranisch
0:31:43
Tim Pritlove
0:32:20
Robert Ranisch
0:32:21
Tim Pritlove
0:33:05
Robert Ranisch
0:33:07
Tim Pritlove
0:33:58
Robert Ranisch
0:34:29
Tim Pritlove
0:34:55
Robert Ranisch
0:34:57
Tim Pritlove
0:35:17
Robert Ranisch
0:35:29

Ich denke, nicht ganz. Also es soll nicht der Eindruck entstehen, dass, wenn wir jetzt sagen, wir verändern eine Pflanze, dass die das ohnehin auch selbst hätte machen können, es geht eher darum, dass die Werkzeuge, die man dazu nutzt, dass diese Werkzeuge quasi aus der Natur entnommen wurden und damit Veränderungen hervorgerufen werden bei der Pflanze, bei der nicht notwendigerweise wie früher etwas artfremdes eingefügt wird. Früher hat man sozusagen versucht, das kennt man vielleicht von diesen GloFishs, das sind diese kleinen Fische, die kann man im Internet kaufen, in Deutschland darf man das wahrscheinlich nicht, aber in Amerika, die können leuchten im Dunkeln. Was hat man da gemacht? Da hat man sich ein Gen von einer Qualle, die fluoresziert genommen und hat das in diese Fische eingebracht. Wenn ich jetzt diese Fische mir anschaue und wenn ich die sequenziere, dann kann ich sehen, ah okay, da ist jetzt ein Abschnitt von diesem fluoreszierenden Quallengen drin, deshalb sind das transgene Fische. So ist das nicht notwendigerweise bei der CRISPR-Technologie, wie die sozusagen mit dem, was jetzt der Fisch in dem Beispiel oder der Reis in einem anderen Beispiel, was der hat, mit dem kann es arbeiten und kann dann sagen, okay ich schalte jetzt hier Gen A, B und C aus und habe damit eine neue Eigenschaft hervorgerufen, die der Reis dann ausprägt. Das heißt aber eben auch, dass hier nur noch das Verfahren Gentechnologie ist, aber das Produkt – das ist strittig der Punkt – das Produkt kann selbst nicht mehr als gentechnisch verändert identifiziert werden, weil ich eben nicht, wie zum Beispiel GloFish, dann diesen Genabschnitt drin entdecken kann, von dem ich mit Sicherheit weiß, der kommt von etwas artfremdem.

Tim Pritlove
0:37:07
Robert Ranisch
0:37:11
Tim Pritlove
0:37:13
Robert Ranisch
0:37:23
Tim Pritlove
0:38:46
Robert Ranisch
0:38:49
Tim Pritlove
0:40:11
Robert Ranisch
0:40:16
Tim Pritlove
0:40:28
Robert Ranisch
0:40:32
Tim Pritlove
0:40:49
Robert Ranisch
0:41:36

Genau, und ich denke, eins der … und das ist ja ein ethisches Thema, eins der grundlegenden Fragen, die sich damit verbinden, sind unsere Intuitionen, die wir haben, in Bezug auf Natürlichkeit. Was wir damit meinen, wenn wir sagen, etwas ist kulturell geformt oder ist künstlich oder etwas ist natürlich. Und ich denke, da sind sehr viele auch Verbraucher in Deutschland davon umgetrieben, dass wir da eine klare Opposition haben, entweder ist das Ganze, wie das der Bauer schon immer gemacht hat und dann kriegen wir die Kartoffel, wie sie schon immer war oder es ist eben künstlich verändert. Wenn man dann jemand damit konfrontiert und sagt, okay wir haben eigentlich auch schon vor 2000-3000 Jahren in gewisser Weise Gentechnik betrieben, wenn wir Bier gebraut haben. Ist es auf der einen Ebene banal zu sagen, das ist Gentechnik, auf der anderen Ebene ist es aber genau das. Und da merkt man, dass wir als Menschen da eben immer in dieser Zwitterposition sind, dass wir selbst von Natur aus kulturelle Artefakte hervorbringen. Wir überformen und dementsprechend ist das zumindest auf der philosophischen Ebene sehr schwierig, da einen verlässlichen Wegweiser zu finden zwischen diese beiden Kategorien. Man müsste fairerweise sagen, sehr sehr vieles ist eigentlich so ein Zwitter aus natürlich und künstlich. In der Philosophie wird mitunter von Biofakten gesprochen, also nicht biologisch, auch kein Artefakt, sondern ein Biofakt, das wir da zwar eingegriffen haben und auch modifiziert haben, aber da eben auch noch sozusagen Lebenskräfte mit am Werk sind. Und das ist vielleicht auch eine adäquatere Kategorie, um Fragen der sogenannten Gentechnologie zu verhandeln und wir müssen uns dann letztendlich als Gesellschaft die Frage stellen, wollen wir das Ganze oder nicht? Und das muss auch die Gesellschaft entscheiden, denke ich, aber möglichst aufgeklärt. Und da fehlt es mir in den letzten Diskussionen auch um die Genomeditierung häufig auch an einem offenen Dialog über das, was es eigentlich heißt zu sagen, wir greifen hier gezielt ein und was sind eigentlich die Alternativen dazu? Und jedesmal, wenn Sie Verbrauchern, oder nicht jedesmal, aber sehr häufig, wenn Sie mit Verbrauchern reden, gibt es da einfach noch ein sehr sehr romantisiertes Bild von, was heißt Landwirtschaft eigentlich im 21. Jahrhundert? Und das stimmt natürlich auf ganzer Linie nicht. Die landwirtschaftlichen Betriebe sind hoch durchindustrialisierte Betriebe, angefangen vom Saatgut bis zum Traktor bis hin zu computergestützten Systemen, die weit eingesetzt werden und verschiedenen Pestiziden oder Pflanzenmitteln. Da stimmt was nicht mit der breiten Wahrnehmung. Und da würde ich mir wünschen, wenn wir weiter den offenen Diskurs suchen über derartige Fragen.

Tim Pritlove
0:44:09
Robert Ranisch
0:45:00

Ja.

