Forschergeist
Horizonte für Bildung und Forschung
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Bürgerwissenschaften als Ergänzung des professionellen Wissenschaftsbetriebs
Das Wissenschaftssystem hat über Jahrhunderte seine heutige Form gefunden und findet sich in Zeiten hochverfügbarer Technologie und breiter Bildung der Gesellschafts einer interessanten Gemeinschaft von Amateurwissenschaftlern gegenüber. Unter dem Begriff Citizen Science sammelt sich das Engagement dieser Bürger und sucht Wege, das professionelle Wissenschaftssystem zu ergänzen und in Bereichen zu bereichern, wo ihm selbst Grenzen gesetzt sind.
Wir sprechen mit dem Wissenschaftstheoretiker Peter Finke, Autor des Buches "Citizen Science: Das unterschätzte Wissen der Laien" und befragen ihn zu seinen Erkenntnissen und Erfahrungen aus seiner aktiven Zeit im wissenschaftlichen Betrieb und seinem eigenen Engagement in nicht-professionellen Forschungsbereichen.
https://forschergeist.de/podcast/fg002-citizen-science/
Veröffentlicht am: 17. November 2014
Dauer: 1:26:36
Dass sie Philosophie das könnte, das glaube ich nicht. Das war vielleicht mal eine Funktion von Philosophie oder eine Auffassung von Philosophie, aber heute kann auch die Philosophie das nicht mehr leisten. Das würde sie vollkommen überfordern. Aber es ist ein Problem, mit dem wir hier zu tun haben. Es ist eine Entwicklung, die wir hier beobachten. Die Sie eben auch gerade richtig beschrieben haben. Und diese Entwicklung ging aber einher mit einer anderen Entwicklung, nämlich mit der Entwicklung von Institutionen. Vor allem der Institution Universität. Es gab eben in früheren Zeiten kaum Universitäten. Einige wenige für besonders privilegierte Personen, die dort tätig sein konnten. Im Grunde erst so richtig seit der Aufklärung. Und dann vor allem sehr stark in der Entwicklung im 19. Jahrhundert. Da sind Universitäten entstanden, und da sind Einzelwissenschaften entstanden, und da war dann klar, sozusagen der versteht von dem Bereich sehr viel und von anderen Bereichen nicht mehr so sehr viel. Und auf diese Weise hat sich das herausgebildet, was wir heute haben. Heute haben wir Wissenschaftler, die verstehen wirklich nur noch von einem, vielleicht teilweise nur noch von einer Unterdisziplin, etwas. Wenn ich mal an meiner Fakultät wieder zurückdenke, dann muss ich an Kollegen denken, an einen Kollegen muss ich vor allen Dingen denken, den habe ich gefragt, was machst du denn eigentlich so. Ich fand den zwar eigentlich immer ganz nett, aber ich wusste nicht was er eigentlich aktuell so macht. Und dann hat er gesagt, ich untersuche seit Jahren ein Fragment der deutschen Syntax. Ein Fragment der deutschen Syntax. Das ist ganz typisch sozusagen. Dass ich kritisiere das ja auch nicht, also das ist nicht etwa ein Linguist, der sich sozusagen mit den Sprachen der Welt beschäftigt, sondern er beschäftigt sich mit Deutsch. Dann ist es nicht etwa nur die deutsche Grammatik, da gibt es ja auch noch andere Bereiche des Deutschen, Pragmatik und sonst was, sondern es ist Syntax. Nur ein Teil der Grammatik. Und dann davon ein Fragment. Also ganz bestimmte Ausschnitte, die er ganz genau untersucht. Diese Genauigkeit ist sozusagen das was dazugehört. Diese zunehmende Spezialisierung ist verbunden gewesen mit dem Anspruch, zwar nicht vielleicht das ganze Bild, aber ein Teil des Bildes, genauer als bisher, erforschen zu können. Und man hat sehr gesetzt und tut das eben sehr stark auch noch heute, auf diese Spezialisierung als Königsweg zum Fortschritt, zum Fortschritt des Wissens. Der Fortschritt des Wissens bildete sich dadurch ab, dass man sagen konnte, wir können das jetzt noch genauer sagen. Aber es ist nicht dasselbe, was man noch genauer sein konnte, sondern es ist nur ein kleiner Ausschnitt gewesen. Es ist eine stärkere Lupe gewesen, die man genommen hat. Von allem anderen sozusagen verstand man vielleicht nicht so sehr viel, jedenfalls nicht auf dieser Genauigkeitsstufe und musste sagen, naja das ist nicht meine Spezialisierung, das lasse ich dann erst mal raus. Da musste man sozusagen gewisse Einschränkung vornehmen, womit man sich dann auskennt. Und das ist glaube ich