Forschergeist
Horizonte für Bildung und Forschung
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Visualierung und offene Daten als Mittel der ökonomischen Forschung und der Wissenschaftspublikation
Max Roser forscht am Institute for New Economic Thinking der Universität in Oxford an Forschungsprogrammen rund um die globale Einkommensentwicklung und arbeitet empirisch an Statistiken und Analysen, um volkswirtschaftliche Zusammenhänge und Entwicklungen deutlich werden zu lassen. Aus eigener Initiative startete er das Projekt "Our World In Data", das führende Studien verschiedener Forschungsgebiete im ökonomisch-soziologischen Bereich analysiert und die dort erarbeiteten Zahlen visualisiert und neu kombiniert.
Wir sprechen über neue Ansätze in der Ökonomie-Forschung, die Bedeutung von Visualisierungen und Big Data für die Wissenschaftskommunikation sowie über den Nutzen des Internets für die Forschung und Öffentlichkeitsarbeit insgesamt.
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Veröffentlicht am: 21. September 2015
Dauer: 1:32:25
Ganz genau. Ich passe auf, dass da kein Ärger gemacht wird. Der Titel Research Officer kommt mir auch ein bisschen fremd immer noch vor. Aber die haben hier oft ein bisschen traditionelle Bezeichnungen für die einzelnen Jobs an der Uni. Letztlich bin ich ein Postdoc. Habe letztes Jahr mein Doktorat abgeschlossen und jetzt bin ich in der Stufe, die dann danach folgt. Die heißt meistens Postdoc, hier nennen sie mich Research Officer.
Es gibt schon Überschneidungen, bei denen das thematisch Sinn macht. Das Thema was ich gerade angesprochen habe, Einkommensverteilung, hat zu einem Großteil das Thema Gerechtigkeit im Hintergrund und da ist es ein Thema, was sowohl in der Philosophie natürlich als auch in der Ökonomie angelegt ist. Die Ökonomie, wie viele andere Wissenschaften, kommt aus der Philosophie. Die großen grundlegenden Texte sind geschrieben von Leuten wie Adam Smith zum einen oder Marx zum anderen. Leute, die sich sowohl in Philosophie als auch in Ökonomie auskennen. Und es gibt auch heute noch Ökonomen, die sehr stark in beiden Disziplinen verwurzelt sind. Das ist das eine und zum anderen ist glaube ich mein Interesse vorher schon immer irgendwie ein bisschen zwischen Sozialwissenschaften und zu verstehen von der Welt im großen gegangen. Und zum anderen hatte ich immer ein starkes mathematisches Interesse. Mein ursprünglicher Plan war irgendwann mal, Physik zu studieren und sehr viel mathematischer unterwegs zu sein. Und dann hatte ich Geowissenschaften ausgewählt, weil ich gedacht habe, das ist vielleicht so ein Mittelweg zwischen einer Naturwissenschaft, die mathelastig ist und einem Blick auf die Welt, wie sie entstanden ist und wie sie heute ausschaut im Großen. Und von Volkswirtschaft wusste ich damals nichts, auch weil Volkswirtschaft kein großes Thema in der Schule in Deutschland ist. Aber letztlich ist Volkswirtschaft genau das was gesucht habe. Ein Fach, was stark in der Mathematik verwurzelt ist, aber thematisch sich anschaut, wie die Welt sich verändert und wie die Welt zu dem geworden ist, wie sie heute ist.
Das hat sich sehr stark gewandelt über die letzten Jahre. Die Einkommensverteilung war kein großes Thema in der Zeit, in der die moderne Ökonomie geschrieben worden ist. Im 20. Jahrhundert war das in den 50er, 60er, 70er Jahren war die Einkommensverteilung kein großes Thema. Zum einen deshalb, weil die Einkommensverteilung über die erste Hälfte vom 20. Jahrhundert sehr stark gefallen ist. Die Armen haben schnelleres Einkommenswachstum erlebt als die Reichen. Und das war der Fall in Deutschland, in England, in den USA, in quasi allen reichen Ländern ist die Einkommensschere stark zusammengegangen über die ersten 50 Jahre vom 20. Jahrhundert, vor allen Dingen über die Zeit vom 2. Weltkrieg. Und in den 60er/70er Jahren war die Einkommensungleichheit auf konstant historisch niedrigem Niveau. Und dann haben wir über die letzten drei Jahrzehnte, die 80er, 90er und 2000er haben wir sehr unterschiedliche Trends in verschiedenen Ländern. In manchen Ländern steigt die Einkommmensungleichheit sehr stark, vor allen Dingen in den USA, wo Einkommen für die ärmsten 50-60% von der Bevölkerung fast stagnieren oder nur sehr gering zuwachsen und das obere Drittel starke Einkommenszuwächse hat. Und die Einkommen sich dort eben auseinander entwickeln. Und in anderen Ländern passiert das nicht so sehr oder auch gar nicht. Niederlande, Japan sind Länder, in denen die Einkommensungleichheit nicht zunimmt oder im Vergleich sehr viel weniger zunimmt. Also jetzt haben wir sehr unterschiedliche Entwicklungen, aber eben vor allen Dingen auch, weil die Einkommensungleichheit in den USA so stark zunimmt. Hier in England gab es einen großen Sprung der Zunahme der Ungleichheit in den 80er Jahren unter der Regierung von Thatcher. Und weil die Einkommensungleichheit zunimmt ist es auch wieder ein sehr viel stärkeres Thema und jetzt in den letzten 10 Jahren oder ist es auch in der Ökonomie wieder ein sehr zentrales Thema geworden. Dieser große Überraschungserfolg von Thomas Pikettys Buch im letzten/vorletzten Jahr im Französischen, hat das Thema wirklich sehr stark zurückgebracht in den wissenschaftlichen Diskurs auch.
