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FG009 Wirtschaftspolitischer Journalismus

Wie Henrik Müller in Dortmund wirtschaftspolitischen Journalismus lehrt und erforscht. Und was guten Wirtschaftsjournalismus ausmacht.

Raus aus der prallen journalistischen Praxis, rein in die Gremien-Universität. Henrik Müller hat diesen ungewöhnlichen Schritt gewagt: 2013 übernahm der damalige stellvertretende Chefredakteur des "manager magazin" den Lehrstuhl für wirtschaftspolitischen Journalismus am Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund. Dort baut er seitdem die neuen Bachelor- und Master-Studiengänge für wirtschaftspolitischen Journalismus auf.

Wie er diesen Wechsel zwischen den Welten erlebt hat, was er seinen Studierenden vermitteln will und woran er forscht, erzählt der immer noch sehr umtriebige Autor ("Wirtschaftsirrtümer: 50 Denkfehler, die uns Kopf und Kragen kosten") und Spiegel-Online-Kolumnist in dieser anregenden Episode. Dabei geht es darum, was Wirtschaftsjournalismus leisten soll und muss, was Studierende erst mühsam über Lobbyismus lernen müssen und was eigentlich "gute Geschichten" sind.

https://forschergeist.de/podcast/fg009-wirtschaftspolitischer-journalismus/
Veröffentlicht am: 24. März 2015
Dauer: 1:24:44


Kapitel

  1. Intro 00:00:00.000
  2. Begrüßung 00:00:41.018
  3. Vorstellung 00:01:30.542
  4. Aufgaben des Wirtschaftsjournalismus 00:05:48.377
  5. Neuer Studiengang 00:10:29.462
  6. Wechsel von der Wirtschaft in die Wissenschaft 00:13:50.076
  7. Inhalte des Studiums 00:20:13.397
  8. Herdentrieb im Journalismus und gute Geschichten 00:25:37.755
  9. Onlinejournalismus 00:32:40.790
  10. Herausforderungen und Chancen für junge Journalisten 00:36:12.318
  11. Multimediale Ausbildung 00:41:01.342
  12. Datenjournalismus 00:43:11.011
  13. Politischer Wirtschaftsjournalismus 00:46:34.093
  14. Kooperationspartner und praktisches Studium 00:50:28.321
  15. Lobbyismus 00:56:02.258
  16. Spannungsfeld PR 00:58:07.342
  17. Wirtschaftsirrtümer 01:00:44.639
  18. Forschungsprojekte 01:04:09.361
  19. Andere Studiengänge in Europa 01:14:56.559
  20. Ausklang 01:20:54.085

Transkript

Tim Pritlove
0:00:41
Henrik Müller
0:01:28
Tim Pritlove
0:01:31
Henrik Müller
0:01:38
Tim Pritlove
0:01:40
Henrik Müller
0:01:40
Tim Pritlove
0:01:59
Henrik Müller
0:02:00
Tim Pritlove
0:02:32
Henrik Müller
0:02:40
Tim Pritlove
0:02:55
Henrik Müller
0:02:57
Tim Pritlove
0:03:00
Henrik Müller
0:03:03
Tim Pritlove
0:03:17
Henrik Müller
0:03:18
Tim Pritlove
0:03:36
Henrik Müller
0:03:37
Tim Pritlove
0:04:11
Henrik Müller
0:04:14
Tim Pritlove
0:04:25
Henrik Müller
0:04:29
Tim Pritlove
0:05:49
Henrik Müller
0:06:06
Tim Pritlove
0:06:06
Henrik Müller
0:07:00

Ja einerseits haben Sie recht. Natürlich ist das sehr komplex und es betrifft uns alle. Und es ist ja in gewisser Weise etwas epochales, was seit 2008 passiert. Und wir sind noch nicht am Ende dieser Entwicklung. Also ganz grob gesprochen würde ich sagen, wir sind am Ende eines sehr langen Aufbaus von Schulden und wir wissen nicht richtig, wie wir da runterkommen sollen. Und da geht es nicht nur um Staatsschulden, sondern auch um private Schulden. Deutschland ist unmittelbar davon relativ wenig betroffen. Unsere Verschuldung insgesamt ist relativ niedrig, aber in vielen anderen Ländern sieht man diese Entwicklung einfach und die beginnt nicht erst 2008, sondern sie beginnt irgendwann in den 90er Jahren. Und das betrifft nicht nur die Eurozonen. Das betrifft die USA, es betrifft das Vereinigte Königreich, Japan und viele andere Länder. In gewisser Weise erleben wir im Moment so eine Epochenwende, wo man sich schon fragen kann, was eigentlich aus dem Kapitalismus wird. Wenn Sie sagen, der Wirtschaftsjournalismus muss erklären, da haben Sie einerseits recht, andererseits sind wir vor allem glaube ich auch gefordert, zu suchen, erst mal. Weil für vieles, das muss man einfach ehrlicherweise sagen, haben wir auch keine unmittelbaren Erklärungen. Also wir können nicht auf die Lehrbücher zurückgreifen und sagen, jetzt passiert das und das. Sondern in so einer Sondersituation, wie wir die haben, wie wir die seit Generationen nicht erlebt haben und auch in dieser Konstellation noch nie erlebt haben, sind wir alle Suchende, auch die Wissenschaft ist suchend, auch die Journalisten sind suchend und sollten sich auch so verstehen. Das heißt nicht, dass man nicht auch erklären kann, Teilaspekte erklären kann, aber dass man das Gesamtszenario erklären kann in so einem totalen ökonomischen Welterklärungsmodell, das ist einfach Hybris, so sollte man da auch nicht dran gehen.