Tim Pritlove
0:45:01
Robert Ranisch
0:45:34

Also ich würde Ihrer Diagnose da zustimmen. Ich denke, dass gerade diese Hochtechnologien, wie genetische Veränderung, sogenannte ???, dass sich mit den seit sie aufkam in den 70er Jahren immer wieder diese Hoffnungen, Ängste zugleich verbunden haben und das sehr sehr stark polarisierend. Und das rangiert dann von, das wird uns alle retten, zu, es wird uns alle töten. Und ich glaube, dass das dem Diskurs nicht gut getan hat, dass wir da weiter in diesen sehr sehr schwarz-weiß-Kategorien festhängen von den Heilsversprechen der Zukunft der Ernährung unserer Bevölkerung. Also nicht der deutschen Bevölkerung, sondern der globalen Bevölkerung. Hin zu, jetzt haben wir wirklich sehr sehr risikoreiche Technologien. Und ich denke, dass da eben auch wichtig ist zu sehen, es geht da nicht um solche ausgeprägten Revolutionen in der Landwirtschaft, die von heute auf morgen alle umkrempeln können, sondern es geht um Fragen von Ertragssteigerung von 10-20%. Und wir können aber momentan auch gar nicht genau absehen, ob das Ganze jetzt nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch und sozial, nachhaltig ist. Das Ganze sehen wir auch in Bezug auf die Anwendung am Menschen. Wir haben seit den späten 1980er Jahren, frühen 1990er Jahren haben wir die ersten Gentherapien, also Therapien mit der Genetik, wo Gene eingeschleust wurden damals noch in den menschlichen Körper. Und seitdem gibt es die Versprechen ja, sie könnten unser Leben verlängern, sie könnten Krebs heilen und so weiter. Man muss sagen, wir haben jetzt beinahe 30 Jahre später so gut wie keine Gentherapien auf dem Markt. Das Ganze waren Entwicklungen, die über viele Jahre laufen, das ist naturgemäß so, von denen aber sehr sehr wenige wirklich zu einem Ertrag geführt haben. Und da müssen wir, glaube ich, aufpassen, dass wir uns selbst nicht in der Illusion wiegen, dass wir jetzt die Lösung für alles gefunden hätten durch diese neuen Verfahren der Genomeditierung. Und das kann auch eine Mahnung sein, beispielsweise an unsere Sprache zu denken. Ich habe vorhin wie selbstverständlich von Genomchirurgie oder genetischen Skalpellen gesprochen, und da schwingt natürlich schon ein Vertrauensvorschuss mit, eine Präzision von diesen Werkzeugen, von denen gar nicht klar ist, ob sie überhaupt gegeben ist. Da gibt es sehr viel im Detail zu entdecken und da ist, glaube ich, wichtig, das im Hinterkopf zu behalten, dass wir da einen etwas nüchterneren Diskurs führen über diese Entwicklungen.

Tim Pritlove
0:47:56
Robert Ranisch
0:48:16
Tim Pritlove
0:49:18
Robert Ranisch
0:49:41
Tim Pritlove
0:49:42
Robert Ranisch
0:49:43
Tim Pritlove
0:49:44
Robert Ranisch
0:49:46
Tim Pritlove
0:50:02
Robert Ranisch
0:50:03
Tim Pritlove
0:50:07
Robert Ranisch
0:50:10
Tim Pritlove
0:51:26
Robert Ranisch
0:51:32
Tim Pritlove
0:52:30
Robert Ranisch
0:52:42
Tim Pritlove
0:52:54
Robert Ranisch
0:53:02
Tim Pritlove
0:54:16
Robert Ranisch
0:54:47

Ich wäre zunächst einmal vorsichtig mit solchen Einzelstudien. Was wir tatsächlich haben, ist, ein Problem in Bezug auf die Langzeitüberwachung von Nachkommen, die nach so einer künstlichen Befruchtung auf die Welt kamen. Und wir müssen es aber auch einordnen in den zeitlichen Kontext. Ich meine, wir haben jetzt diese künstliche Befruchtung, die IVF, seit 40 Jahren, die Zahl war natürlich in den ersten Jahrzehnten nicht so hoch wie es heute ist. Sagen wir mal, vermutlich sind die meisten nach IVF gezeugten Kinder irgendwann in den 90ern geboren, das heißt, die werden jetzt langsam junge Erwachsene. Es gibt einfach sehr wenige Studien darüber, ob das Ganze eine Langzeitwirkung haben könnte, dass da außerhalb des Mutterleibs gezeugt wurde, sei es durch epigenetische Faktoren oder sei es durch verschiedene Kulturmedien, die eingesetzt werden, um Eizelle und Samenzelle miteinander zu verschmelzen oder zu einer Befruchtung zu führen. Was wir momentan sagen können ist, es gibt da diese wirkliche Lücke, gerade auch auf andere Verfahren der assistierten Reproduktion, wo man nicht versuchte, gezielt Langzeitüberwachung einzuführen, was aber natürlich auch verständlich ist, weil welches Kind oder welche Person möchte schon über die 20-30 Jahre seines Lebens ständig als quasi Proband in so einem Humanversuch seine genetischen Daten rausgeben oder seine Gesundheitsdaten rausgeben. Da verliert einfach jeder auch das Interesse daran und da muss man auch vor einem forschungsethischen Standard sagen, jeder darf nein sagen bei solchen Experimenten. Auch wenn ich gezeugt wurde als Kind in so einer IVF, kann ich natürlich später sagen, ich möchte jetzt nicht mehr meine Informationen mit Ihnen teilen. Und ich glaube, das ist auf der einen Seite ein ganz reales Phänomen, auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, ist gerade die Technik in Bezug auf Reproduktion sehr sehr schlecht reguliert. Es hat kürzlich ein Humangenetiker in einem Journal ein Editorial geschrieben, in dem er meinte, naja die Kulturmedien, die wir nutzen in unseren Laboren für die künstliche Befruchtung, die sind schlechter deklariert als jede Packung Erdnussbutter im Supermarkt.

Tim Pritlove
0:56:53
Robert Ranisch
0:56:55
Tim Pritlove
0:57:05
Robert Ranisch
0:57:07
Tim Pritlove
0:57:08
Robert Ranisch
0:57:08
Tim Pritlove
0:58:11
Robert Ranisch
0:58:26
Tim Pritlove
0:58:42
Robert Ranisch
0:58:44

Epigenetik das sind Regulationsmechanismen, die zur Aktivierung und Deaktivierung von Genen führen können. Das ist ein recht neuer Zweig in der Forschung, der entdeckt wurde, dass man heraus bekam, naja, obwohl wir jetzt die Genetiker recht gut verstanden haben, verstehen wir immer noch nicht so richtig, wie sich genetisch eigentlich was ausprägt und dann merkte man sozusagen, es gibt da noch eine zweite Ebene, eine epigenetische Ebene, dass Gene an- und ausgeschaltet werden können, und das kann durch Umwelteinflüsse zum Beispiel eben ein Kulturmedium erfolgen und da gibt es verschiedene Theorien, dass, dadurch dass es außerhalb des Mutterleibs eben zur Zeugung kommt, da andere epigenetische Mechanismen wirken könnten. Aber wie gesagt, da sind wir momentan noch sehr in den Anfängen zu verstehen, ob es da vielleicht bedenkliche Konsequenzen gibt. Was man sagen kann, ist, nach 40 Jahren, die IVF ist in der Regel gilt sie als sicher. Es gibt die Abstriche von Kohortenstudien, wo man sagt, okay da gibt es eine erhöhte Rate an Fehlbildungen in manchen Verfahren der assistierten Reproduktion, bei anderen nicht, aber wie gesagt, sie gilt generell erst einmal als sicher. Was vielleicht bedenklicher ist, sind mögliche Nebenwirkungen, die das Ganze auf die Schwangere haben kann, weil man natürlich für eine assistierte Reproduktion an die Eizellen der potenziell Schwangeren herankommen muss. Dafür wird in der Regel hormonell stimuliert und da wird mitunter davon gesprochen, dass das Ganze mit Risiken für die Schwangere in Verbindung stehen kann. Aber das ist ein anderes Thema.