Ganz genau. Und Thomas Picketi hat es vor allen Dingen ermöglicht, dass wir so eine Langzeitperspektive auf die Entwicklung von Ungleichheit bekommen haben, was uns vorher nicht wirklich möglich war. Es gibt quasi zwei Möglichkeiten, über die Einkommensungleichheit was zu wissen. Das eine ist, dass man Umfragen macht und die Leute fragt, wie ihr Einkommen ausschaut. Und diese Umfragen reichen nicht weit zurück, sondern vielleicht bestenfalls in die 70er Jahre und dann vielleicht für einzelne Städte oder für einzelne Industriesektoren ein bisschen weiter zurück. Und die andere Möglichkeit, die Picketi wieder aufgegriffen hat, ist die Einkommenssteuerdaten zu nutzen. Und dann kann man soweit zurückgehen, wie Einkommenssteuer erhoben worden ist, in unterschiedlichen Ländern und das ist meistens in den ersten paar Jahrzehnten im 20. Jahrhundert erhoben worden oder seitdem wird das erhoben. Also haben wir jetzt plötzlich eine Perspektive über 100 Jahre oder manchmal sogar ein bisschen länger als 100 Jahre und können diese langfristige Entwicklung, die ich am Anfang so ein bisschen skizziert habe, nachverfolgen.
Das ist immer ein bisschen schwierig, das zu beurteilen, wenn man so mittendrin ist. Dann fehlt einem vielleicht der Blick von außen ein bisschen. Aber mir kommt vor, dass diese Forschung zur Einkommensverteilung schon sehr stark aufgenommen worden ist auch in der Öffentlichkeit. Wenn an die USA denkt, an die Proteste an der Wall Street, die Occupy Wall Street Proteste. Die hatten den Slogan, we are the 99%, der bis heute Mainstream in der Kultur von den USA ist über die letzten Jahre. Und der Slogan kommt direkt aus dieser Forschung, die vor allen Dingen die Top 1%, also die 1%, die das größte Einkommen in der Gesellschaft haben, rausgesucht hat. Und das lässt sich direkt zurückverfolgen auf die Forschung von Piketty und von einem Kollegen von ihm, der heißt Emmannuel Saez. Tony Atkinson, Facundo Alvaredo. Es gibt ein paar Forscher, die da sehr viel Arbeit in den letzten Jahren gemacht haben. Und die Arbeit auch tatsächlich angekommen ist auf der Straße, wenn man so will, aber auch in der Politik. Der internationale Währungsfond hat Einkommmensungleichheit zu einem großen Thema gemacht. Die Weltbank veröffentlicht jetzt Daten, nicht nur zum Anstieg vom Durchschnittseinkommen, sondern auch zum Einkommen der unteren 40%, so dass man einen Blick darauf bekommt, ob das Wachstum tatsächlich alle mitnimmt oder ob das Wachstum sich nur auf eine kleine Schicht in der reichen Bevölkerung bezieht oder ob alle Boote gelüftet werden.
Ich denke, wir haben ja auch gerade so eine generelle Problematik speziell in Europa, in gewisser Hinsicht halt auch weltweit. Also das Vertrauen gegenüber dem Wirtschaftssystem betrifft die Griechenlandkrise, gerade jetzt hier in den letzten Monaten hat das denke ich sehr lebendig gezeigt, wie dort die Meinungen aufeinander treffen, aber wie sich halt auch jetzt starke politische Gegenbewegungen auch bilden, wie man das mit Syriza in Griechenland gesehen hat, europaweit gibt es auch so einen linken Gegentrend, der eben versucht, so ein bisschen dem kapitalistischen Status quo so ein wenig den Spiegel vorzuhalten. Wo ja dann auch die Systemfrage gestellt wird. Funktioniert unser System eigentlich? Ist diese Art und Weise, wie wir mit Schulden, mit Etats, mit Vertrauen von Märkten, der Kraft der Börsen und Investoren etc. umgehen, ist das überhaupt die richtige Basis für uns? Und ich denke, es ist hier auch an der Wirtschaftswissenschaft, dort neue Anhaltspunkte und Leitlinien zu geben. Ich denke, das war auch so ein bisschen eine der Auswirkungen von Picketis Buch, eine Debatte in diese Richtung, die dadurch unter anderem auch ausgelöst wurde.