Tim Pritlove
0:08:46
Henrik Müller
0:08:48

Ja wie gesagt, als Suchender. Also zu gucken, was passiert da eigentlich. Tun wir eigentlich das richtige? Sitzen wir möglicherweise falschen Erzählungen auf oder stimmen eigentlich die Erzählungen, die Narrative, die uns so umtreiben, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Politik als auch in der ökonomischen Wissenschaft. Halten die eigentlich den Faktenstand? Also wenn jetzt die Europäische Zentralbank die Märkte mit Geld flutet und alle sagen ihnen, das muss jetzt sein, dann kann man schon mal fragen, muss das eigentlich sein? Genauso kann man fragen, gerade in Deutschland gibt es ja viele Leute, die sagen, die ruinieren die Währung, stimmt das eigentlich? Ruinieren sie die eigentlich wirklich? Was sind eigentlich die Handlungsoptionen? Warum handeln die jetzt eigentlich so? Und das ist eine sehr schwierige Materie, mit sehr vielen Wechselwirkungen, auch globalen Wechselwirkungen. Wir sehen im Moment, wir haben ja gerade über das Thema Wechselkurse gesprochen, wie die Wechselkurse sich überall bewegen, wer weiß was daraus sozusagen für geopolitische Konstellationen entstehen. Also vielleicht, ich spinne jetzt mal, aber vielleicht fängt China an, irgendwann zu sagen, ihr manipuliert euren Wechselkurs in unfairer Weise und wir haben selber hier Probleme im Moment, jetzt machen wir hier mal ein paar Zollschranken dicht. Oder wir behindern euren Export, gerade auch deutschen Export nach China, weil ihr euch uns gegenüber unfair verhaltet. Also es gibt unglaublich viele Rückwirkungen in dieser Welt und wie gesagt Journalisten und auch Wissenschaftler sollten sich vor allem als Suchende verstehen, auf der Suche natürlich nach Erklärungen, aber nicht so excatedra??? da zu sitzen und versuchen, die Welt zu erklären. Und zu sagen, das ist der Mechanismus und so läuft es. Das halte ich für unseriös.

Tim Pritlove
0:10:31
Henrik Müller
0:10:58
Tim Pritlove
0:10:59
Henrik Müller
0:11:14
Tim Pritlove
0:11:16
Henrik Müller
0:11:18
Tim Pritlove
0:12:09
Henrik Müller
0:12:12

Na es ist eigentlich so eine Art Doppelstudium fast, also die haben auch schon gut zu tun muss man sagen. Also es ist schon auch anspruchsvoll. Und insbesondere wenn Sie nicht der Mathecrack sind ist es anspruchsvoll in den ersten Semestern. Sie müssen erst mal durch diese ganzen VFL-Grundlagen durchkommen. Das halte ich aber schon auch für wichtig. Und zwar aus zwei Gründen, zum einen schult es das Denken, nicht dass Ihnen da unbedingt die Wahrheit erklärt wird, aber es schult das Denken in bestimmten Kategorien und auch Effekte auseinanderzuhalten und sozusagen vernünftige Argumentationslinien aufzubauen, zum anderen ganz praktisch aus Karrieregründen eröffnet das den Studierenden die Möglichkeit nach dem Bachelorabschluss, auch noch was anderes zu studieren. Das ist ja bei Journalistikabschlüssen nicht immer unbedingt so gegeben, da sind Sie jedenfalls viel eingeschränkte, aber mit so einem im Prinzip Doppelabschluss können Sie entweder als Volkswirt weitermachen, Sie können in Richtung Kommunikationswissenschaft weitermachen, Sie können internationale Politik oder was auch immer im Masterstudiengang machen und das ist schon eine tolle Sache. Und egal was Sie hinterher damit machen, ob Sie als Journalist arbeiten, also wir bilden sortenrein als Journalisten aus, speziell mit dieser Perspektive. Aber egal was Sie hinterher machen, ob Sie bei einer Bank arbeiten, in einem Ministerium, bei einer internationalen Organisation oder so, es nützt Ihnen immer, wenn Sie erstens schreiben können, zweitens in ein Mikrofon sprechen und mit einer Kamera umgehen können bzw. Sich vor einer Kamera geben können.

Tim Pritlove
0:13:46
Henrik Müller
0:14:44
Tim Pritlove
0:15:16
Henrik Müller
0:15:19
Tim Pritlove
0:15:47
Henrik Müller
0:15:47
Tim Pritlove
0:16:01
Henrik Müller
0:16:05

Ja so genau so ein bisschen so war das. Und das hat sich inzwischen geändert. Das hat sich geändert. Aber das war so die erste, gerade die erste Woche, bevor die Studenten dann kamen. Also für mich war das ein totaler Kaltstart. Da war erst mal totale Ruhe und ich habe zuerst gedacht, was ist denn hier los. Also man muss sich da erst mal dran gewöhnen, auch diese Ruhe nutzen zu lernen. Das ist mir dann aber ziemlich schnell gelungen und es ist eben so als Professor, dass Sie sich selber Ziele setzen können, Ziele setzen müssen, Projekte anstoßen usw. Und es war dann binnen weniger Wochen eigentlich so, dass ich doch eigentlich genauso viel zu tun hatte wie vorher, nur dass es tatsächlich auch bis jetzt nicht immer bängbängbäng geht, wie das in der Chefredaktion war und was ich ehrlich gesagt sehr genieße. Weil Sie zwischendurch doch viel mehr Zeit haben, nachzudenken, auch echt interessante Diskussionen mit Mitarbeitern, mit Kollegen zu führen. Forschungsprojekte anzustoßen, was wir jetzt versuchen usw. Also das ist eine tolle Sache und ich habe festgestellt, dass so bestimmte Sachen, die ich als Journalist in leitenden Positionen, in Redaktionen gelernt habe oder mir angeeignet habe, sagen wir mal, dass die eigentlich so ähnlich auch an der Uni funktionieren. Also letztlich geht es ja immer darum, Leute zusammenzufinden und in einem Team was neues zu machen. Dass Sie alle irgendwie im Elfenbeinturm, in Ihrem Kämmerchen sitzen und sich irgendwas ausdenken, das mag es geben, aber das ist glaube ich nicht mehr Regel. Sondern in der Regel entsteht neues dadurch, dass man zusammenarbeite, Leute für gemeinsame Ziele, für Projekte begeistert und die dann für sich auch Spaß daran finden und arbeiten. Und ich habe zwei super Doktoranden. Ich habe ein paar wirklich sehr interessante Kollegen, also es macht echt großen Spaß.

Tim Pritlove
0:17:59
Henrik Müller
0:18:05

Ja.