Tim Pritlove
1:00:12
Robert Ranisch
1:00:38
Tim Pritlove
1:01:57
Robert Ranisch
1:02:55

Genau, vermutlich gibt es da kein richtig oder falsch, was zumindest für alle Verbindlichkeit beanspruchen kann. Was wir sehne ist, seit den frühen 90er Jahren gibt es diese Möglichkeiten der Embryonenselektion und in einigen Ländern, wo sie eher lax reguliert wurde, finden sich Ausprägungen, dass Sie heute zum Beispiel in den USA Fortpflanzungskliniken finden, die selektieren Ihnen auch Embryonen anhand ihrer Augenfarbe. Das heißt, Sie können ein Angebot dazu buchen für, sagen wir, 500 US-Dollar und dann können Sie nicht nur Krankheiten ausschließen, sondern auch sagen, okay ich hätte gern auch ein Kind, was blaue Augen hat. Das sind in der Regel private Kliniken, die sehr sehr wenigen Regularien unterliegen. Das Ganze hat nicht sehr viel zu tun mit dem, was klinische Realität ist und was in Deutschland besprechen, da geht es wirklich darum, dass sehr schwere Erbkrankheiten ausgeschlossen werden sollen, die Weitergabe von diesen Erbkrankheiten. Das betrifft auch häufig Fälle von Paaren, die mitunter schon erkrankte Kinder haben. Weil meist wissen ja Paare auch gar nicht, dass sie in ihrer genetischen Kombination entsprechende Krankheitsrisiken weitergeben könnten. Und das wird dann im Einzelfall in Deutschland momentan entschieden, ob das Ganze zulässig ist oder nicht. In Großbritannien beispielsweise sind momentan etwa 500 genetische Faktoren zugelassen, auf die selektiert werden darf. Das sind zum großen Teil auch sehr schwere Erbkrankheiten, aber zum Beispiel auch die Veranlagung für Brustkrebs, dass wir also nur von einem genetischen Risiko sprechen, dass wir sagen können, okay dieses Kind hat eine erhöhte Wahrscheinlichkeit irgendwann mal an Brustkrebs zu erkranken. Oder auch Krankheiten, wie frühmanifestierendes Alzheimer, wo man sagen würde, da haben wir jetzt ein Krankheitsbild, was zumindest den Patienten die ersten 30 Jahre ein ganz normales Leben geben würde, bis es dann vermutlich irgendwann mal manifest wird, diese Alzheimer-Erkrankung. Auch gegen derartige Faktoren darf mitunter in Großbritannien selektiert werden. Deutschland ist da momentan wie gesagt sehr restriktiv auf der globalen Landkarte, muss man sagen.