Ja. Ich denke die Debatte die ist richtig und Griechenland und auch in den USA geben Anlass zu der Debatte. Das ist die Frage, wie weit man die Systemfrage stellt. Ich denke, wir können das gegenwärtige System stark verbessern und Dinge die nicht funktionieren korrigieren. Ich denke, insgesamt ist die wirtschaftliche Entwicklung global gesehen immer noch extrem gut oder vielleicht besser denn je. Die Einkommen in den ärmsten Ländern auf der Welt steigen rasant. Südostasien hat eine gewaltige Entwicklung durchgemacht über die letzten 20 Jahre und die Lebensbedingungen von den Menschen dort extrem verbessert. Südamerika ist nach Jahrzehnten von Diktaturen und Experimenten in Hinsicht der Wirtschaftssysteme auch in viel besserer Verfassung. Und über die letzten 15 Jahre oder vielleicht sogar 20 Jahre haben wir auch eine positive Entwicklung in großen Teilen von Afrika, die jetzt großes Wirtschaftswachstum erleben. Und ich denke, das ist eine Entwicklung, die vielleicht nicht so sehr in den Medien aufgegriffen wird, und wir haben einen sehr starken Fokus auf die negativen Entwicklungen. Aber ich denke, diese positiven Entwicklungen, die tatsächlich extrem wichtig sind für die Weltbevölkerung und unsere gegenwärtige Welt, die sollten wir auch nicht aus dem Auge verlieren.
Genau. Das ist eine Webpublikation, die ich vor vier Jahren gestartet habe und die Idee dort ist, die ganzen empirischen Daten, die wir haben, zusammenzutragen, so dass der Leser im Internet einen Überblick hat, wie sich verschiedene Aspekte, die wichtig sind für unser Leben, langfristig entwickelt haben. Wie hat sich die Armut entwickelt in der Welt? Wie hat sich die Armut in einzelnen Ländern entwickelt? Wie hat sich Gewalt zwischen Menschen verändert? Wie haben sich Kriege verändert? Wie ist die Nahrungsversorgung heute im Vergleich zu früher? Wie haben sich politische Systeme verändert? Wie ist die Bildungssituation? Und da versuche ich, die Daten sowohl von internationalen Organisationen zu benutzen als auch die Daten oft von Wirtschaftshistoriker und Sozialhistorikern zu nehmen. Die Daten rekonstruieren und dann die Daten sammele ich auf dieser Webseite und visualisiere sie, so dass der Leser eine Idee hat, wie der langfristige Trend ausschaut.
Ich versuche, so weit zurück zu gehen, wie es möglich ist. Und das ist oft überraschend, wie gut quantitative Informationen auch sind, die sehr weit zurückliegen. Zum Beispiel ein Thema, wo man eine sehr langfristige Perspektive einnehmen kann, ist, Gewalt. Menschen haben auch schon im Mittelalter sich Sorgen über die Gewalt zwischen Menschen gemacht und aufgeschrieben, wie viele Mordfälle es gab in verschiedenen Regionen. Und dann gibt es Sozialhistoriker, die durch die ganzen alten Archive sich wühlen und versuchen, einen Überblick zu bekommen, wie die Mordrate ausgesehen hat im mittelalterlichen England oder in der Schweiz oder in Skandinavien und dann nachzeichnen, wie die Gewalt sich verändert hat über die letzten Jahrhunderte. Das ist zum Beispiel ein Beispiel, da gibt es vielleicht Zeitreihen, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreichen und man kann noch weiter zurückgehen. Es gibt auch Archäologen, die Grabstätten untersuchen und dann an den Skeletten untersuchen, auf welche Weise die Menschen gestorben sind.
Genau ja. Die Daten sind überraschend gut. Das ist auch der Punkt bei dieser Publikation. Wenn du jetzt da diesen Graph anschaust, hast du direkt neben dran den Link zu der wissenschaftlichen Publikation. Ich denke die ist von Manuel Eisner, der in Cambridge ist, ein Schweizer Kriminologe. Und dort kannst du dir das ganze Paper durchlesen und mehr Informationen dazu finden, wie verlässlich diese Daten sind. Und die Daten, die ich auf der Webseite habe, die zeigen nur Durchschnittswerte für glaube ich halbe Jahrhunderte. Und wenn du zu seiner Seite zu seinem Paper gehst, dann hast du für jedes Land auch die rohen Daten und kannst dir die direkt dort anschauen.