Tim Pritlove
0:18:06
Henrik Müller
0:18:16

Also ich bin gewarnt worden vor der Universitätsbürokratie. Ich erinnere mich an mein Vorsingen in dem Berufungsverfahren, wo mir der eine Prorektor sagte, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie das mit den Gremiensitzungen ist und wie schwierig das alles ist. Und ich habe dann gesagt, ja also ehrlich gesagt, das schreckt mich nicht. Und jetzt im Nachhinein, ich bin inzwischen Fakultätsratsmitglied bei uns auch usw. Also natürlich ist das nicht immer die reine Wonne, in solchen Sitzungen zu sitzen, aber es macht ja auch einen kleinen Teil nur aus. Wenn ich ältere Kollegen höre, wie die über die alten Zeiten des Professorendaseins sprechen, da hat sich natürlich schon eine ganze Menge geändert. Das empfinde ich jetzt aber natürlich als jemand, der von außen kommt, nicht so. Vor allem geht es darum, dass Sie heute als Professor natürlich so eine Art Entrepreneur sind, also insbesondere wenn Sie forschen wollen, müssen Sie eben Gelder dafür ran schaffen. Es ist nicht so, dass Sie irgendwo an einer Stelle – jedenfalls ist das nicht meine Erfahrung – dass Sie zu einer Stelle an er Uni gehen und sagen, ich habe das und das vor und dafür brauche ich jetzt die und die Mittel und so war das wahrscheinlich früher eher. Das ist jedenfalls das was ich höre. Heute sind Sie als Professor im Prinzip in der Pflicht, Mittel einzuwerben. Und da gibt es viele, die das stört. Die sagen, das ist auch mit unabhängiger Wissenschaft eigentlich nicht zu vereinbaren. Ich finde es ehrlich gesagt ganz spannend. Weil das eine Möglichkeit ist, einfach neue Dinge anzustoßen, die man – und das ist ja die Welt aus der ich komme, in der Verlagswelt – eigentlich gar nicht mehr hat. Sondern da geht es überwiegend um Abbau und irgendwie das zu halten, was man hat. Aber hier gibt es schon die Möglichkeiten, indem Sie Mittel von außen rein holen, indem Sie Leute dafür begeistern, was Sie vorhaben, Neues anzustoßen. Und das finde ich schon ???. Also mir liegt das glaube ich und ich hoffe, dass wir da Erfolg haben in dieser Hinsicht.

Tim Pritlove
0:20:14
Henrik Müller
0:20:55
Tim Pritlove
0:21:39
Henrik Müller
0:21:41

Sonst wird man nicht ernst genommen. Aber mein Eindruck ist, dass der Journalismus, wie wir ihn denn draußen so mitkriegen, und wie er sich heute in der Realität vielfach darstellt, diesem Ideal eigentlich oft nicht gerecht wird, sondern dass die schon eindeutig sehen, durch wen Artikel oder Beiträge beeinflusst sind. Und so sollte das eigentlich nicht sein. Sondern Journalisten, ein guter gerade Wirtschaftsjournalist, der ja auf der anderen Seite mit massiven Interessen konfrontiert ist, seitens der Unternehmen, seitens der Politik, auch durch inzwischen durch NGOs und so weiter. Überall prasseln Interessen auf sie ein. Der sollte sich oder die sollte sich einen unabhängigen Blick möglichst bewahren und dazu brauchen sie eine gute Ausbildung. Sie müssen einschätzen können, was ihnen so erzählt wird. Sie müssen Interessen einschätzen können, die ihnen erzählt werden und sie müssen einen eigenen Standpunkt entwickeln. Und ich versuche, meinen Studierenden nicht diesen Standpunkt vorzugeben. Also zu sagen, du musst so oder so sein, du musst irgendwie keine Ahnung neoliberaler sein oder linker oder ein Kensianer??? oder irgendwas, aber die müssen, sollen ihren eigenen Standpunkt entwickeln und sollen sich auch darüber klar sein, aus welcher Warte auch immer … ... das hat ja viel damit zu tun auch mit dem persönlichen Hintergrund. Aus welcher sozialen Schicht komme ich, was habe ich für Erfahrungen gemacht usw. Sich bewusst zu sein, aus welchem Hintergrund man auch die Realität beurteilt und warum einem bestimmte Positionen sympathisch sind und andere nicht. Also so ein ständiger Reflexionsgrad.

Tim Pritlove
0:23:13
Henrik Müller
0:23:20
Tim Pritlove
0:24:00
Henrik Müller
0:24:09
Tim Pritlove
0:24:22
Henrik Müller
0:24:26
Tim Pritlove
0:25:41
Henrik Müller
0:26:32

Ich habe den Eindruck und das kann man auch messen. Ich habe den Eindruck, dass solche Herdentriebe, solches Herdenverhalten im Journalismus immer stärker wird. Und das liegt insbesondere auch an der Digitalisierung und an diesem Zwang, möglichst viele Klicks zu generieren, um die Werbeauslieferungen finanzieren zu können. Das heißt nicht unbedingt, dass das immer alles falsch ist was da steht, aber es springen alle auf ein Thema drauf. Und dabei geht einfach vieles unter. Also man braucht gar nicht anzufangen mit der Wulff-Geschichte damals, was glaube ich kein Musterbeispiel war für guten Journalismus. Aber das gilt im Moment auch zum Beispiel für die Griechenland-Berichterstattung. Also wir betrachten oder auch in den letzten Jahren, wir betrachten die Eurozone immer aus Sicht von Griechenland und immer auf irgendwelche Schlüsselereignisse hin. Es gibt wieder irgendein Treffen in Brüssel, wo es um die nächste Trange??? geht. Und dann gibt es sozusagen so einen medialen Overkill, wo dann so viel drüber berichtet wird bis es wirklich keiner mehr hören kann. Und dann versinkt das Thema wieder irgendwo in der Vergessenheit bis zum nächsten Schlüsselreiz sozusagen, zum nächsten Schlüsselereignis und dann steigen wieder alle drauf. Das ist eigentlich nicht so, wie ich mir die Funktionsweise des Wirtschaftsjournalismus vorstelle. Sondern der sollte im Prinzip, wenn Sie denn auf der Suche sind nach der Wahrheit und dem was sich da gerade draußen verändert, sollten Sie eigentlich bevor solche Entwicklungen eintreten reagieren. Also der ganze Weg in die Finanzkrise ist in der Retrospektive für mich eigentlich noch rätselhafter als er damals schon war. Weil man sieht, man konnte damals auch sehen, Mitte der 2000er Jahre konnte man sehen, wo wir rein laufen. Und nicht nur ich, auch andere haben immer mal wieder drüber berichtet, das hat aber das Grundnarrativ nicht verändert. Das Narrativ lautete, Finanzmärkte sind stabil, Schulden sind irrelevant, wir haben jetzt Globalisierung, der Euro ist super, wir haben ja auf einmal neue Wirtschaftswunderländer wie Spanien und Irland, da kann im Prinzip gar nichts schief gehen. 2008/2009/2010 haben wir gemerkt, wir haben einen riesigen Mist angerührt. Mit einer über viele Jahre vollkommen übermäßigen Verschuldung und zwar insbesondere der privaten Sektoren. Da hat keiner drauf geguckt. Das war außerhalb des Narrativs. Man konnte das zwar sehen und wie gesagt, wir haben ja immer mal wieder Geschichten darüber geschrieben. Ich habe viele Geschichten darüber geschrieben, über Ungleichgewichte international, innerhalb der Eurozone. Wie sich die Lohnstückkosten auseinanderentwickeln innerhalb der Eurozone. Also wie Länder immer weniger wettbewerbsfähig werden und wir gar keinen Mechanismus dafür haben, wie das früher der Wechselkurs mal war, um Länder auf die Schnelle wieder wettbewerbsfähig machen zu können. Das lag alles auf dem Tisch und hier und da wurde auch mal drüber berichtet. Es gab auch immer mal wieder irgendwelche wissenschaftlichen Studien darüber, aber im Prinzip hat das das Narrativ nicht verändert, sondern dieses dominante Narrativ, dass wir uns sozusagen in einer neuen Welt bewegen, wo solche Dinge alle keine Rolle mehr spielen, das war so stark, und hat die Wirklichkeit so überstrahlt, dass wir kollektiv in eine falsche Richtung gelaufen sind und mit den Folgen haben wir bis heute zu kämpfen und es ist noch lange nicht vorbei.