Tim Pritlove
1:04:58
Robert Ranisch
1:05:27

Ja, tatsächlich kommen eine ganze Reihe von Forschern zu diesem Ergebnis, dass sie sagen, warum sollten wir jetzt eigentlich in Zukunft noch selektieren, wenn wir denn gezielt eingreifen können? Und da kommt dann das Szenario auf, dass wir sagen, ja die Genschere, ein CRISPR an Embryonen könnte dann doch vielleicht diese Mutation zielgenau verändern, so dass das Kind gesund geboren wird. Das Ganze, muss man sagen, ist momentan noch sehr spekulativ und vermutlich wird es so nicht funktionieren und ich sage Ihnen auch gleich warum. Vielleicht noch ein Hintergrund, wir haben jetzt erst seit drei Jahren Embryonen genetisch verändert, aber nur in der Grundlagenforschung. Das heißt, keiner dieser Embryonen wurde bisher in einen Mutterleib übertragen. Das Ganze begann alles vor drei Jahren 2015 mit einem chinesischen Forschungsteam, was zum ersten Mal diese sogenannte rote Linie der Keimbahntherapie überschritten hat. Keimbahntherapien sind solche Eingriffe an Embryonen. Warum spricht man hier von einer roten Linie? Weil die Veränderungen, die genetisch vorgenommen werden, die sind vererbbar. Das ist eine ganz eigene Form von Gentherapie, die da erfolgt, dahingehend, dass eben nicht nur das Kind, was sich aus dem Embryo entwickelt, sondern auch noch die Kindeskinder diese entsprechende Veränderung in sich tragen könnten und damit aber eben auch mögliche Fehlschläge einer solchen Veränderung, also die Nebenwirkung einer Genomeditierung würden in nachfolgenden Generationen manifest. Deshalb galten Keimbahntherapien bisher als, viele sprechen von einem Rubikon der Wissenschaft, der nicht überschritten werden darf. Das ist gebröckelt, diese Mauer sozusagen. 2015 gab es die ersten Versuche. Das führte dann Ende des Jahres dazu, 2015, dass man sich kurz vor Weihnachten darum verständigte, eine Art freiwilligen Forschungsstopp einzuziehen. Damals kamen in Washington die US-amerikanischen Wissenschaftsakademien überraschenderweise zusammen mit den chinesischen, auch Vertreter der DFG aus Deutschland waren dabei, der Royale Society kamen zusammen und haben auf einem großen Symposium versucht, ethische Leitlinien aufzustellen, wie mit solchen Möglichkeiten der Veränderungen von Embryonen umgegangen werden soll. Sie kamen dabei zu einem Abschlussdokument und in dem hieß es, momentan darf nicht, sollte nicht weiter geforscht werden. Bis, Bedingung Nummer 1, wir wissen, dass es sicher ist und Bedingung Nummer 2, sich die Gesellschaft auf Grenzen verständigt hat. Ganz bewusst wurde hier von der Gesellschaft gesprochen, dass wir quasi einen internationalen Diskurs brauchen, um auszuhandeln, wollen wir eigentlich genetisch veränderte Menschen haben sozusagen? Die Geschichte wäre jetzt noch etwas länger und ich will sie gar nicht so im Detail erzählen, die Pointe war, zeitgleich kam es bereits zu Zulassungsverfahren in Großbritannien, dass man Grundlagenforschung an Embryonen mit CRISPR durchführte. Es kam in Schweden dazu, dass sie zugelassen wurden, es kam in den Vereinigten Staaten dazu, dass 2017 Embryonen verändert wurden und in China gab es seitdem auch etwa eine Hand voll Experimente. Das heißt, dieser vermeintliche Forschungsstopp, den es einmal gab, war überaus ineffektiv, er wurde bereits einige Monate später gerissen. Es gibt seitdem etwa 10-15 Versuche mit Embryonen. Was hat man gemacht? Man hat versucht, schwere Erbkrankheiten auszuschließen, etwa die Sichelzellenanämie oder Betataläsemie???. Man hat aber auch, und das ist ganz beachtlich, versucht, Mutationen einzubringen in Embryonen und hat so beispielsweise Embryonen erzeugt, die resistent waren gegen das HI-Virus. Das heißt, wenn die ausgetragen würden, könnten die nicht an Aids erkranken, so die Hoffnung. Und hat damit quasi nicht nur eine klar therapeutische Zielstellung erforscht, sondern sozusagen eine Art Präventive, eine Art Impfung gegen Aids hat man versucht, an diesen Embryonen durchzuführen. Momenten wie gesagt gibt es noch keinen Versuch, das Ganze in die klinische Anwendung zu überführen, also diese Embryonen in den Mutterleib zu übertragen, weil man eben auch immer wieder Fehlschläge sieht. Man merkt, diese Genscheren schneiden nicht so genau, wie man sich das erhofft. Es kommt zu sogenannten Off-Target-Effekten, also außerhalb der Zielstelle wird geschnitten. Dennoch gibt es nicht wenige, die sagen, das ist nur noch eine Frage der Zeit. Wir werden vermutlich in den nächsten Jahren irgendwann in den Medien lesen, das erste Kind ist geboren, was als Ergebnis einer solchen Genomeditierung, einer Keimbahnveränderung gezeugt wurde. Nun zurück zu der Frage. Kann das einmal die Präimplantationsdiagnostik, also die Embryonenselektion ersetzen? Ich denke nein, aus folgendem Grund. Auch wenn wir davon ausgehen, dass diese Genscheren einmal sehr sehr genau arbeiten könnten, tun wir gut daran, dass wir kontrollieren, ob sie wirklich so gut und zuverlässig geschnitten haben, wie wir uns das erhoffen, und dafür brauchen wir wiederum eine genetische Diagnose von dem Embryo. Und das kann heißen, dass wir den Embryo danach wieder ausselektieren, wenn wir merken, die Genscheren haben nicht gut gearbeitet. Zugleich sollten wir, bevor wir Genom editieren an einem Embryo, wissen, was der überhaupt für ein Erbgut trägt, weil vielleicht ist der ja gar nicht betroffen von der entsprechenden Erbkrankheit und dann würden wir ganz sinnlos dort mit diesen Genscheren hineingehen. Dafür brauchen wir auch wieder eine Gendiagnostik. Und wenn wir dann merken, ach der Embryo ist ja gar nicht betroffen, dann ist die Frage, warum sollten wir die Genscheren überhaupt noch einsetzen, weil dann können wir auch die vermeintlich gesunden Embryonen gleich übertragen. Oder wir merken, er ist betroffen und dann können wir die Genscheren anwenden, aber dann müssen wir wie gesagt im zweiten Schritt noch einmal schauen, ob sie überhaupt gewirkt haben. So oder so …

Tim Pritlove
1:11:11
Robert Ranisch
1:11:13
Tim Pritlove
1:11:23
Robert Ranisch
1:11:59
Tim Pritlove
1:13:08
Robert Ranisch
1:13:11
Tim Pritlove
1:13:12
Robert Ranisch
1:13:13

Das sind die Körperzellen, das ist die Veränderung der Körperzellen von einem Patienten im Vergleich zu diesen Keimbahnzellen, die vererbbar sind. Und damit verbinden sich momentan eine ganze Reihe von Hoffnungen, dass daraus neue therapeutische Entwicklungen heraussprießen könnten sozusagen. Zugleich, wie vorhin schon einschränkend gesagt, wir haben solche Gentherapien schon seit den frühen 90er Jahren, ohne dass sie bisher wirklich eine breite Anwendung gefunden haben oder auch ein spannendes Phänomen, was zu beobachten ist, dass die Entwicklung von solchen Gentherapien mitunter so teuer waren, dass diese Gentherapien zum Teil auch auf den Markt gebraucht wurden, allerdings vielleicht eine Million Euro für eine Einmaldosis gekostet haben, so dass es dafür keinen realen Markt gab, weil keine Versicherung das bezahlen wollte. Und dann waren sie zwar entwickelt worden, aber wieder vom Markt genommen. Und da muss man momentan aufpassen, da auch zu viel zu versprechen in Bezug auf das, was denn die Genomeditierung am Patienten einmal leisten kann. Und zweitens muss man zugleich auch sagen, wir reden zwar alle von dieser vermeintlich präzisen Genomchirurgie, von dem Genskalpell, was da angesetzt wird, ein großes Problem ist aber weiterhin, an den richtigen Ort zu kommen, um diese Genscheren wirken zu lassen. Es ist bisher keineswegs risikolos möglich, diese Gentherapien zur Anwendung, diese neuen Genomeditierungen zur Anwendung zu bringen. Und man muss ganz nüchtern auch sagen, wenn man in den letzten Monaten verfolgt, wie die Forschung aus den Laboren neue Hoffnungen, aber eben auch Risiken, streut, dass wir nüchtern sagen müssen, wir haben da noch nicht sehr viel verstanden in Bezug auf das, was eigentlich die Chancen und Risiken von diesen CRISPR-Genscheren sind. Um Ihnen 1-2 Beispiele zu geben, im letzten Jahr gab es eine vielbeachtete Studie, da hat man eine solche Genomeditierung an Mäusen vorgenommen und merkte später, oh diese Mäuse, da hat es an ganz ganz vielen Stellen editiert, wo es nicht editieren sollte und da war CRISPR totgesagt für 1-2 Wochen. Man merkte dann später, das kann nicht reproduziert werden diese Versuche. Dieses Jahr merkte man, CRISPR war ja eigentlich auch so ein Abwehrmechanismus gegen Viren, vielleicht könnten Patienten ja auch sozusagen einen Immunität oder Immunreaktion auf CRISPR auslösen. Und es zeigte sich tatsächlich, manche Patienten können vermeintlich oder manche Gewebeproben können vermeintlich eine Immunreaktion auslösen, schon war CRISPR wieder tot. Zwei Wochen später ist es wieder auferstanden. Jetzt hat sich gezeigt, CRISPR scheint zu einer Aktivierung eines Enzyms zu führen, was uns in der Regel vor Krebs schützt. Das heißt, es könnte sein, dass eine CRISPR-Genomeditierung selbst dazu führt, dass wir anfälliger sind für die Ausbildung von Krebs und schon war wieder CRISPR totgesagt, zwei Wochen später ist es wieder auferstanden. Ich erzähle diese Anekdoten nur, um zu sagen, da ist momentan wirklich sehr sehr viel auf und ab in der Community mit dabei und gerade das, was in den Medien dann rausdringt aus den Laboren ist eine ständiger Untergang und Auferstehung dieser Genscheren. Wiederum ich glaube, dahinter verbirgt sich momentan noch ein großes Fragezeichen, dass wir eben wirklich die Entwicklung nicht genau absehen können und da auch mit einer gewissen Offenheit, aber auch Nüchternheit vielleicht drangehen sollten und schauen, was die zukünftigen Entwicklungen bringen, aber da eben auch nicht versuchen, in dieses Wettrennen mit hineinzusteigen, weil soweit können wir sehen, da wird es keine Gewinner geben. Wenn wir Anwendungen versuchen, vorzeitig in die Klinik zu bringen. Und vielleicht noch als Hintergrund, die Entwicklung der Gentherapien, die es bisher gab, die wurden durch einen tragischen, man kann gar nicht sagen Unglücksfall, weil es war auch medizinisches Versagen, wurde gestoppt, nämlich Ende der 90er Jahre mit dem bekannten Fall von Jesse Gelsinger. Das war eine Person, ein 19-jähriger US-Amerikaner, an dem eine solche experimentelle Gentherapie durchgeführt wurde. Er ist daraufhin gestorben, als Folgen dieser Gentherapie und er hatte keineswegs eine Erkrankung gehabt, die ihm sein Leben unmöglich gemacht hätte. Er hätte im wesentlichen ein Leben lang Diät halten müssen und er war aber betroffen von dieser entsprechenden Krankheit, gegen die therapiert werden sollte. Und da merkt man wieder, es ist eben nicht nur eine Wunderwaffe, es ist auch ein sehr sehr gefährliches Werkzeug. Heute reden wir natürlich von anderen Ansätzen, aber im Prinzip sind sie weiterhin hochrisikoreich für Probanden und dementsprechend müssen sie auch behandelt und reglementiert werden.