Wenn du zum Beispiel dir Asien anschaust und die Vorhersagen in den 70ern anschaust. Die Leute waren davon überzeugt, dass die Überbevölkerung in Asien zu gigantischen Hungersnöten führt, bei der Millionen von Menschen in Asien sterben würden. Und was passiert ist in den letzten vier Jahrzehnten ist genau das umgekehrte. Die Ernährungssituation in Asien hat sich extrem stark verbessert. Hungersnöte sind heute auf die Länder konzentriert, die von Diktatoren regiert werden wie Nordkorea. Und das ist sehr sehr anders, als das was wir vor 30-40 Jahren noch für möglich gehalten hätten. Also in vielen Teilen denke ich, ist es uns einfach nicht bewusst, wie dramatisch sich die Welt verbessert hat und die Lebensbedingungen sich verbessert haben. Aber den Schluss daraus zu ziehen, dass wir uns dann zurücklehnen können und uns auf die Schulter klopfen können und nichts mehr machen brauchen, das ist denke ich genau der falsche Schluss. Ich denke der Punkt ist, die Anstrengung die wir tun, um die Welt besser zu ernähren zum Beispiel, die tragen tatsächlich Früchte und es macht Sinn, sich in der Welt zu engagieren und da weiter zu helfen, die vielen gravierenden Probleme, die es noch gibt, weiter zu lösen.
Genau. Also der Punkt ist nicht, dass es eine Kollektion von besonders optimistischen Daten ist, sondern der Punkt ist, dass man die Daten, die verfügbar sind, die besten Daten, die wir kennen, darzustellen und dann ist es tatsächlich der Fall, dass die meisten Entwicklungen sehr positiv sind. Bei Umweltthemen, die sind auch Teil von der Webpublikation, ist es nicht immer der Fall. Obwohl man da auch differenzieren muss. Zum Beispiel hast du jetzt Wald angesprochen, dieses Jahr jetzt gerade vielleicht vor 2-3 Monaten gab es eine große Publikation entweder in Science oder Nature, die gezeigt hat, dass zum ersten Mal die globale Waldfläche zunimmt. Und es ist sicher seit Jahrhunderten das erste Mal, die Waldrodung und Abholzung ist nichts neues, sondern geht soweit zurück, wie Menschen versuchen, das Land urbar zu machen und Landwirtschaft zu betreiben. Und heute durch sehr viel produktivere Landwirtschaft ist es möglich, die Agrarflächen zu reduzieren und tatsächlich wieder Flächen zu bewalden. Also im Schnitt nimmt die Waldfläche wieder zu. Es ist natürlich auch richtig, dass die Waldfläche vor allen Dingen in den tropischen Regenwäldern immer noch schrumpfen und abgeholzt werden. Und der Fall ist auch weiterhin in Brasilien, auch wenn da der Trend rückläufig ist seit mehreren Jahren. Aber die Flächen in den reicheren Ländern, die Waldflächen dort zunehmen. Und auch vor allen Dingen in China stark zunehmen. Was ich auch nicht gewusst habe, bevor ich das Paper gelesen habe. Aber China macht große Aufforstungsprojekte anscheinend. Und das sorgt dafür, dass die Waldfläche wieder zunimmt.
Demokratie – sicher, das ist auch schwierig, so was komplexes wie die komplette politische Struktur von einem Land am Schluss in einer Zahl auszudrücken. Es gibt verschiedene Versuche, das zu tun. Und auf der Webseite verwende ich vor allen Dingen einen Index der heißt Polity, und da gibt es den Polity4, der Polity5 glaube ich kommt jetzt gerade raus – und die machen tatsächlich sehr detaillierte Studien für jedes Land und untersuchen, welche Rechte das Regierungsoberhaupt hat, wie die Wahlen dort ablaufen und du kannst ja für jedes einzelne Land dort die tatsächlichen Protokolle anschauen und das ist sehr transparent und du siehst, was die Grundlage für ihre Bewertung letztlich ist. Und am Schluss aggregieren sie diese ganze Beurteilung von einem politischen System in mehreren Kennzeilen, die dann nochmal aggregiert werden können zu einer zentralen Kennzahl, die dann in dieser Abbildung dargestellt wird, die du dir jetzt anschaust. Und das ist dann ein Spektrum von einer total Autokratie, die glaube ich mit -10 bewertet wird dort bis zu einer totalen Demokratie, die mit +10 bewertet wird und den verschiedenen politischen Formen auf diesem Spektrum geben sie dann unterschiedliche Namen.