Tim Pritlove
0:29:55
Henrik Müller
0:30:34
Tim Pritlove
0:31:31
Henrik Müller
0:31:34
Tim Pritlove
0:31:36
Henrik Müller
0:31:36
Tim Pritlove
0:31:40
Henrik Müller
0:32:05
Tim Pritlove
0:32:44
Henrik Müller
0:33:44

Also erstens, unsere Studierenden durchlaufen natürlich bei uns die Online-Lehrredaktion und Online ist wenn man so will eigentlich das Zentrum der praktischen Journalistenausbildung, weil da letztlich alles zusammenfließt. Also das was man für Printjournalismus braucht, das was man für Fernsehen, also Bewegtbild und für Radio braucht, das fließt letztlich ja alles bei Online zusammen. Also es ist in gewisser Weise inzwischen das Zentrum der Ausbildung. Blogs sind eine interessante Geschichte, auch Kommentarfunktionen auf Webseiten sind eine interessante Geschichte, dadurch wird natürlich sozusagen der Journalismus in seiner Deutung bestreitbar und man kann auch auf Dinge hinweisen. Also damit passiert genau das möglicherweise, dass sie sagen, solche dominanten oder hegemonialen sogar Narrative in Frage gestellt werden. Das ist erst mal eine gute Sache. Ist glaube ich auch für das Mediensystem insgesamt eine gute Sache, dass es das gibt. Was es aber nicht überflüssig macht oder nicht überflüssig machen sollte ist, dass sie den Journalisten oder die Redaktion als sozusagen in gewisser Weise neutrale Funktion da haben, die ein Faktencheck macht, die eine Abwägung vornimmt usw. Was ich wahrnehme ist, was es an Blogs gibt, dass ist ganz oft immer in die gleiche Richtung. Es bilden sich bestimmte Communities, die bestimmte Grundüberzeugungen auch ideologische Grundüberzeugung verfolgen und sich immer nur gegenseitig bestätigen. Als Journalist sollten Sie eigentlich genau das Gegenteil tun. Sie sollten die Leute überraschen. Und Sie sollten sie auch vor kritische Fragen stellen. Und ich hoffe, dass es diese Öffentlichkeit auch in Zukunft geben wird, die sich dem aussetzt und die kritische Fragen sich auch selber stellen will.

Tim Pritlove
0:35:37
Henrik Müller
0:35:50
Tim Pritlove
0:36:02
Henrik Müller
0:36:04
Tim Pritlove
0:36:06
Henrik Müller
0:37:08

Ja. Also wenn ich mir angucke, was die Berufschancen, unsere Einstiegschancen unserer Absolventen angeht, dann glaube ich, dass die zum Teil jedenfalls gute Chancen haben, und zwar insbesondere im öffentlich-rechtlichen Bereich. Da gibt es nämlich und das ist auch ein Grund, weshalb dieser Studiengang überhaupt eingerichtet wurde oder diese Studiengänge, es gibt ja auch noch einen Masterstudiengang Economics und Journalismus, warum diese Studiengänge eingerichtet worden sind, ist, weil es natürlich von da gerade auch einen Bedarf gibt an Leuten, die sich mit Wirtschaftsthemen auskennen, mit Wirtschaftsfragen auskennen und die sich mit den elektronischen Medien im weiteren Sinne auskennen und die das können. Deswegen glaube ich, da werden eine Menge von unseren Leuten unterkommen. Diesen Bedarf gibt es und zwar nicht nur in der Wirtschaft selber, sondern das spielt ja in vielen anderen Bereichen auch eine Rolle. Also bis hin zur Außenpolitik, in der Innenpolitik, in der Kommunalpolitik, überall. Dann stimmt es natürlich, es gibt eine Menge junger Journalisten, die inzwischen eben als Entrepeneur mit einem ganzen Portfolio sozusagen von Fähigkeiten und von Angeboten über die Runden kommen müssen, teilweise auch das gut tun, das muss man schon sagen. Also da gibt es schon eine ganze Menge, die als selbstständige Journalisten über verschiedene Kanäle auch ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Und das ist auch, ich habe letztes Jahr mal unter, im letzten Volontärsjahrgang, also die Studenten gehen ja ein Jahr lang während des Studiums in ein Volontariat, was durch die Uni vermittelt wird, also bei uns durch das Institut vermittelt wird. Und habe denen vorher so einen Fragebogen geschickt vor diesem Seminar, was ich mit denen begleitend gemacht habe zu dem Volontariat, und da war immer noch das Leitbild, ja wir würden eigentlich gerne festangestellt in einer Redaktion arbeiten, aber die allermeisten haben gesehen, dass das wahrscheinlich unrealistisch ist. Also da reden wir jetzt über die normalen Journalistikstudenten. Meine ersten Journalistikstudenten gehen ja jetzt erst im Herbst in die, die wirtschaftspolitischen Journalisten, gehen jetzt erst im Herbst in die Redaktionen. Also die meisten von denen haben gesehen, dass das für die unrealistisch ist und dreiviertel haben gesagt, ja wir müssen eigentlich mit so einem Portfolio, mit so einem Bauchladen, der von vielleicht einem eigenen Blog bis hin zu Medientraining, was wir anbieten, für Landesmedienanstalten und so weiter über die Runden kommen, und wir sind aber optimistisch, dass wir das hinkriegen, auch mit einem vernünftigen Lebensstandard. Sie haben eben gesagt, sollte man nicht so eine Onlinezeitung gründen als Student, da bin ich ehrlich gesagt skeptisch. Also kann man natürlich machen, aber erst mal müssen sie was zu erzählen haben. Also sie müssen ja erst mal was wissen. Bevor sie was schreiben oder was senden können, müssen wir erst mal was wissen. Und wenn sie das haben, das können sie natürlich auch als Student haben, wenn sie eine Botschaft haben, wenn sie einen bestimmten Ansatz haben, wenn sie tolle Geschichten haben, dann können sie das natürlich tun. Aber einfach so zu sagen, ich blog jetzt mal und erzählt jetzt, was mir heute so durch den Kopf geht oder so. Kann man machen, aber das ist kein Journalismus.