Tim Pritlove
1:17:41
Robert Ranisch
1:18:29

Wir sind ja hier wie gesagt an der medizinischen Fakultät, das heißt, unser Augenmerk gilt der Anwendung am Menschen. Man kann gerade auch aufgrund der Möglichkeiten, Grenzen zu überschreiten durch die Genomeditierung, weil wir haben ja da ein Werkzeug, was uns erlaubt, an allen Lebewesen Veränderungen vorzunehmen, kann man nicht immer einschränken, das Ganze ist jetzt eine klar humane Anwendung oder außerhumane Anwendung. Aber unser Fokus gilt insbesondere den somatischen Gentherapien, also den Körperzellen- und den Keimbahntherapien und darüber hinaus auch noch anderen gesundheitsbezogenen Anwendungsgebieten der Genomeditierung. Was wir hier machen ist, dass wir seit 2017 mit der Forschungsstelle Ethik der Genomeditierung, die durch den deutschen Stifterverband gefördert wird, versuchen, langfristig ethische, soziale und rechtliche Fragen, die sich aus der Entwicklung solcher Technologien ergeben, ethisch zu reflektieren, aber auch in die Öffentlichkeit hinaus zu kommunizieren. Und da sind wir jetzt seit etwa einem Jahr dabei. Um Ihnen ein Beispiel zu geben, jetzt gerade Mitte dieses Jahres haben wir ein Gutachten im Auftrag des Büros für Technikfolgeabschätzung beim deutschen Bundestag verfasst, eben genau zu diesen Fragen der Keimbahntherapie, ob die in Deutschland zulässig sein darf oder nicht? Momentan ist sie das nicht nach dem Embryonenschutzgesetz. Da gibt es aber einige, die sagen, das müssen wir überarbeiten, weil wir auch solche Forschung an Embryonen erlauben wollen. Dafür haben wir jetzt gerade ein Gutachten erarbeitet, wir sind recht rege dabei, mit öffentlichen Workshops, auch Bürgerdialogen zu versuchen, eine breitere Diskussion anzustoßen über ethische Fragen der Genomeditierung und daneben machen wir natürlich ganz klassische Grundlagenforschung in der Medizinethik, dass wir über die ethischen, rechtlichen Herausforderungen reflektieren, die sich damit verbinden können mit solchen Entwicklungen.

Tim Pritlove
1:20:20
Robert Ranisch
1:21:27

Ja. Das spielt auf verschiedenen Ebenen eine Rolle. Um Ihnen ein Beispiel zu geben, was vielleicht am greifbarsten ist und auch medizinbezogen, das ist die sogenannte Anwendung der Gene Drives. Gene Drives sind eine Art Werkzeuge, die auch erst durch die Genomeditierung möglich wurden, die es erlauben, eine Art Vererbungsturbo in Organismen einzubringen. Ich erzähle Ihnen, was das heißt. Wir haben global gesehen eine große Krankheitslast durch Infektionskrankheiten. Eine der häufigsten Infektionskrankheiten ist Malaria mit über 200 Millionen Malariafällen pro Jahr, mit beinahe 50 Millionen Todesfällen pro Jahr als Folge von Malaria. Und nun ist die Frage, können wir vielleicht diese neuen Möglichkeiten der Genetik, der Biologie nutzen, um hier Ansätze zu entwickeln, die es erlauben, Malaria auszurotten als Krankheit, ähnlich wie wir es mit anderen Krankheiten in der Vergangenheit geschafft haben. Und da gibt es einen sehr spannenden Ansatz und das ist dieser Gene Drive-Ansatz und der schaut, was ist eigentlich die Ursache des Problems? Die Ursache ist die Anopheles-Mücke, also eine Mücke, die Malaria überträgt. Und nun ist die Idee so simpel wie bestechend, wenn wir diese Mücke loswerden könnten, könnten wir damit vielleicht auch die Krankheitslast von 200 Millionen Ansteckungen mit Malaria im Jahr loswerden und der Krankheit quasi ein Schnippchen schlagen und das effektiver als durch bisherige Verfahren, nämlich Insektizide oder das Trockenlegen von Gebieten, wo diese Malaria-Mücke wohnt. Und was man momentan versucht und das hat ganz überraschend gut funktioniert bisher in den Laboren, ist, dass man beispielsweise männliche Anopheles-Mücken auf eine Art und Weise verändert, dass sie ein Gen vererben, was die nächste Generation unfruchtbar macht, aber noch mehr, sie haben nun eben diesen sogenannten Vererbungsturbo mit eingebaut, der dafür sorgt, dass dieses Gen sich ganz ganz kräftig ausbreitet in der Population und so haben Sie nach drei oder vier Generationen von Anopheles-Mücken dieses Gen bei allen Mücken.