Ja und das ist auch tatsächlich in manchen. Das ist noch nicht überall umgesetzt, aber in vielen Abschnitten der Webpublikation ist es schon der Fall und es ist jeder Artikel, jedes Thema soll so behandelt werden, dass im ersten Teil die langfristige Entwicklung dargestellt wird. Wie haben sich Demokratien über die letzten 200 Jahre verändert? Welche Länder sind wann demokratisch geworden und wann sind sie wieder zurückgefallen? Und diese langfristige Perspektive soll im ersten Abschnitt dargestellt werden und im zweiten Abschnitt soll das dann in Verbindung gesetzt werden mit den anderen Themen, die auf der Webseite publiziert werden. Und es soll erklärt werden, was wissen wir darüber, warum Länder demokratisch werden? Zum Beispiel ein entscheidender Punkt da ist die Bildung. Und dann versuche ich die Forschung darzustellen, die empirische Forschung, die es zu der Frage der Demokratisierung gibt. Und dann ein paar Visualsierungen auch daraus darzustellen. Zum Beispiel für die Demokratie habe ich eine Visualisierung gemacht, in der du so einen Scatter-Plot hast, bei der du eine Variable gegenüber einer anderen Variable darstellen kannst. Auf der X-Achse unten siehst du für jedes Land die Bildungssituation in den 1970ern und auf der Y-Achse als abhängige Variable sozusagen siehst du den Demokratisierungs-Index, den wir vorher besprochen haben und dann siehst du diese starke Korrelation, die dir anzeigt, dass die Länder, die eine stark gebildete Bevölkerung haben, mit größerer Wahrscheinlichkeit demokratisch sind und in dem Text der dazu neben der Abbildung zu finden ist, verlinke ich dann zu Studien, die über die reine Korrelation quasi hinausgehen und tatsächlich versuchen, einen kausalen Effekt zu untersuchen von Bildung auf Demokratie.
Genau. Ich denke auch, das ist ein Punkt, dass wir kommunizieren können, was die Forschung darüber weiß, wie wir die Welt demokratischer, gerechter, reicher machen können. Und dass es uns zeigt, was uns diese Institutionen oder Technologien oft nutzen. Zum Beispiel bei der Demokratie, da gibt es vielleicht zwei Punkte. Eine wichtige Verbindung von der Demokratie ist hin zu Kriegen. Was auch ein Thema in der Publikation ist. Und es wird bezeichnet als die Theorie von demokratischem Frieden. Und wir haben sowohl gute theoretische Modelle oder Überlegungen, als auch gute empirische Evidenz, dass demokratische Länder weniger oft oder weniger wahrscheinlich mit anderen demokratischen Ländern im Krieg stehen als autokratische Länder. Dass Demokratie in dieser Weise zu Frieden führt. Und vielleicht ein anderer Aspekt bei der Demokratie ist, dass wir wissen, dass in Demokratien es keine Hungersnöte gibt. Hungersnöte sind im 20. Jahrhundert/21. Jahrhundert nicht Probleme von der Nahrungsknappheit, sondern das sind Probleme von der Nahrungsverteilung. Und oft ist es in Ländern, in denen es Hungersnot gibt, oft ist es überraschend einfach, diese Hungersnot zu beenden oder wäre es überraschend einfach, diese Hungersnot zu beenden. Zum Beispiel in den großen Hungersnöten in den 70ern und 80ern in Äthiopien, da hat es kleine Teile von Äthiopien betroffen, während andere Teile von Äthiopien gut mit Nahrung versorgt werden. Und es wäre einfach möglich gewesen, diese Nahrung dorthin zu transportieren, wo sie benötigt worden wäre. Aber in autokratischen Regierungen kommt es oft vor, dass die Regierung mehr damit beschäftigt ist, ihr eigenes Ansehen zu retten und versucht, die Berichte über die Hungersnot zu unterdrücken oder einfach ein völliges Desinteresse an dem Wohlergehen der Bevölkerung hat und dann die Nahrung nicht so umverteilt, wie es möglich gewesen wäre. Das gleiche gilt für Nordkorea in der großen letzten Hungersnot dort. Und dann gibt diese langfristige Perspektive und diese empirische Darstellung gibt einfach zwei gute Gründe, Frieden und keine Hungersnöte, die Demokratie so enthusiastisch zu verteidigen, wie sie es verdient.