verbunden mit der Entstehung dieser Institution Universität und ihrer Weiterentwicklung, und das Ergebnis, was wir heute haben, sehen wir. Dieses fraktionierte Geschehen, im Bereich der Wissenschaft sozusagen keinen zusammenhängendes Weltbild mehr, sondern viele Disziplinen, die sich auch nicht reinreden lassen, wie sie das denn nun richtig machen sollen oder nicht. Wer sollte das denn auch tun? Und die dann auch noch in Unterdisziplinen und dergleichen mehr zerfallen. Das ist denke ich eine Entwicklung, die man erstmal so hinnehmen muss. Aber man muss sie dann eben natürlich auch problematisieren dürfen. Und muss zum Beispiel sehen, dass ein Citizen Scientist, ein Bürgerwissenschaftler nicht unbedingt so vorgeht. Der ist nicht unbedingt gebunden an die Problemlage, die in der neuesten Zeitschrift für so und so was beschrieben wird, als das international im Augenblick aktuelle Problem, mit dem sich die Wissenschaftler dieser Disziplin zu beschäftigen haben. Die Profiwissenschaftler definieren ihre Agenda hauptsächlich dadurch, dass sie die wichtigen Zeitschriften lesen, wo aktuelle Forschung berichtet wird, und wo dann daraus hervorgeht, womit man sich beschäftigen muss, auch in Auseinandersetzung mit dem, was man macht da auch viele Fehler, die man dann da entdeckt, sozusagen die man dann da korrigieren kann und dergleichen mehr. Und das ist bei den Bürgerwissenschaftlern völlig anders. Die lesen keine internationalen Fachzeitschriften, sondern sie gehen von dem aus, was ihnen als Problem in ihrer Umwelt auffällt. Und ich werde häufig gefragt, worin sind denn eigentlich die Bürgerwissenschaftler besser, als die Profi Wissenschaftler. Also da kann ich nur zwei Dinge darauf antworten. Erstens sozusagen es geht nicht um eine Konkurrenz, es geht nicht darum, dass irgendwelche Bürgerwissenschaftler sagen, ich kann das aber besser als der, sondern es sind andere Probleme, mit denen sie sich beschäftigen. Aber da können sie zum Teil besser sein. Und das was mir am meisten sozusagen auffällt bei Citizen Science ist, dass die Nähe dort wieder eine sehr viel größere Bedeutung bekommt, als sie in der Profilwissenschaft hat. Die Nähe zu den Problemen, die man erlebt sozusagen. Die Lebensnähe sozusagen auch von Problemen und solche Probleme, die man erlebt, sind Zusammenhänge, dass sind Zusammenhangsprobleme. Also zum Beispiel wenn der Hobby Ornithologe jede Woche oder jeden Monat oder wann auch immer, seinen Gang macht durch die Gegend, in der er sich auskennt, um festzustellen, welche Vogelarten finde ich wo und zum Beispiel feststellt, auf dem Acker nebenan sang in den ganzen Jahren zuvor immer eine Feldlerche und jetzt sind keine mehr da, seit zwei Jahren. Dann macht er sich Gedanken darüber, wie das kommt. Und dann kommt er mit dem Vogelbuch überhaupt nicht weiter. Sondern da muss er sich Gedanken machen, wenn er die Frage beantworten will, weil er nicht nur Birdwatcher ist, sondern weil er ein Beitrag zu dem Problem, was da offensichtlich vorhanden ist, leisten will, dann muss er sich zum Beispiel beschäftigen mit Landwirtschaft, dann muss er sich beschäftigen mit EU Politik, dann muss er sich beschäftigen mit Förderungstöpfen, die vielleicht einseitig sind, dann muss er sich mit Insektenfauna beschäftigen, mit der werden die jungen Lerchen gefüttert. Dann muss er sich mit Acker-Wildflora beschäftigen, wenn da keine mehr wachsen kann, in einem Maisfeld beispielsweise, dann können da auch keine Insekten mehr in den Blüten sitzen und dann können da auch keine jungen Lerchen mehr gefüttert werden, da muss er sich vielleicht beschäftigen mit dem Klimawandel, der muss er sich beschäftigen mit der Tatsache, dass das ein Zugvogel ist, der zweimal im Jahr eine gefährliche Strecke über Landesgrenzen hinweg fliegen muss, und vielem anderen mehr. Und das ist dieses ganz normale aus dem Alltag her gewonnene Bild von Zusammenhängen, dass dort viel normaler ist und eine realistischer ist, als in der professionellen Wissenschaft, da hat man sozusagen seine Disziplin, da hat man sozusagen die Vorgabe, was da im Augenblick aktuell ist und was nicht aktuell ist und dem folgt man. Das sind schon erhebliche Unterschiede.