Tim Pritlove
0:40:23
Henrik Müller
0:41:23
Tim Pritlove
0:42:45
Henrik Müller
0:42:48

Ja.

Tim Pritlove
0:42:50
Henrik Müller
0:44:02

Ja, also es gibt bei meinem Kollegen Holger Wormer, der bei uns den verschwisterten Studiengang Wissenschaftsjournalismus betreibt, der hat ein eigenes Zweitfach jetzt sozusagen geschaffen, Datenjournalismus. Also Sie können sich bei uns darauf spezialisieren. Meine Studierenden machen erst mal im Grundstudium so eine Einführungsveranstaltung jedenfalls Datenjournalismus. Wir kooperieren da auch mit der Informatik bei uns, die eine große Fakultät ist an der TU. Das ist das eine. Dann was ich – das hat aber mit Datenjournalismus, sozusagen mit den neuen Tools, die es da gibt, den neuen Methoden, die es da gibt, erst mal nicht zu tun – aber was ich als Ansatzpunkt meinen Studenten mitgebe ist, guck erst mal auf die Daten. Und es gibt einfach eine Menge Wirtschaftsdaten, die frei und einfach verfügbar sind. Dazu brauche ich keine großartigen Tools, sondern ich muss einfach mir ständig die relevanten Zeitreihen angucken und daraus komme ich schon auf eine ganze Menge interessanter Themen oder Fragestellungen. Also wenn ich sehe, dass ich ganz offenbar eine Trendwende in der Zeitreihe habe kann ich mich schon fragen, wo kommt die eigentlich her? Und dahinter stecken in aller Regel Geschichten. Also erst mal und auch wenn ich eine bestimmte journalistische Fragestellung beantworte, auch wenn ich selber was schreibe, auch wenn ich für Spiegel-Online was schreibe, ich gucke mir erst mal die Zahlen an. Gucke mir erst mal die relevanten Zahlen an. Weil Sie erleben ganz viel an Berichterstattung und das ist meiner Einschätzung nach in Radio und Fernsehen noch mehr so, als im gedruckten Journalismus oder im Internet, weil es da auch leichter nachvollziehbar ist. Es wird ganz viel behauptet, was vollkommen ohne Kenntnis von irgendwelchen empirischen Fakten ist. Und so darf gerade wirtschaftspolitischer Journalismus nicht sein.

Tim Pritlove
0:45:53
Henrik Müller
0:45:58
Tim Pritlove
0:46:34
Henrik Müller
0:47:31

Also volkswirtschaftlich ist natürlich schon heißt immer ja letztendlich eine politische Dimension. Das heißt im Gegensatz zum Unternehmensjournalismus oder zum Börsenjournalismus oder zur BWL als Wissenschaft, da geht es ja immer letztlich um den einzelnen Akteur oder es geht darum, Instrumente zu entwickeln, die das Arbeiten als Manager verbessern oder so. Oder die ihre Geldanlageerträge maximieren und so was. Diesen Blickwinkel haben sie ja als Volkswirt nicht, sondern als Volkswirt haben sie den Blickwinkel eigentlich wie das immer so schön heißt, die Wohlfahrt zu maximieren. Also den übergeordneten gesellschaftlichen Blickwinkel. Und wirtschaftspolitischer Journalismus heißt im Prinzip für mich, diesen Blickwinkel zu übertragen auf den Journalismus. Also ich gucke mir nicht nur an, was bedeutet das eigentlich für mich als Geldanleger oder als sozialversicherungspflichtig Beschäftigter oder als was weiß ich was Transferempfänger, als Rentner oder sonst was oder als Verbraucher, das sind ja alles Spielarten des Journalismus, auch des Wirtschaftsjournalismus. Sondern ich gucke mir das sozusagen aus dem übergeordneten Gesichtspunkt an, wo ich ja letztlich die Gesellschaft oder am Ende, wenn man so will, die Welt als ganzes, wenn wir über weltwirtschaftliche Zusammenhänge oder auch soziale Zusammenhänge über Grenzen hinweg uns unterhalten, versuche ein Gesamtbild zu schaffen und versuche auszutarieren, wen betrifft das eigentlich wo wie. Und das ist erst mal politisch, weil da geht es um das Ganze. Und die Frage ist dann immer, was heißt eigentlich Wohlfahrtsmaximierung, das ist ja auch bei den Ökonomen eine schwierige Frage, und da sind wir dann dabei, dass jeder sozusagen seinen eigenen Blickwinkel auch entdecken muss dafür. Also was ist ihnen eigentlich wichtig, sind sie – und das ist dann eine individuelle Frage, also ihrer persönlichen Präferenzen auch als Journalist, aber derer sollten sie sich bewusst sein. Also interessiert sie vor allem keine Ahnung Wachstum oder interessiert sie vor allem die Reichen oder interessiert sie vor allem das Neue, also Innovation, Forschung und so weiter oder interessieren sie vor allem die Schwachen in der Gesellschaft. All das hat seine Berechtigung, sie sollten sich dann ihres eigenen Fokus und ihrer eigenen Vorurteile, mit denen sie durch die Welt rennen, bewusst sein, und das eben auch reflektieren. Aber erst mal geht es darum, sozusagen so einen übergeordneten Gesichtspunkt, aus dem übergeordneten Gesichtspunkt wirtschaftliche, wirtschaftspolitische Zusammenhänge zu verstehen und dann sich selbst auch als wirtschaftspolitischen Akteur zu verstehen. Weil natürlich sind wir als Wirtschaftsjournalisten, wirtschaftspolitischen Journalisten auch Akteure und stehen in diesem Spannungsfeld aus Interessen und so weiter und sollten uns da auch durch wie gesagt Wissen und Können möglichst raus ziehen aus diesem Geflecht und eine eigenständige Rolle spielen und die auch bewusst spielen.