Naja vor vier Jahren habe ich angefangen, ein Buch zu schreiben. Und habe versucht, dafür einen empirischen Blick zu bekommen auf die Welt, weil ich das in dem Buch darstellen wollte und irgendwann habe ich dann realisiert, dass die Sache nicht mehr so gut zwischen zwei Buchdeckel passt und habe dann angefangen, die Sache im Internet gratis zur Verfügung zu stellen. Und die Seite an sich ist eigentlich erst seit einem Jahr online. Ich habe angefangen Daten zu sammeln vor vier Jahren. Ich habe angefangen, an der Webseite zu arbeiten, ich weiß nicht mehr genau. Vielleicht vor 2-2,5 Jahren so was. Aber die Seite ist erst seit Juni letzten Jahres online. Und ich hoffe, dass es noch lange weitergehen kann. Es gibt noch viele viele Aspekte, die wir darstellen wollen und ich habe so eine Art offline Our World in Data auf meinem Computer mit den ganzen Daten, die ich über die Jahre gesammelt habe zu den verschiedenen Themen. Und die Offline-Datenbank umfasst, ich weiß nicht, vielleicht fünf mal mehr als das.
Kommen wir jetzt aber auch nochmal auf einen interessanten Punkt. Weil mir ist ja das Projekt auch so im Laufe des letzten Jahres so über den Weg gelaufen und ich fand das einfach so in seiner ganzen Ausrichtung und in dem absehbaren Umfang und dem Potenzial schnell klar geworden, dass ich das interessant finde. Und vor allem, weil es irgendwie, obwohl es eine wissenschaftliche Arbeit ist, eigentlich sehr anders rüberkommt, als man das gemeinhin von wissenschaftlichen Arbeiten so gewohnt ist. Also insbesondere jetzt natürlich auch die Verheiratung mit dem Web und die Art und Weise wie hier auch Öffentlichkeit geschaffen wird. Das ist ja nicht unbedingt immer so. Also hast du irgendwie das Gefühl, dass du viel wissenschaftliche Arbeit, den wissenschaftlichen Bereich auch irgendwie nicht so richtig verlässt. Und jetzt haben wir ja schon gehört, dass hier eigentlich sehr viele, in diesem Konzert sehr viele einzelne Melodien hervortreten, die sehr wohl für unterschiedliche gesellschaftliche Strömungen sehr interessant sein können. Nur dass diese Kommunikation an der Stelle gar nicht da ist. Vielleicht mal selber noch mal ein bisschen beschreiben, wie für dich so der Weg mit diesem Projekt in die Öffentlichkeit war und welche Rolle das Netz dabei gespielt hat?
Ich denke, es ist fast schwieriger zu beantworten, warum man das nicht häufiger macht. Die Möglichkeiten, im Internet Sachen zu publizieren sind offensichtlich in vielerlei Weise oft viel abwechslungsreicher und besser denke ich als auf Papier. Und verschiedene Zeitungen zum Beispiel machen extrem gute Arbeit im Internet und nutzen die Möglichkeiten. In der Wissenschaft ist es leider oft so, dass die Technologie, mit der unsere Ergebnisse publiziert werden können, die hätte auch Gutenberg am Tag danach verwenden können. Wir schreiben vielleicht die wissenschaftlichen Veröffentlichungen und machen sie im Netz verfügbar, aber das sind immer noch DIN A4 Seiten, die wir dann aus dem PDF herunterladen und ausdrucken. Und diese Menge an empirischen Daten die bietet sich im Internet einfach zur Veröffentlichung an, weil damit auch, ich meine vielleicht hilft es, wenn man konkreter wird, wir haben Daten zur Entwicklung der Einkommensungleichheit für 50 oder 80 Länder auf der Erde und wenn ich versuchen würde, einen Überblick zu geben über die Entwicklung der Einkommensungleichheit in einem Buch, dann müsste ich mir aus den 80 Ländern die fünf Länder raus suchen, die ich gerade am interessantesten finde und dann zeige ich eben Frankreich, USA, Deutschland, Schweden und Japan und alle anderen 75 Länder die halte ich dem Leser vor und er kann die Daten nicht sehen. Im Internet ist es kein Problem, die Daten für fünf Länder auszuwählen und standardmäßig anzuzeigen und per Fingerklick ist es für den Leser möglich, auch die Daten für Brasilien oder Südafrika oder Italien verfügbar zu machen. Also für die Arbeit ist das Internet extrem hilfreich.
Also vor ein paar Ausgaben habe ich ja hier mit Nikolaus Kriegesgrotte gesprochen, da ging es halt generell genau um diese Problematik des althergebrachten Veröffentlichens von Studien, der Problematik, dass eben immer noch sehr viel über Journale läuft, alles noch über sehr viel traditionelle Reputation läuft, und dass dadurch nicht nur die Veröffentlichung teilweise nennenswert verzögert wird. Also Datenstudienergebnisse sehr viel später überhaupt erst das Licht des Tages sehen, sondern auch überhaupt grundsätzlich nicht in demselben Maße digital verfügbar sind, nicht offen sind, nicht problemlos zitierbar sind, das sind ja genau solche Fragestellungen, die jetzt hier auch eine Rolle spielen. In dem Gespräch gab es auch ein starkes Plädoyer für einen Open-Science-Ansatz, also sozusagen überhaupt Daten besser, also Studien generell digital zu veröffentlichen, früh zu veröffentlichen und unter liberalen Lizenzen zu veröffentlichen. Gibt es da nicht auch Gegenbeispiele? Also gab es hier auch Studien, die herangezogen wurden, wo das überhaupt gar kein Problem war, die von Vornherein so angelegt waren?