Tim Pritlove
1:23:45
Robert Ranisch
1:23:48
Tim Pritlove
1:24:06
Robert Ranisch
1:24:09
Tim Pritlove
1:24:34
Robert Ranisch
1:24:48
Tim Pritlove
1:25:11
Robert Ranisch
1:25:14
Tim Pritlove
1:25:28
Robert Ranisch
1:25:31

Man rottet die Mücke damit sozusagen aus, aber damit eben auch den Überträger von Malaria. Und das Ganze, diese Idee von Gene Drives, die ist mittlerweile schon etwa 15 Jahre alt, aber jetzt erst kürzlich hat man geschafft, durch CRISPR das eben so zu designen, dass diese halbwegs zuverlässig funktionieren, halbwegs heißt, man hat es bisher hauptsächlich im Labor unter Laborbedingungen versucht, weil es verbinden sich natürlich auch sehr sehr viele Gefahren, muss man sagen, mit einem Freifeldversuch, weil so eine Anopheles-Mücke kann man eben nicht wieder zurückrufen, die fliegt dann natürlich rum. Und man hat da zurecht Bedenken, was das mit einem Ökosystem machen könnte. Um Ihnen ein Beispiel zu geben, 2015 hat man das erstmals mit verschiedenen Fliegenarten versucht, dass man diese zu Testzwecken gelblich gefärbt hat. Man hat mit diesen Gene Drives es geschafft, dass die Population im Labor dann irgendwann diesen leicht geblichen Ton hatte und man hat berechnet, dass innerhalb eines Jahres, wenn nur eine Mücke entkommen wäre aus dem Labor, etwa ein Fünftel der Mückenpopulation weltweit auch diese Gelbfärbung tragen könnte. Das war eine Hochrechnung, ob das passiert wäre, man weiß es nicht. Aber das deutet nur an, was da die Sicherheitsrisiken sind. Aus diesem Grund wurde diese Gene Drive-Technologie bzw. CRISPR auch von hohen Offiziellen der Sicherheitsdienste in US-Amerika als eine Massenvernichtungswaffe gerechnet. Weil man könnte sich ja auch vorstellen, was könnte so ein Gene Drive machen, wenn sie ihn nutzen, um einen möglichst tödlichen Bazillus zu entwickeln. Das Ganze ist momentan Science Fiction, aber eben nicht nur, weil technisch gesehen könnte das möglich sein, und dementsprechend sind da Informationssicherheitsdienste da hinterher, das Ganze auch zu überwachen, auch mit zu finanzieren, dagegen zu entwickeln. Aber zurück zu der Frage von Ihnen, mit solchen Gene Drives ist es möglich, dass Sie in gesamte Ökosysteme eingreifen und damit eine Art zum Aussterben bringen. Spannenderweise geht auch genau das Gegenteil mit CRISPR. Da es eine ganze Reihe von Forschungsprojekten, die eben nicht nur Arten aussterben lassen wollen, sondern die Arten wiederbeleben wollen. Um Ihnen ein Beispiel zu geben, Anfang des Jahres ging die Nachricht rum, dass dieses Breitmaulnashorn, der letzte Bulle, gestorben ist, das heißt, wir haben jetzt gerade, ich glaube, noch zwei Weibchen weltweit, die Population wird damit aussterben, weil es gibt eben keine Nachkommen. Die Überlegung ist nun, naja wir haben ja normale Nashörner und wenn man jetzt normale Nashörner mit Genomediting so verändern könnte, dass sie im wesentlichen geboren werden als Breitmaulnashorn, könnte man die bestehenden Kälber damit eben zu einer weiteren Familienplanung von Breitmaulnashörnern motivieren, weil man hätte wieder Spendersamen. Ähnlich funktioniert es mit einem groß angelegten Projekt, was für sich beansprucht, das Mammut wieder zu beleben. Und da gibt es Crowdfunding-Kampagnen, eine ganz Reihe, die sagen, ja wir haben genügend eingefrorene Mammuts irgendwo gefunden, wir kommen an die Erbanlagen, an die DNA, von Mammuts ran, jetzt geht es nur noch darum, dass wir entsprechend Elefantenembryonen auf eine Art und Weise verändert müssten und dann könnten wir einen Jurassic Park wiederbeleben. Der ist im Übrigen auch schon angemietet, nämlich in Russland. Hat auch noch einen sehr spannenden Nebeneffekt, zumindest die Macher von diesem Pleistozän-Park, wie er sich nennt, die erhoffen sich durch die Mammuts, dass diese die Permafrostböden verdichten könnten und so zugleich noch einen Vorteil für den Klimaschutz.

Tim Pritlove
1:29:04
Robert Ranisch
1:29:06
Tim Pritlove
1:29:07
Robert Ranisch
1:29:12