Tim Pritlove
0:50:31
Henrik Müller
0:51:01
Tim Pritlove
0:51:04
Henrik Müller
0:51:05
Tim Pritlove
0:51:58
Henrik Müller
0:51:59
Tim Pritlove
0:52:47
Henrik Müller
0:52:53

Ja das soll jedes Jahr stattfinden. Also das will ich sowohl für Brüssel, also was die EU-Kommission angeht, auch was das Parlament angeht, was auch Lobbyisten angeht, mit denen haben sie ja auch zu tun. Mit denen müssen sie auch den Umgang lernen als Studenten. Dann für Berlin ist natürlich auch ein wichtiger Standort eben desgleichen. Die relevanten Ministerien kennenlernen, mal mit so einem Sprecher sich zusammensetzen, mal merken, wie der eigentlich tickt. Auch überhaupt die Scheu zu verlieren vor großen Tieren sozusagen. Also wie gesagt die relevanten Bundesministerien, auch da Verbände, Gewerkschaften, usw. Und dann auch Frankfurt. Also insbesondere Europäische Zentralbank und Bundesbank, die da eine Rolle spielen. Also das ist eigentlich das, die will ich eigentlich abdecken im Studium sozusagen, dass man zumindest mal diesen Kontakt hat. Was wir dann zusätzlich machen ist, wir machen eine Veranstaltungsreihe die heißt die Wirtschaftsmacher, wo wir Journalisten einerseits einladen von außen, also in der Regel aus Führungspositionen, die dann von den Studierenden in so einer Art Talkshow-Setting sozusagen befragt werden, teilweise auch gegrillt werden. Und wo wir aber auch Leute aus angrenzenden Bereichen dazu bitten. Also wo dann zum Beispiel wir hatten da letztes Jahr den Sprecher von Mckinsey da, der auch früher mal Journalist war. Oder den Sprecher der Bundesbank und so. Jetzt haben wir einen Kommunikationsberater, der früher auch mal Journalist war und der sich jetzt vor allem mit Krisen-PR beschäftigt und so weiter. Die kommen dann auch in dieser Reihe vor. Auch um nochmal so ein bisschen den Blickwinkel zu weiten. Und dann, was ich seit Herbst letzten Jahres oder was ich da zum ersten Mal gemacht habe, ist, einen Kongress zu veranstalten. „On the record“ heißt das. Ist eine Veranstaltung, da haben wir 200 Gäste. Headliner sozusagen war Peer Steinbrück. 200 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Medien, Wissenschaft, Ökonomen auch dabei. Chef der Wirtschaftsweisen war dabei und so. Chef der IGBCE. Und wo eben meine Studenten auch teilnehmen und wo die in Zukunft auch noch mehr eine Rolle sozusagen auf der Bühne als Interviewer und so weiter wahrnehmen werden. Und auch da geht es darum, die im Umgang mit den Entscheidern sozusagen auch zu trainieren. Und denen zu zeigen, ihr könnt euch denen nähern, ihr könnt denen standhalten, ihr müsst keine Scheu haben vor denen. Das ist ja das schlimmste finde ich für Journalisten ist, wenn sie in ihrem Büro sitzen und von da aus die Welt beurteilen und auch Entscheider sozusagen beurteilen und über die urteilen, ohne sie überhaupt zu kennen. Also das ist schon mein Anspruch. Sie sollten schon die Leute, über die sie urteilen auch kennen. Und sollten den Umgang mit denen pflegen. Und zwar auf einer distanzierten Ebene und auf Augenhöhe wie gesagt, aber sie sollten sich sozusagen auch als wirtschaftspolitischer Journalist nicht unbedingt als Underdog fühlen. Sondern sie sollten sich als Player genau.

Tim Pritlove
0:56:01
Henrik Müller
0:56:14
Tim Pritlove
0:56:17
Henrik Müller
0:56:49
Tim Pritlove
0:58:11
Henrik Müller
0:58:43

Das ist ein heikles Feld, muss man sagen, das ist ein heikles Feld. Bisher habe ich das nicht thematisiert. Natürlich ist es mir immer am liebsten, wenn jemand sortenrein als Journalist arbeitet. Dass das in dieser Zeit vielleicht nicht immer unbedingt geht ist eine andere Sache und das muss jeder auch aufrichtig für sich selbst beurteilen, inwieweit er abhängig ist, wenn er über bestimmte Sachen berichtet. Also wenn ich Sportjournalist bin und nebenbei für eine Skifirma irgendwelche PR-Texte schreibe, dann sollte ich vielleicht den Skitest für die Skizeitschrift jemand anders überlassen. Also soviel inneren Anstand muss man dann schon von den einzelnen erwarten. Ich glaube ehrlich gesagt, da gibt es keine einfachen Lösungen. Beim Managermagazin in der Redaktion war das ganz klar. Also wir haben nie Geld genommen für Vorträge oder für irgendwas, sondern wenn haben wir gesagt, wenn ihr was geben wollt ist gut, aber spendet das direkt, ich will das gar nicht auf meinem Konto haben. Da ist das ganz klar, da haben Sie eine Institut, dieses Blatt, was Sie gut bezahlt und dafür sollten Sie dann Ihre Unabhängigkeit soweit wahren. Und das brauchen Sie auch gerade da, weil in den Agenturen, da sind Sie natürlich in einer Position, wo Sie die ganze Zeit irgendjemandem auf die Füße treten. Und da sollten Sie sich nicht in irgendwelche Abhängigkeitspositionen begeben. Auch das ist ein heheres Prinzip, was auch nicht mehr überall gilt, das muss man auch sagen. Also da ist viel im Fluss und erst mal glaube ich muss man Journalisten, auch gerade junge Journalisten dafür sensibilisieren, dass es da Interessenkonflikte gibt, die sie möglichst umschiffen sollten.

Tim Pritlove
1:00:29
Henrik Müller
1:00:50
Tim Pritlove
1:00:54
Henrik Müller
1:00:58
Tim Pritlove
1:01:00
Henrik Müller
1:01:21