Aber muss sich halt erst entwickeln. Ich finde das einfach mal auch wert, das von der Seite auch zu denken, was das quasi für die wissenschaftliche Publikation bedeutet. Du hast gesagt, du hast Leute angesprochen für ihre Studien, die dann eben mehr oder weniger offen waren, Daten rauszurücken und die könnten darüber Feedback bekommen. Hat das stattgefunden? Also haben die, ist Rückmeldung sozusagen über die Publikation in our world in data an diese Leute zurückgekommen? Also gab es eine Rückmeldung der Leute aufgrund der Veröffentlichung?
Ich denke wir sind da echt tatsächlich erst am Anfang. Ich meine so ein bisschen einen Einblick hat man auch oft, weil die Naturwissenschaften den Sozialwissenschaften immer ein bisschen voraus sind in der Nutzung von technischen Möglichkeiten und zum Beispiel in der Astronomie gibt es große bekannte Beispiele, wo der Link zwischen Wissenschaft und Webpublikation oft sehr stark ist und tatsächlich sehr gute Arbeit gemacht wird. Und in der Sozialwissenschaft stehen wir da wahrscheinlich erst am Anfang. Hoffe ich, dass es da noch ein bisschen in die Richtung weitergeht. Es ist ein großes Problem auch. Ein anderer Aspekt ist auch, was du vorhin angesprochen hast, mit der Datenverfügbarkeit, ist die Überprüfbarkeit von wissenschaftlichen Studien. Die Verfügbarmachung von empirischer Evidenz und Laien macht es es sehr viel einfacher, zu prüfen, was die Forschungskollegen tatsächlich gefunden haben. Man kann Daten leichter austauschen gegen andere Daten und schauen, ob die Ergebnisse auch robust sind, wenn andere respektable Daten verwendet werden und mehr Forschung übers Internet zu verbreiten und das Internet auch als Quelle zu nutzen. Ich denke das kann der Forschung nur nutzen.
Hans Rossling ist eigentlich ein Arzt aus Schweden, der lange in Afrika, vor allem in Mosambik gearbeitet hat und dann war er Professor für Global Health am Karolinska-Institut in Stockholm. Und jetzt hat er über die letzten 15-20 Jahre sehr viel Arbeit gemacht, indem er versucht so demografische Trends, Bevölkerungswachstum, Geburtenraten und Gesundheitstrends, Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, HIV zu kommunizieren, und hat vor allen Dingen ein paar große Ted-Talks gehalten in den USA, die sehr bekannt geworden sind und versucht, so ein globales Bild von demografischen und Gesundheitsentwicklungen auf der Welt darzustellen. Und jetzt er war grade letzte Woche hier und wir machen jetzt auch ein bisschen Arbeit zusammen. Im Moment machen wir eine Dokumentation, die im September auf der BBC läuft, zu globaler Armut. Und da ist das das zentrale Thema. Da sind die Daten und die Arbeit von our world in data und Gabminder seine Stiftung in Stockholm lizenziert das und er präsentiert es dann in einer Dokumentation.
Nein in der Ökonomie haben wir sehr viel Theorie gemacht und dann statistische Analyse gemacht, aber Visualisierung haben wir nie wirklich zu einem Thema gemacht dort in dem Studium tatsächlich. Ja es fehlt ein bisschen in der Ausbildung vielleicht ja. Ich meine, ein Problem ist auch, dass die Werkzeuge, mit denen man solche Visualisierungen machen kann, vielleicht nicht immer so ganz leicht zugänglich sind. Es gibt natürlich Excel, das ist wahrscheinlich das, was die meisten Leute auf ihrem Computer haben, aber es ist schon ein bisschen limitiert in dem, was es an Datenvisualisierung ermöglicht. Und dann wenn man Daten online interaktiv visualisieren mag, dann verwenden die meisten Bibliotheken in JavaScript und dann wird es gleich ein bisschen komplizierter und nicht so ganz leicht zugänglich. Und wenn man Daten mit Software visualisieren mag auf dem Computer, dann gibt es extrem gute Software. Zum Beispiel eine große Software ist Tableau, aber da kostet die Lizenz dann 1.500 Euro oder so. Vielleicht fehlt auch ein bisschen die, oder ich weiß es nicht, die OpenSource-Lösung, die für jeden zugänglich ist.