Aber so wird es zumindest mit beworben. Und tatsächlich, es gibt auch mittlerweile eine eigene Agentur in US-Amerika, die sich um die Wiederauferstehung von ausgestorbenen Arten bemüht. Und das sind dann in der Regel Arten, die eben durch menschliches Zutun ausgestorben sind. Ein anderes Beispiel ist die Wandertaube oder auch der Pyrenäensteinbock, die sind mittlerweile ausgestorben, weil sie im Fall der Wandertaube exzessiv bejagt wurden, etwa vor 100 Jahre. Man versucht jetzt, durch die Veränderung von Tauben eben diese Wandertauben wiederzubeleben. oder der Pyrenäensteinbock wurde bereits in den 2000ern, ich glaube, 2003 oder 2004 wurde er bereits schon einmal geklont, ist wieder auferstanden, ist wieder ausgestorben, weil der Klon nicht überlebt hat. Da haben Sie quasi ein Tier, was zweimal ausgestorben ist, das ist auch eine Premiere. In gewisser Weise traurig, aber Sie sehen, in welche Richtung das geht. Das ist eben die Vorstellung von einer sehr ausgeprägten Naturgestaltung und auch eine Form von – man würde es wahrscheinlich auf englisch – Solutionism??? nennen. Dass wir Technologien einsetzen, um Probleme zu lösen, die wir durch Technologien hervorgerufen haben. Und gerade wenn es dann eben darum geht, dass wir sehr sehr invasiv in Ökosysteme eingreifen, sei es, indem wir Arten ausrotten und da ist die Anopheles-Mücke nicht die einzige, es geht auch ums Ausrotten von beispielsweise Nagetieren auf Inselpopulationen???, die wir einmal eingeschleppt haben und die für lokale Vögel eine Bedrohung sind, da gibt es auch entsprechende Versuche, dass wir hier gesamte Populationen ausrotten oder neue Arten erschaffen, müssen wir natürlich zugestehen, dass wir da sehr sehr wenig wissen können momentan, was das mit einem Ökosystem macht. Und da sehe ich auch weiterhin auf der Forschungsebene einen ausgeprägten Reflexionsbedarf, aber eben auch auf der Ebene der – nennen wir es ganz platt – Bürgerbeteiligung. Weil wenn es darum geht, dass solche Anopheles-Mücken irgendwo in Zentralafrika ausgesetzt werden, haben dann natürlich auch Menschen vor Ort ein Wörtchen mitzureden. Und da müssen sich ausgeprägtere Bemühungen zeigen als momentan, dass man da versucht, offene Bürgerdialoge über derartige Fragen auch zu finden. Und die natürlich nicht eingeschränkt sein können auf einzelne Regionen, weil wir das Ganze per Definition nicht auf eine Stadt begrenzen können.

Tim Pritlove
1:31:30
Robert Ranisch
1:32:32

Auf jeden Fall, also gerade der gesamte Bereich der Gendiagnostik ist etwas, wo wir momentan zahlreiche Entwicklungen sehen, die alle mit sehr vielen ethischen Fragen verbunden sind, die wir hier auch reflektieren. Um Ihnen ein Beispiel zu geben, seit der sogenannten Entschlüsselung des menschlichen Genoms, also durch das Humangenomprojects zwischen 1990 und 2003, können wir sagen, okay, das menschliche Genom ist so und so aufgebaut. Das ist aber nicht mal die halbe Miete. Tatsächlich müssten wir wissen, welche einzelnen Genabschnitte korrelieren mit verschiedenen Phänotypen, also Ausprägungen mit Eigenschaften, die wir haben, sei es gesundheitsbezogener Natur oder nicht. Und da hat man in den letzten Jahren doch eine ganze Reihe von Fortschritten zu verzeichnen, dass man über die Sequenzierung des menschlichen Genoms zunehmend meint, Aussagen treffen zu können über einzelne Mutationen, die mit Krankheiten, mit Krankheitsrisiken, aber vielleicht auch mit nicht krankheitsbezogenen menschlichen Eigenschaften in Verbindung stehen. In Ländern, in denen das Ganze sehr lax reguliert ist, wie zum Beispiel den Vereinigten Staaten, finden Sie nun einen sehr ausgeprägten Markt von Anbietern, die potentiellen, ich möchte sie nicht mal Patienten, sondern eher Kunden nennen, Kunden es ermöglichen, privat ihr Genom sequenziellen zu lassen. Das Ganze kann ich von zu Hause aus machen. Ich bestelle mir dann ein kleines Röhrchen, in das spucke ich rein, schicke das zurück an ein Labor, dann wird das sequenziert und dann bekomme ich ausgewertet auf mein Smartphone oder auf einer Internetplattform nicht nur, wo vielleicht meine Wurzeln her sind, also genetisch gesehen wo ich herkomme, sondern eben auch, was für Krankheitsrisiken ich in mir trage, dass ich einmal an diesen oder jenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen erkranken könnte, aber auch und das ist der Bogen zurück zur Reproduktion, was ich denn für ein genetisches „Potenzial“ haben könnte, Nachkommen zu zeugen. Und hier finden Sie mittlerweile zum Beispiel Apps auf dem Markt, also wirklich für Ihr Smartphone, die erlauben es Ihnen, dann gemeinsam mit Ihrem Partner einen solchen Test durchzuführen und dann kriegen Sie vorgerechnet, ja, Sie haben eine so und so hohe Wahrscheinlichkeit, ein gesundes Kind zu bekommen. Sie haben eine Wahrscheinlichkeit, die so und so hoch ist, dass Ihr Kind diese oder jene Hautfarbe, diese oder jene Augenfarbe haben wird und so weiter. Und da sehen wir gerade eine sehr zunehmende, könnte man sage, Genetisierung von Lebensphänomenen im Bereich auf die Fortpflanzung, die sich aber eben auch bei den Individuen sehr sehr weit auswirken könnten auf Fragen der Lebensführung. Weil natürlich macht das etwas mit einem, wenn sie statistisch hübsch aufbereitet, das sieht dann meist grafisch sehr schön aus, sehen, Sie haben ein so und so viel erhöhtes Risiko, dass Sie einmal an Prostatakrebs erkranken könnten. Da ist dann zum einen die Frage für viele, was machen sie mit diesen Informationen, weil wir alle haben ein sehr hohes Risiko, einmal zu sterben, das ist schon mal gesetzt. Die Frage ist dann eher, okay was sind jetzt die möglichen absoluten oder relativen Risiken, die bei mir erhöht sind? Möchte ich das überhaupt wissen? Erfahre ich da vielleicht was, was nicht nur mich selbst betrifft, sondern auch noch meine Anverwandten betrifft, weil es kann ja natürlich sein, dass die Mutation, die ich trage, auch meine Schwester tragen könnte und so weiter. Und was hat das Ganze dann für einen Einfluss auf meine Lebensplanung? Das vielleicht flagranteste Beispiel, was auch medial sehr breit verhandelt wurde, war der Gentest, den Angelina Jolie hat machen lassen bei sich, bevor sie sich zu der Entfernung ihrer Brüste entschieden hat. Weil sie hat eine Mutation getragen, die ist bekannt dafür, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit zu Brustkrebs oder Gebärmutterhalskrebs führen kann und sie hat daraus die Konsequenz geschlossen, sie möchte gern dieses Risiko selbst für auf diese Art und Weise gemanagt haben. Das ist aber nur eine mögliche Geschichte, die man erzählen könnte, es gibt auch andere Arten und Weisen mit einem solchen Risiko umzugehen, es hat aber zugleich für viele suggeriert, es ist für mich als Person das einzig richtige, verantwortungsbewusst über meine Gene so viel wie möglich zu erfahren und dann daraus eine Konsequenz zu ziehen, die möglichst risikominimierend ist. Aber das wie gesagt ist eine Frage, die berührt noch ganz andere Bereiche, außer diese sehr direkte Entscheidung, die da getroffen wurde. Und ich glaube, hier gibt es auch für die Ethik sehr viel zu tun, was da diese Konsequenzen auf einer gesellschaftlichen Ebene von diesem Genomsequenzierungsverfahren ausmacht.