Also das Buch ist geteilt in sieben Teile. Also diese 50 Irrtümer teilen sich auf sieben Bereiche zu. Und das ist so geschrieben, das ist jedenfalls der Anspruch, dass sie jeden einzelnen Irrtum auf wenigen Seiten, also diese einzelnen Kapitel, die haben dann 3-5 Seiten oder so, jeder einzelne Irrtum. Den können Sie mal eben zwischendurch lesen auf einer Busfahrt oder so. Wenn Sie so einen ganzen Teil lesen, dann sollen Sie sozusagen ein relativ umfassendes Bild davon kriegen von der Debatte und auch noch ein paar Ideen, die ich mir so dazu gemacht habe, paar Gedanken, die ich mir dazu gemacht habe mitnehmen. Das fängt an mit dem Thema Wachstum. Also ist eigentlich das Wachstum vorbei? Wir haben ja im Moment doch so ein man kann sagen Fortschrittspessimismus. Und ich lasse sozusagen einmal die Debatte revue passieren, also woher kommt eigentlich dieser Pessimismus, was wird im Moment an Erklärungsansätzen diskutiert. Dafür warum wir diese Wachstumsschwäche haben, diese geringe Dynamik in vielen Ländern, ja nicht nur im Übrigen im Westen, sondern auch in China inzwischen und so weiter. Und stemme mich dann mit aller Kraft dagegen und sage, das ist eigentlich falsch, hier dieser Pessimismus ist falsch. Und der Pessimismus selber ist natürlich zum Teil dafür verantwortlich, dass wir diese Schwäche an Dynamik haben. Dann gibt es einen anderen Teil, da geht es um das Thema Arbeit. Da geht es um Fragen wie, geht uns eigentlich die Arbeit aus oder wird nur schlechte Arbeit immer mehr. Also solche Fragen, die ich auch an den Zahlen und an der Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte und an der internationalen Entwicklung spiegele. Dann gibt es natürlich einen Teil zum Thema Euro. Eurokrise, 10 Irrtümer dazu, damit habe ich mich ja viel beschäftigt, da habe ich auch schon diverse Bücher vorher geschrieben. Also es geht bis hin zu gesellschaftlichen Fragen, Verteilungsfragen, Fragen internationaler Sicherheit, die auch immer einen Wirtschaftszusammenhang haben. Also es gibt auch einen Teil zum Thema Globalisierung. Also ein breites Spektrum.

Tim Pritlove
1:03:34
Henrik Müller
1:03:36
Tim Pritlove
1:04:15
Henrik Müller
1:04:54

Es haben sich eigentlich, also ich hatte dieses ganze Thema Forschung schon so ein bisschen im Blick, als ich an die Universität gekommen bin, hatte aber nicht wirklich eine Ahnung, wie ich das eigentlich machen soll. Also mit welchen empirischen Methoden vor allem, wer sind eigentlich mögliche Kooperationspartner dafür und so weiter. Ich bin ja von Haus aus, sage ich immer, Makroökonom, das heißt mich beschäftigen vor allem eben diese großen wirtschaftlichen Fragen. Also wohin entwickeln sich ganze Volkswirtschaften, ganze Gesellschaften und so weiter. Und ich bin sehr erfreut darüber, dass wir jetzt eine Kooperation laufen haben mit einem Kollegen in der Informatik, der Data-Mining-Experte ist, einen Lehrstuhl für Data-Mining hat und in einem Kollegen in der Statistik, der statistische Methoden erforscht. Vier Doktoranden sind im Moment dabei, zwei von mir, jeweils einer von den beiden anderen. Was wir versuchen ist, also vielleicht nochmal ganz kurz, wie das überhaupt entstanden ist. Auch reiner Zufall. Der Kollege Kersting, das ist der Informatiker und ich, sind gemeinsam eingeschworen worden als neue verbeamtete Professoren und saßen gemeinsam bei der Rektorin und die dann uns sozusagen miteinander ins Gespräch brachte und sagte, vielleicht könnt ihr ja mal was zusammen machen. Und wir stellten dann fest, obwohl wir auch so vollkommen verschiedenen Welten eigentlich erst mal kommen, dass wir eigentlich ganz ähnliche Interessen haben. Dass wir nämlich solche Themenkonjunkturen uns zum Beispiel angucken wollen. Dass wir uns angucken wollen, kann man eigentlich zum Beispiel Themenverläufe prognostizieren. In welchem Verhältnis steht eigentlich die Berichterstattung zu den ökonomischen Fakten oder den gesellschaftlichen Fakten, was da drunter liegt. Und daraus ist jetzt eine wirklich produktive Zusammenarbeit geworden. Eben auch dadurch, dass die unsere Doktoranden da jetzt so schöne Fortschritte machen. Und das Ziel, was ich dabei verfolge, ist, zum einen einen Beitrag zu leisten auch zur ökonomischen Forschung, in der ja solche gesellschaftlichen Dynamiken, die man aber in Mediensystemen zum Beispiel finden kann, keine Rolle spielen. Also Sie finden in kaum einem ökonomischen Modell irgendwie so was, wie eine gesellschaftliche Stimmung, ein bestimmtes Narrativ sozusagen, dem die Leute nachlaufen und so weiter. Aber gerade die Finanzkrise, wir haben ja vorhin drüber gesprochen, oder der Weg in die Finanzkrise hat ja nochmal gezeigt, wie wichtig das eigentlich ist, solche sozialen Dynamiken eigentlich mit zu betrachten, wenn wir uns wirtschaftliche Entwicklungen angucken. Also ich hoffe, dass wir da einen Beitrag leisten können, indem was wir da empirisch erforschen. Für zum Beispiel so was wie die Theorie der Erwartungsbildung. Das ist so ein Zweig, der insbesondere der Makroökonomik. Und damit auch möglicherweise Prognosen verbessern können. Also auch vielleicht ökonomische Prognosen verbessern können. Vielleicht Frühwarnsysteme entwickeln können für die wirtschaftliche Entwicklung. Nämlich da, wo sich vielleicht die Realität von dem dominanten ökonomischen Narrativ entfernt. Und zu sagen, hier Achtung. Wie wir das machen ist im Prinzip mit Big-Data-Analysen. Also das ist schon eine tolle Sache, die wir da jetzt in der Entwicklung haben, wo wir jetzt 100.000 oder jetzt Millionen von Artikeln simultan analysieren und mit Methoden, die durchaus verwandt sind dem, was im Datenjournalismus betrieben wird, große Textarchive jetzt erst mal analysieren. Wir haben den Spiegel zum Beispiel seit 1947 bis 2014 in digitalisierter Form vorliegen. Handelsblatt, Wirtschaftswoche, Süddeutsche Zeitung, mit anderen sind wir im Moment im Gespräch.