Naja ich finde ja, ich meine die Plots und die Auswertungen, die jetzt bei our world in data sind, die sind ja jetzt nicht bestechend dadurch, dass sie jetzt besondere Komplexität hätten, sondern es ist eigentlich eher die einfache Darstellung sozusagen, das richtige Herauswählen der richtigen Daten und das in Kontext stellen miteinander, was glaube ich hier eine Rolle spielt. Also was ich da so rausziehe ist, also ich finde wissenschaftliche Arbeiten auf einmal spannend, wenn ich die Möglichkeit habe, mir diese Ergebnisse einfach leichter vorzustellen. Und da hilft nun mal einfach so eine Grafik enorm. Und was ich natürlich auch hier sehe bei dem Projekt, dass man einfach die Kollaboration auch anheizt. Also in dem Moment, wo man ... ich meine es mag jetzt jemanden geben, der ist halt sehr gut darin, die Daten zu gewinnen. Das ist so ein bisschen so der Miner sozusagen. In der Datenmine wird halt überhaupt erst mal so das Datenerz zusammengesammelt und es gibt halt Leute, die sich darauf spezialisieren, aber deren Ding vielleicht diese Visualisierung erst mal gar nicht ist. Die einem einfach sagen, okay hier sind jetzt die Daten. Dann kommen die nächsten Leute, die sagen, okay, wir bringen das jetzt hier mal in einen Kontext und versuchen mal, die Richness, also sozusagen das was in diesen Daten drinliegt auch durch eine ordentliche Visualisierung herauszuheben. Das würde ich jetzt mal sagen ist das, was eigentlich our world in data primär macht. Und der nächste Schritt ist halt, dass man die Daten dann quasi auch wieder bereitstellt und so eine Challenge eigentlich daraus macht und sagt, okay hier sind die Daten, das war der First Take, was könnt ihr jetzt damit machen? Was sind die anderen Sachen, mit denen man das noch korrelieren kann. Bis hin zu, welche Standards lassen sich vielleicht aus solchen Prozessen ableiten?
Und das funktioniert auch. Das sehe ich auch dann, Leute laden die Daten dort von meiner Publikation runter und dann machen sie ihre eigene Arbeit damit und dann schicken es mir manchmal per E-Mail oder per Twitter und teilen es wieder zurück. Das ist auch extrem cool, zu sehen, dass diese Zusammenarbeit so funktioniert. Und insgesamt ist es ein bisschen verrückt, dass wir nicht mehr zusammenarbeiten in der Sozialwissenschaft, nicht nur in der Ökonomie ... der Großteil von den Veröffentlichungen haben einen Autor, zwei, ab und zu mal vielleicht drei Autoren. Das heißt, dass dieser eine Autor, in den meisten Fällen ist es immer noch ein Autor, tatsächlich alles macht, von der Datenbeschaffung, manchmal wenn es Primärdatenerhebung ist, dann reist er nach Afrika und macht dort die Studien, dann ist er der, der die Daten weiterverwendet in der statistischen Software. Und die Daten sauber macht und die Daten visualisiert und die Analyse schreibt und die Theorie dazu schreibt und den Literaturüberblick schreibt. Und das ist alles ein und dieselbe Person. Die Ökonomen, in den Vorlesungen reden wir den ganzen Tag davon, wie wichtig nicht die Arbeitsteilung für die Produktivität ist und dann setzen wir uns an unseren Arbeitstisch und schreiben unser Paper ganz alleine von Anfang bis Ende. Und ich denke, wir könnten viel viel bessere Arbeit machen, wenn wir mehr Arbeit in kleineren Schritten teilen würden mit Kollegen und mehr Zusammenarbeit mit anderen Experten in verschiedenen Tätigkeiten suchen würden.
Ja ich glaube auch, dass die Naturwissenschaften da wieder einen Schritt vorne sind und so in der medizinischen biologischen Forschung gibt es tatsächlich Leute, die sich darauf spezialisieren, die Grafiken gut darzustellen. Vielleicht nicht nur die Visualisierung von Daten, sondern auch diese Abbildung von Zellen und den Abläufen von irgendeinem Prozess im Körper, der dann in solchen schematischen Darstellungen in den Publikationen sich dort findet. Dort gibt es das. Aber die Kollaboration sollte irgendwie kleiner sein. Und das liegt auch wieder, da waren wir vorhin schon mal bei dem Thema, dass es an den Anreizen liegt. Heute sind die Anreize sehr stark dafür da, für die fertige Publikation und nicht so sehr für Schritte, die zu der Publikation führen. Wenn du der bist, der die Daten sauber gemacht hat und standardisiert hast oder so was, und damit drei Monate von deinem Leben verbracht hast. Dann kriegst du dafür keine Anerkennung, obwohl das ein zentraler Teil von der Arbeit war, wenn du der warst, der die Daten visualisiert hast, dann kriegst du dafür keine Anerkennung, die kriegst du nur, wenn du alles von Anfang an bis Ende gemacht hast.