Tim Pritlove
1:37:18
Robert Ranisch
1:37:33

Genau, das wäre eine der möglichen Strategien gewesen. Was wir momentan sehen können, auch mit Blick auf die Firmen, die das anbieten, ist einfach, dass sie mit einer trügerischen Sicherheit versuchen, einen Markt für sich zu erobern, dass die Werbeclips, die beispielsweise geschaltet sind, das ist gar nicht so wenig in den entsprechenden Ländern, wo die zugelassen sind, eben suggerieren für Personen, es ist für mich in meinem eigenen Interesse, das allerbeste selbstverantwortlich für meine Genetik zu sein, das heißt, ich muss möglichst viel wissen. Und dieses möglichst viel wissen ist eben nur ein Konzept, was man auch neben anderen Konzepten haben kann, wie man mit seinen möglichen Lebensrisiken umgeht. Hinzu kommt, dass sehr viel von dem, was da auf den Markt geworfen wird momentan, eher keiner wissenschaftlichen Prüfung standhalten würde, muss man sagen. Weil häufig gar nicht klar ist, wie kommt man eigentlich zu diesen Einsichten über, da ist jetzt ein genetisches Risiko oder vielleicht auch ein genetisches Potenzial da. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen, es gibt seit einer ganzen Weile schon Tests, die meinen, vorhersagen zu können, wie meine Intelligenz sich ausprägt im Vergleich zu anderen Personen in meiner Kohorte. Das Ganze könnte theoretisch auch auf Embryonen angewandt werden, es gibt Neugeborenen-Screenings, die können bis zu 500 Faktoren erfassen, alleine fünf Faktoren für die Entwicklung von Haaren, also etwa Glatzenbildung, Haarfarbe, Haardicke, Lockigkeit und so weiter und da werden einfach extrem viele Informationen generiert, die eine trügerische Machbarkeit suggerieren, nämlich als könnten wir 1:1 vorhersehen, was denn die Genetik mit uns macht. Und das ist eine Form von Determinismus, der nicht nur wissenschaftlich falsch ist, sondern der auch gefährlich sein kann. Weil indem wir suggerieren, dass wir so einen Einfluss, so eine Steuerbarkeit von Genetik, von unsren Erbanlagen hinbekommen können, schaffen wir zugleich auch Verantwortungsräume. Weil dann bin ich auf einmal dafür verantwortlich, wenn ich eben nicht interveniere, obwohl ich weiß, dass ich doch dieses oder jenes hätte. Analog dazu könnten wir fragen, wenn heute Eltern ihren neugeborenen Kindern zum Beispiel eine Bluttransfusion verweigern würden, wenn sie eine Bluttransfusion brauchen, weil die Eltern zum Beispiel Zeugen Jehovas sind, kann das Ganze ein Fall sein für die Staatsanwaltschaft. Warum nicht auch sagen in der Zukunft zu Eltern, von denen wir wissen, ihr habt schlechte Gene, wenn ihr euch fortpflanzt, wollen wir das auch nicht als Gesellschaft. Das wäre ein analoger Fall, dass wir auf einmal von dieser Vorstellung von genetischer Machbarkeit, neue Verantwortungsräume kreieren, das setzt sich natürlich auch fort bei Fragen des Versicherungsschutzes, wieviel muss ich eigentlich für meine Versicherung bezahlen, wenn ich doch eigentlich weiß, dass ich dieses und jenes Risiko habe, aber nicht so oder so präventiv dagegenwirke. Und dieses Schaffen von neuen Verantwortungsräumen oder vermeintlichen Verantwortungsräumen ist, glaube ich, eins der großen Gefahren, die sich damit verbinden, mit so einer Genetisierung von Lebensphänomenen.

Tim Pritlove
1:40:41
Robert Ranisch
1:41:19
Tim Pritlove
1:41:32
Robert Ranisch
1:41:34
Tim Pritlove
1:42:43
Robert Ranisch
1:42:46
Tim Pritlove
1:43:11
Robert Ranisch
1:43:12
Tim Pritlove
1:43:19
Robert Ranisch
1:43:25
Tim Pritlove
1:43:29
Robert Ranisch
1:44:09
Tim Pritlove
1:44:12
Robert Ranisch
1:44:15

Auf jeden Fall. Und ich denke, das passiert auch in den letzten Jahren ziemlich ausgeprägt und das muss jetzt auch nicht unter dem Stichwort der Ethik laufen. Das kann auch die Technikfolgenabschätzung sein. Letztendlich verbindet diese Fragen das ganz grundsätzliche Interesse, wir wollen wissen, was ist gut und was ist richtig und was wollen wir eigentlich als Gesellschaft gemeinsam haben? Und da sind Technologien nun einmal wie sie sind, nämlich erst einmal für sich genommen neutral, aber sie können auf die eine oder andere Art und Weise genutzt werden. Und da müssen wir uns als Gesellschaft entscheiden, wo wollen wir Weichen stellen? Und ich glaube, das, was wir gerade in Bezug auf die Genomeditierung oder auch die Veränderung von Nutzpflanzen sehen, ist etwas, das reproduziert eine ganze Reihe von Herausforderungen, die kennen wir aus anderen Bereichen, die aber gar nicht in der Technik als solche liegen. Und hierzu kann zum Beispiel die Tendenz einer Kommerzialisierung gehören, dass viele Menschen tatsächlich ein größeres Problem haben mit der Kommerzialisierung von Saatgut als mit der genetischen Veränderung. Das ist einer der Gründe, weshalb der Monsanto ehemals so häufig in der Kritik stand als Inbegriff des Bösen für viele galt. Weniger die grüne Gentechnik war es vermutlich. Ähnlich mit der Datensammelwut von Institutionen, dass viele vielleicht gar kein Problem damit haben zu sagen, eine Genomsequenzierung durchführen zu lassen, aber dass solche Daten zentralisiert irgendwo gespeichert werden und gegebenenfalls dann für andere Institutionen oder nicht mehr transparent abrufbar sein könnten. Und ich denke, da gibt es eine sehr spannende Überschneidung auch von verschiedenen Themenbereichen aus der Technologieentwicklung, wo die Ethik aber eben auch angrenzende Disziplinen einiges an Arbeit zu leisten hat. Aber eben immer in dem Versuch, auf Augenhöhe mit der Gesellschaft an diese Fragen ranzugehen. Weil wie gesagt, es gibt keine Moralexperten im Bereich der Ethik.

Tim Pritlove
1:46:03
Robert Ranisch
1:46:16
Tim Pritlove
1:46:17