Tim Pritlove
1:08:29
Henrik Müller
1:08:30

Ja Managermagazin wäre kein Problem. Ist aber als Monatsmagazin schwierig, weil sie so eine geringe Fallzahl haben. Big Data heißt ja immer, Sie brauchen große Datenmengen, um Muster zu erkennen darin, darum geht es. Es geht im Prinzip darum, Muster zu erkennen. Und das interessante daran ist, dass diese Algorithmen in diesen Topic-Modelling-Modellen, wie das heißt, das ist jetzt eigentlich so eine Entwicklung der letzten Jahre erst, auf die wir da zurückgreifen. Aber jetzt erst die Rechenkapazitäten dafür zur Verfügung stehen. Das wir da unvoreingenommen Inhalte finden. Also wir müssen nicht mit einer bestimmten Frage daran gehen und sagen, finde mal das und das oder finde den und den Zusammenhang und dann findet der den natürlich. Sondern der Algorithmus sucht als erstes Mal unvoreingenommen, welche Muster finde ich eigentlich. Und der findet dann tatsächlich Themen und findet auch Themenkarrieren. Und findet Begriffe, also große Begriffswolken, wenn man so will, die diese Themen charakterisieren. Und die auch, wenn Sie die näher angucken, die absolut Sinn machen. Und was ganz toll ist dabei, ist, dass diese Methode basiert erst mal nicht auf linguistischen Verfahren, sondern erst mal nur auf einer reinen Wahrscheinlichkeitsbetrachtung, die ist sprachunabhängig einsetzbar. Sprachunabhängig einsetzbar, das heißt Sie können auf verschiedene Sprachräume damit, können das auf verschiedene Sprachräume anwenden und können Unterschiede in den Narrativen oder in den Erzählungen, in den wichtigen Themen, in den Themenkarrieren usw. feststellen und analysieren.

Tim Pritlove
1:10:09
Henrik Müller
1:10:23

Das könnte sein, wir sind im Moment ganz am Anfang. Wir haben jetzt neulich mal erste Tests gemacht und haben einen Vergleich gemacht der Wirtschaftsthemen des Jahres 2014 in El País und der Süddeutschen Zeitung. Und es ist schon interessant, also wie einiges, das waren nicht nur Wirtschaftsthemen, sondern insgesamt alles was die berichtet haben, das ist schon interessant. Dass es bestimmte Entwicklungen gibt, die uns alle betreffen, also gemeinsam, Spanien und Deutschland betreffen, über die wir ganz unterschiedlich debattieren. Also zum Beispiel das Thema Flüchtlinge wird in Spanien ganz anders diskutiert als hier. Das ist auch erst mal nicht verwunderlich, aber es ist einfach interessant zu sehen, dass der Algorithmus das von alleine findet. Und dann können Sie tiefer reingehen und sagen, was sind denn da eigentlich die relevanten Themen und was sind bei uns die relevanten Themen und wer sind die relevanten Spieler und die relevanten Fragen usw. Wir haben auch gesehen, dass zum Beispiel dieses ganze Thema Russland-Ukraine Krise ganz ähnlich auch geframed wird, also da gibt es fast keinen Unterschied zwischen der linksliberalen spanischen Zeitung El País und der linksliberalen deutschen Zeitung Süddeutsche. Und das Ziel dabei ist und das ist das, was mich eigentlich antreibt dabei, ist, dass wir Instrumente schaffen wollen, die Europa besser miteinander ins Gespräch bringen. Wir haben ja, wenn man so will, ist das was wir in .. sind die Medien das Missing-Link eigentlich bei der europäischen Integration. Wenn wir darüber reden, dass wir eigentlich mehr Föderalisierung in Europa bräuchten, dann heißt das, wir müssen gemeinsam Institutionen schaffen, die müssen aber demokratisch legitimiert sein, die sind aber nur demokratisch legitimierbar, wenn wir eine gemeinsame Öffentlichkeit haben. So und das ist im Prinzip der Punkt, an dem man auch in der ganzen Diskussion über weitere europäische Integration usw. dann nicht weiter kommt. Die gibt es eben nicht, diese gemeinsame europäische Öffentlichkeit, sondern wir erleben im Gegenteil, dass im Zuge der Krise wir zwar vielleicht über die gleichen Themen diskutieren oder über ähnliche Themen, dass wir die aber aus einer sehr national gefärbten, jeweils sehr unterschiedlichen Sichtweise framen, unterschiedlich betrachten. Und es findet kaum so eine Übersetzung statt von einem Land ins andere. Es ist uns kaum bewusst, wie anders, wie die Diskussion in anderen Ländern eigentlich abläuft. Und das betrifft ja nicht nur uns als Normalbürger, sondern das betrifft auch die Profis. Also die Profis in den Medien, aber auch Entscheider oder Kommunikatoren in Institutionen wie der Europäischen Kommission, wie den nationalen Ministerien, wie den Notenbank, wie den NGOs usw. Also es gibt ja viele Leute, die eigentlich grenzüberschreitend kommunizieren, die aber letztlich nur so ein kursorisches Wissen darüber haben, was da eigentlich abgeht in den jeweiligen Ländern, was ist eigentlich gerade Thema. Und das ist sozusagen die Vision, für die jetzt gerade so ein ...- die wir gerade entwickeln und für die ich gerade Geldgeber suche. Eine Echtzeitanalyse der europäischen Öffentlichkeiten machen zu können. Davon sind wir im Moment noch ein bisschen weg, sowohl was die Methoden angeht, als auch was die Verfügbarkeit von Daten angeht, aber ich bin guter Dinge, dass wir das in den nächsten 3-4 Jahren hinkriegen. Weil sich auch, das ist ein Vorteil der Digitalisierung, sie haben eben viele aktuelle Medien in digitaler Form vorliegen. Das heißt Sie müssen nicht immer unbedingt ständig in Echtzeit irgendwelche Pressearchive sozusagen abfordern. Das ist für mich so ein Projekt, dass wir uns angucken, wie funktionieren eigentlich diese Öffentlichkeiten in Europa und wo gibt es sozusagen Dissonanzen und wo gibt es vielleicht auch Konsonanzen. Und damit erst mal sozusagen so eine Transparenz herzustellen dafür, wie die unterschiedlichen nationalen Diskurse eigentlich laufen. Gerade bei Fragen, die uns gemeinsam betreffen. Das ist ja schon interessant, dass wir jetzt im Jahre 5 der Eurokrise sind und immer noch keine gemeinsamen Lösungen gefunden haben eigentlich, sondern immer noch über Griechenland, immer noch über Austerität??? und dieser gemeinsame Diskurs eigentlich nicht stattfindet, sondern wir jeweils in dein einzelnen Ländern eigene dominante Narrative haben zu diesen Fragen, die kaum kompatibel sind. Und das ist uns noch nicht mal bewusst letztlich.

Tim Pritlove
1:14:57
Henrik Müller
1:15:09
Tim Pritlove
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Henrik Müller
1:15:57
Tim Pritlove
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Henrik Müller
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Tim Pritlove
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Henrik Müller
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Tim Pritlove
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Henrik Müller
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Tim Pritlove
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Henrik Müller
1:20:00
Tim Pritlove
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Henrik Müller
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Tim Pritlove
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Henrik Müller
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Tim Pritlove
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Henrik Müller
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Tim Pritlove
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Henrik Müller
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Tim Pritlove
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